Manfred Kriener, Sie verderben einem mit Ihrem Buch „Lecker-Land ist abgebrannt“ über die neue Esskultur auf jeder Seite den Appetit. Warum tun Sie das?
Manfred Kriener: Das mache ich nicht mit Absicht. Das ergibt sich zwangsläufig. Je intensiver man sich heute mit der Produktion unserer Lebensmittel auseinandersetzt, desto offenkundiger werden die Probleme. Ich will darüber aufklären – ohne moralisch zu werden.
Immer, wenn ein Ernährungsproblem gelöst scheint, etwa die Überfischung der Weltmeere durch die Aquakulturen, kommen Sie um die Ecke und erzählen, dass der Lachs im Netzkäfig von Läusen zerfressen ist.
Es ist leider nicht nur die Laus. Schon das Prinzip dieser Fischzucht ist falsch. Du erzeugst Fische in einem Netzkäfig und fütterst sie mit Soja und mit Fischen in Form von Fischmehl, die du vorher aus dem Meer holst – da ist schon die Prämisse ein Unding. Oft verbrauche ich mehr Fisch zur Fütterung als ich dann erzeuge.
Oder In-vitro-Fleisch, künstlich erzeugtes Fleisch. Da denkt man: coole Alternative zum echten Fleisch. Doch es wird hergestellt mithilfe von fetalem Kälberserum als Nährmedium. Danke schön!
Der Einsatz von Kälberserum ist in der Tat barbarisch. Das wird aus den Föten trächtiger Kühe gewonnen. Weil das im Bioreaktor gewachsene Laborfleisch so teuer ist, setzen sie auch Antibiotika ein zum Schutz vor Keimen. Aber die Neugierde der Konsumenten ist da. Wenn ich die Zuhörer bei meinen Lesungen frage, wer Laborfleisch probieren würde, melden sich fast 50 Prozent. Es gibt die Vorstellung, durch gezüchtetes In-vitro-Fleisch das ethisch-moralische Dilemma zu lösen. Ich rechne im nächsten Jahr mit den ersten Produkten. Das ist keine Science-Fiction mehr.
Muss der Versuch, nachhaltig zu genießen im Einklang mit Natur und Tier, denn immer scheitern?
Ethisch korrekter Konsum ist wahnsinnig anstrengend. Beim Einkaufen spielen zwei Dinge eine Rolle: Einkaufen ist ein individuelles Lustgefühl, es soll Spaß machen. Gleichzeitig wirst du an der Ladentheke ständig mit ethischen Fragen konfrontiert: Wie wurde dieses Hähnchen gehalten? Wie viele Flugstunden hat die Ananas hinter sich? Haben die Spargelstecher wirklich den Mindestlohn erhalten? Und die beliebte Avocado: Die verbraucht doch wahnsinnig viel Wasser! Ich habe schon Menschen gesehen, die im Fischladen das Maßband rausgeholt haben.
Warum?
Sie wollten sichergehen, dass sie keine untermaßigen Fische kaufen – die noch nicht geschlechtsreif waren und sich nicht vermehren konnten. Das mag übertrieben klingen, aber man braucht schon rote Linien.
Was sind Ihre roten Linien?
Ich kaufe fast ausschließlich Bio – weil ich dieses System trotz aller Macken unterstütze. Beim Einkauf auf dem Wochenmarkt kenne ich den Bio-Landwirt, der Lämmer, Schweine und Hühner artgerecht hält, persönlich. Die Tiere haben bei Bio mehr Platz, der Arzneimitteleinsatz ist strenger reguliert. Und Bio schmeckt besser. Ich esse auch keinen Lachs mehr, seit ich weiß, wie der gehalten wird. Das beste Aquakultur-Produkt ist übrigens der Karpfen: Das ist der Öko-Klassenbeste, weil er sich ausschließlich aus dem Teich ernähren kann. Und noch eine rote Linie ist mir wichtig: Ich esse keine Tiere, die kein Leben hatten – also kein Milchlamm und kein Stubenküken. Das Lamm kommt auf die Welt und ein paar Tage später wird es geschlachtet, weil es besonders zart sein soll? Ohne mich. Aber natürlich mache ich auch Kompromisse. Einkaufen ist kompliziert. Also: Lasst beim Essen die Moralkeule auch mal im Waffenschrank!
Verzicht und Zwang führen also nicht unbedingt zu einer besseren Ernährung?
Mit Askese gewinnt man keine Revolution. Konsum hat immer mit Lust zu tun. Und es bewegt sich ja etwas. Der Fleischkonsum, der bei uns im Schnitt mit 60 Kilo pro Kopf im Jahr viel zu hoch ist, geht zurück. Nicht erst seit dem Tönnies-Skandal hat Fleisch einen ranzigen Beigeschmack, es wird zum Gewissensbissen. Die Veggie-Bewegung hat es geschafft, dass bis ins letzte bayerische Dorfwirtshaus vegetarische und vegane Gerichte auf der Speisekarte stehen. Beim Oktoberfest im vergangenen Jahr, ansonsten kulinarisch ein Ochsenspieß- und Schweinshaxen-Spektakel, gab es 38 vegane Speisen im Angebot.
Müssen wir alle Veganer*innen werden, um auch die Politik zu einer konsequent nachhaltigen Landwirtschafts- und Verbraucherpolitik zu bewegen?
Wir brauchen zumindest den zivilgesellschaftlichen Druck! Wenn’s unten brodelt, müssen sie oben Dampf ablassen. Tönnies durfte jahrelang so produzieren, weil niemand hinschauen wollte. Jetzt ist das anders, zwangsläufig durch die v…
Die Veggie-Bewegung habe es geschafft, dass bis ins letzte bayerische Dorfwirtshaus vegetarische und vegane Gerichte auf der Speisekarte stehen, sagt Manfred Kriener.