Interview mit Andrew Sharpless

„Nur mit kluger Politik schützen wir die Meere vor dem Überfischen“

Andrew Sharpless leitet Oceana, die weltweit größte NGO zum Schutz der Meere. Zur Rettung der Ozeane setzt er auf mehr Transparenz, bessere Kontrollen und nachhaltige Fangmethoden

Herr Sharpless, unsere Ozeane sind nicht nur der größte Lebensraum der Erde. Indem sie das Klima regulieren und CO2 absorbieren, ermöglichen sie auch das Leben auf ihr. Zudem liefern sie Nahrung für Milliarden von Menschen. In welchem Zustand befinden sich die Weltmeere?

Es gibt alarmierende Warnsignale, dass die Ozeane weitgehend erschöpft, verunreinigt und überfischt sind. Daten der FAO, der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, zeigen, dass die Menge der weltweit gefangenen Fische seit den 90er-Jahren zurückgeht. Auch die chemische Zusammensetzung der Ozeane hat sich verändert. Sie ziehen CO2 aus der Atmosphäre und werden durch dessen höhere Konzentration säurehaltiger. Das hat Folgen für die Lebewesen, die beispielsweise Kalziumkarbonat für die Herstellung ihrer Schalen benötigen. Auch für die Riffe hat der Klimawandel mit steigenden Temperaturen und extremeren Witterungen gravierende Konsequenzen. Zusätzlich ist die Verschmutzung mit Öl und Kunststoffen weltweit ein riesiges Problem. Bei Autopsien findet man Plastik in den Verdauungssystemen von Meeressäugern ebenso wie in den Eingeweiden von Schildkröten, Schalentieren, Muscheln und Austern. Es gibt viele Gründe, sehr beunruhigt zu sein.

Haben Sie trotzdem noch Hoffnung, dass wir die Ozeane retten können?

Ja, denn es gibt auch sehr gute Nachrichten: In einigen Gebieten erholen sich die Fischbestände auf messbare und signifikante Weise. Die atlantischen Fischbestände in Europa sind beispielsweise wieder viel gesünder. Dort leben inzwischen weitaus mehr Fische als noch vor 15 Jahren. Das Gleiche gilt auch für die Meeresgebiete der USA. Diese Erholung veranschaulicht eine wunderbare Eigenschaft von Fischen: Sie legen oft millionenfach Eier und sind dadurch ein sehr robuster Teil der Natur. Regenwald braucht 100 Jahre, um sich zu erholen. Viele Fischbestände können sich dagegen innerhalb von fünf oder zehn Jahren erholen, wenn sie wissenschaftlich gemanagt werden. Allerdings gibt es Ausnahmen: Meeressäuger und Haie pflanzen sich nur sehr langsam fort. Aber denken Sie an Heringe, Sardinen oder Sardellen. Die vermehren sich wie die Kaninchen.

Was sind dann die Voraussetzungen für einen wirksamen Meeresschutz? Können wir ihn durch kluge Politik erreichen?

Definitiv. Die Europäische Union hat erfolgreich Fangquoten eingeführt, die Forscher berechnet haben. In den USA wurden mit dem Magnuson-Stevens-Gesetz die Fischbestände in vergleichbarer Weise wieder aufgebaut. Entscheidend ist: Die Länder müssen dafür sorgen, dass sich die Fischbestände erst einmal erholen können. Wenn sie anschließend wissenschaftlich ermittelte Fangbeschränkungen einhalten, sind sie künftig in der Lage, nachhaltig und dauerhaft zu fischen. So können wir in Zukunft sogar mehr Fische fangen als heute.

Mit welchen Fischbeständen rechnen Sie, wenn man sie weltweit nach dem Vorbild der EU und der USA aufbauen würde?

Wir gehen davon aus, dass sich künftig eine Fangmenge von bis zu 100 Millionen Tonnen Fisch pro Jahr erreichen ließe. Aktuell sind es rund 80 Millionen Tonnen, deutlich weniger als in den 90er-Jahren. Wenn wir dagegen weiter überfischen, sinken die Fangmengen bis Mitte des Jahrhunderts vermutlich sogar auf 60 oder 70 Millionen Tonnen.

Langfristig würden sich die Maßnahmen also auszahlen. Warum gelingt es trotzdem nicht in mehr Regionen, die Überfischung zu stoppen?

Häufig gibt die Politik auf. Entweder, weil die Menschen nicht geduldig genug sind, fünf oder zehn Jahre lang auf die Regeneration zu warten. Oder die Fischereiflotten kommen anschließend in das Gebiet und sagen: Ist das nicht toll? Lasst uns jetzt so viele Fische fangen, wie wir können. Das ist so, als hätte man zehn Jahre hart gearbeitet, um ein Alterskonto aufzubauen, das einen für den Rest des Lebens unterstützen kann, und dann entscheidet man sich, alles auf einmal für einen Urlaub auszugeben.

Sind Sie optimistisch, dass sich das ändert?

Ich bin ermutigt durch die europäischen und US-amerikanischen Erfolge. Chile, das siebtwichtigste Fischereiland der Welt, ist zudem gerade dem Beispiel gefolgt – mit einem Gesetz, das den Wiederaufbau seiner Bestände vorschreibt. Ein weiteres gutes Signal ist, dass immer mehr Länder Grundschleppnetze verboten haben. Doch wir müssen noch verdammt viel besser machen.

Sie haben Asien und Afrika gar nicht erwähnt. Gibt es dort keine Fortschritte?

Ich habe auch das Mittelmeer nicht genannt. Es ist eine echte Katastrophe. Kein anderes Meer der Welt ist in einem so schlechten Zustand, und es gibt kaum Hinweise auf Verbesserung. Wir sollten also nicht nur die Afrikaner und die Asiaten kritisieren. Tatsächlich gibt es auch dort positive Entwicklungen: Südafrika hat große Fortschritte beim Erhalt seiner marinen Lebensräume gemacht. Und auf den Philippinen wurde vor Kurzem der Einsatz von Grundschleppnetzen vor allen Küsten verboten. Zudem verhaften Patrouillen im Meeresschutzgebiet Tañon Strait il…

Titelbild: jean wimmerlin/Unsplash

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