Zum Tod von US-Richterin Ruth Bader Ginsburg

Pionierin der Gerechtigkeit

Sie hat sich als Kämpferin für Frauenrechte einen Namen gemacht und war für ihre markige Argumentationsweise berüchtigt. Viele haben die Supreme-Court-Richterin Ginsburg wie einen Popstar verehrt. Auch mit Kritik an Präsident Trump hat „RBG“ für Aufsehen gesorgt.

In Washington begegnet man Ruth Bader Ginsburg oft. Das Gesicht der legendären Supreme-Court-Richterin prangt an Hausfassaden. In Souvenirläden ziert es T-Shirts und Baby-Bodys, Kaffeetassen und Socken. Mal trägt Ginsburg ein Krönchen, mal Boxhandschuhe. Dem ständig wechselnden Kragen der Justiz-Ikone über ihrer schwarzen Richterinnenrobe tragen ihre Abbilder ebenfalls Rechnung. Trotz schwerer Krankheit und Chemotherapie kam sie ihrem Amt am höchsten US-Gericht bis zu ihrem Tod nach. Am Freitag ist Ginsburg nun gestorben. Sie wurde 87 Jahre alt.

Ruth Bader Ginsburg: Anwältin der Gleichberechtigung

Ginsburg gilt als Vorreiterin für Frauenrechte und liberale Denkweisen. Für die Gleichberechtigung ging sie als junge Juristin aber nicht auf die Straße: Stattdessen leistete sie als Richterin Pionierarbeit bei der Entwicklung von Gesetzen gegen die Diskriminierung von Frauen. Bevor sie selbst an den Supreme Court kam, habe sie den Richtern dort „wie eine Kindergärtnerin“ erzählen müssen, dass Geschlechterdiskriminierung existiere, sagte sie einmal. Ginsburg machte sich auch für die Legalisierung der Abtreibung stark und sprach sich für die Gleichstellung von Homosexuellen aus.

Im New Yorker Stadtteil Brooklyn kam Ginsburg am 15. März 1933 zur Welt. Mit ihrem Wunsch, Jura zu studieren, wagte sie sich in eine absolute Männerdomäne. Ihr Studium absolvierte sie unter anderem an der Elite-Universität Harvard. Später lehrte sie Jura an der Columbia-Universität in New York.

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Die zweite Frau am Supreme-Court

Wie zäh Ginsburg war, bewies sie schon in frühen Studienjahren: Das Glück der jungen Familie wurde von der Krebserkrankung von Ginsburgs Mann Martin erschüttert. Fortan kümmerte sie sich nicht nur um ihr Studium und die wenige Monate alte Tochter Jane, sondern auch um ihren kranken Mann und dessen Studium. Jane und ihr Bruder James erzählten einmal, Ginsburg habe teilweise so viel und bis spät in die Nacht gearbeitet, dass sie das Wochenende praktisch verschlafen habe.

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Es war Präsident Bill Clinton, der die liberale Juristin und damalige Berufungsrichterin 1993 für den Supreme Court nominierte. Die damals 60-Jährige wurde nach Sandra Day O’Connor die zweite Frau an dem Gericht und – wie alle Richter*innen dort – auf Lebenszeit ernannt. Unter den Richter*innen, die ihre kniffligen Mehrheitsentscheidungen oft entlang ideologischer Linien treffen, zählte sie zum linksliberalen Block.

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Ginsburg gilt als Vorreiterin für Frauenrechte und liberale Denkweisen und leistete als Richterin Pionierarbeit bei der Entwicklung von Gesetzen gegen die Diskriminierung von Frauen.
Bild: imago images / UPI Photo

Ruth Bader Ginsburg: Richterin mit Kult-Status

Ernsthaft habe sie sich erstmals Anfang der 60er Jahre Gedanken über die Gleichberechtigung von Frauen gemacht, sagte Ginsburg einmal in einem Interview. Seinerzeit recherchierte sie für ein Buch über Zivilverfahren in Schweden, wo Frauen damals bereits einen deutlich größeren Anteil unter den Jura-Student*innen ausgemacht hätten.

Kämpferisch, nüchtern, arbeitswütig, nicht unbedingt für Smalltalk zu haben: So beschreiben Weggefährt*innen die zierliche Brillenträgerin. Die Dokumentation „RBG – Ein Leben für die Gerechtigkeit“ deckt diese Beschreibung. Sie zeigt Ginsburg auch außerhalb des Gerichts, in der Oper, im Fitnessstudio, bei ihrer Enkelin. Man erfährt etwas über die tiefe Verbundenheit zwischen Ginsburg und ihrem Mann. Er sei der erste Mann gewesen, der sich dafür interessiert habe, „dass ich ein Gehirn habe“, sagte Ginsburg. Für „Marty“ sei es in Ordnung gewesen, in der Beziehung die zweite Geige zu spielen. „Er war so selbstsicher, dass er mich nie als irgendeine Bedrohung ansah. Er war mein größter Unterstützer.“ Ginsburgs Mann starb im Jahr 2010.

Viele verehrten die Top-Juristin wie einen Popstar. In Anlehnung an den US-Rapper The Notorious BIG wurde Ginsburg der Spitzname „Notorious RBG“ verpasst. Während der Corona-Pandemie machten Fotos eines Plakats in Washington die Runde in sozialen Netzwerken: „RBG arbeitet weniger als 5 Meilen von hier entfernt“, war darauf zu lesen. „Wenn Du keine Maske trägst, um Deine Freunde und Familie zu schützen, tu es, um RBG zu schützen.“

Berüchtigt waren ihre scharf formulierten Minderheitsmeinungen bei Gericht, für die Ginsburg vor allem von vielen Nicht-Juristen gefeiert wurde. Auch ein Slogan setzte sich im Zusammenhang mit ihr durch: „You can’t spell the truth without Ruth“ – das englische Wort für Wahrheit lasse sich nicht ohne Ruth buchstabieren.

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Trauer um Ginsburg nach langer Amtszeit

Am Wochenende versammelten sich Hunderte Trauernde vor dem Obersten Gericht. Ihr Tod bedeute, „dass wir kämpfen müssen, um wieder zu einem ausgewogenen Gericht zu kommen“, sagte Demonstrantin Sheila Martin, die am Samstag zu dem Gebäude kam.

Kritik zog Ginsburg wegen Bemerkungen über den damaligen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump auf sich. In Interviews hatte Ginsburg vor einer Präsidentschaft Trumps und vor ihm als Person gewarnt. Unter anderem bezeichnete sie ihn als Blender. Später nannte sie ihre Äußerungen unklug und versprach mehr Umsicht.

Zuletzt hatte sich Ginsburgs Gesundheitszustand verschlechtert. Im Januar 2018 verpasste sie wegen einer Operation an der Lunge eine mündliche Verhandlung – laut US-Medienberichten erstmals in ihren 25 Jahren an dem Gericht. Im Juli wurde bekannt, dass sie erneut an Krebs erkrankt war.

Schon während der Präsidentschaft Barack Obamas hatten Justizkreise Ginsburg angesichts ihres fortgeschrittenen Alters zum Rücktritt gedrängt, um dem Demokrat*innen die Gelegenheit zu geben, eine*n Nachfolger*in zu platzieren. „Wen hätten Sie lieber im Gericht als mich?“, konterte sie die Forderungen in einem Live-Interview.

imago images / Prod.DB

US-Richterin Ruth Bader Ginsburg starb am 18.09.2020 im Alter von 87 Jahren nach einer Krebserkrankung. Sie bleibt für ihre außergewöhnlichen Leistungen als Juristin und Pionierin im Kampf für die Gleichberechtigung in Erinnerung.

Lena Klimkeit, dpa

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