Herr Rifkin, jeden Tag lesen wir, jeden Freitag auf den Straßen hören wir, dass viel zu wenig und viel zu spät gehandelt wird, um die Klimakatastrophe zu verhindern. Und Sie verheißen uns, dass innerhalb von zehn Jahren die fossile Industrie zusammenbrechen und eine neue Wirtschaft entstehen wird?
Genau das. Der Kollaps der fossil befeuerten Zivilisation steht unmittelbar bevor. Und dieser Zusammenbruch ist kein Problem – sondern eine Chance. Die Chance nämlich, eine neue, grüne Ära entstehen zu lassen, indem wir die Infrastruktur für die dritte industrielle Revolution aufbauen. Diese Infrastruktur vereint das digitale Kommunikationsinternet, das digitale nachhaltige Energieinternet und das digitale Mobilitäts- und Logistikinternet – auf einer in den Gebäudebestand integrierten Matrix des Internets der Dinge.
Das klingt komplex. Wie soll das in dieser kurzen Zeit funktionieren?
Wir sind ja schon mittendrin. Die Kosten für die Erzeugung von Solar- und Windenergie fallen seit vielen Jahren exponentiell. Seit einiger Zeit schon liegen sie weit unter den Kosten von Kernkraft, Kohle oder Öl, und im Jahr 2019 sind sie erstmals niedriger als für Erdgas. Es werden 20-Jahres-Verträge für Solar- und Windstrom abgeschlossen, die bei fünf, vier, drei oder sogar zweieinhalb Cent pro Kilowattstunde liegen. Auch die Digitalisierung des Stromnetzes ist auf dem Weg. Die Energieversorger haben damit begonnen, die Nachfrage zu aggregieren und zu steuern – zum Beispiel, indem sie Ihre Waschmaschine bei Bedarfsspitzen oder Lieferschwierigkeiten vom Netz nehmen. Dazu kommt die Entwicklung der Sensor-Technologie. Bis 2030 können 100 Billionen Sensoren die menschliche und natürliche Umgebung in einem weltweiten verteilten intelligenten Netz miteinander verbinden.
Also statt Greta Thunbergs „I want you to panic“ Monty Pythons „always look on the bright side of life”?
Technologisch gesehen ist die Wende machbar. Die dafür benötigten Technologien sind nicht nur vorhanden, sondern können auch kommerziell genutzt werden. Auch der Markt dafür ist jetzt da – und das Geld. Aber um die Wende durchzusetzen, ist ein großes Engagement der Regierungen und der Gesellschaften erforderlich: ein „Global Green New Deal“, wie ich es nenne. Und daran fehlt es derzeit noch.
Bleiben wir erst mal beim Geld. Meinen Sie wirklich, dass sich Investoren darum reissen, in die Schaffung einer globalen grünen Ära zu investieren?
Ich meine nicht. Ich weiß. Ich arbeite auch mit Unternehmen aus der Bank- und Finanzbranche, und treffe dabei mit vielen Vermögensverwaltern zusammen. Die Bereitschaft ist sehr groß, aus den fossilen Branchen auszusteigen – und zwar rechtzeitig, bevor die Kohlenstoffblase platzt.
Kohlenstoffblase?
Sie könnte die größte Blase der Wirtschaftsgeschichte werden. Denn wenn die fossilen Industrien zusammenbrechen, müssen die zugehörigen Vermögenswerte abgeschrieben werden – von der Öl-Pipeline über das Gaskraftwerk bis zum bilanzierten Wert der noch im Boden befindlichen Ölreserven. Die Citigroup war vor fünf Jahren die erste in der Financial Community, die dies erkannt hat. Sie prognostizierte etwa 100 Billionen Dollar an verlorenen Vermögenswerten. Die Economist Intelligence Unit schätzt die Größe dieser Carbon Bubble auf etwa 40 Billionen Dollar. Aber wie auch immer die Schätzung aussieht: Es ist eine gigantische Zahl. Und alle Investoren werden versuchen, rechtzeitig daraus auszusteigen. Da geht es um Billionen und der Umbruch geschieht in Echtzeit.
Wer mit seinem Geld irgendwo aussteigt, muss dafür ja auch anderswo einsteigen…
Genau das ist aktuell das Problem. Nehmen Sie nur die Pensionsfonds. Sie haben weltweit etwa 40 Billionen Dollar investiert, mit denen die Altersvorsorge heutiger Arbeitnehmer gesichert werden soll. Sie schreien nach neuen Investitionsmöglichkeiten. Sie haben noch deutlich vor Augen, was mit der Kohleindustrie geschah: Als die Branche unterging, gingen auch die Fonds unter – die Kohlearbeiter verloren den größten Teil ihrer Altersvorsorge. Das soll sich nicht noch einmal wiederholen. Aber die Fonds haben derzeit praktisch keine Möglichkeit, um ihre Billionen in der neuen Ökonomie unterzubringen. Denn alles, was dort passiert, sind vergleichsweise kleine Projekte. Ich kenne nur ein einziges Großprojekt, das von Pensionsfonds finanziert wird: der „Thames Tideway Tunnel“, die Modernisierung von Londons Abwassersystem mit einem Investitionsvolumen von mehr als vier Milliarden Pfund. Aber ein einziges Großprojekt reicht natürlich nicht aus, um den Wunsch nach neuen Anlagemöglichkeiten zu erfüllen.
Ein neu…
Der Zusammenbruch der fossil befeuerten Zivilisation steht für Jeremy Rifkin unmittelbar bevor. Darin sieht er eine Chance für eine neue, grüne Ära, etwa mit Windenergie.