Inklusion in Corona-Zeiten

„Es ist eine Umstellung, Gebärdensprache über Zoom zu sehen“

Studieren in Zeiten von Corona bedeutet vor allem: Seminare in Videokonferenzen zu erleben. Katharina Brauner ist auf Gebärdensprachdolmetschung angewiesen und erläutert, wie sich der Studienalltag für sie verändert hat.

Wenn mir jemand Anfang dieses Jahres gesagt hätte, dass ich das Sommersemester vor dem Laptop sitzen werde und alle Veranstaltungen online stattfinden, hätte ich denjenigen nur ungläubig angeschaut.

Als aus diesem scheinbar abwegigen Hirngespinst Realität wurde, konnte ich es nicht glauben und sehnte mich schnell nach den kleinen alltäglichen Dingen des Uni-Lebens zurück wie mich mit meinen Kommiliton*innen zu unterhalten oder mit ihnen in die Mensa zu gehen. Ich fing sogar an, das Institut und die Dozierenden zu vermissen. Da es mein letztes Semester war, finde ich es auch sehr schade, dass es keinen richtigen Abschied gab.

Ohne Antrag keine Assistenz

Das Uni-Leben gestaltete sich für mich zusätzlich anders, weil ich auf Gebärdensprachdolmetscher*innen angewiesen bin. Für jedes Semester musste ich einen Antrag beim Studierendenwerk Berlin stellen, wie alle Studierende, die Gebärdensprachdolmetscher*innen, Schriftdolmetscher*innen oder eine Studienassistenz benötigen. In diesem Antrag muss man neben persönlichen Daten den Grad der Behinderung mit Schwerbehindertenausweis als Nachweis angeben. Die Kosten trägt das Studierendenwerk mit den zuständigen Integrationshilfen. Personen, die weniger als 50 Prozent GdB haben, bekommen keine Unterstützung.

Nach der Antragsstellung schickte ich eine Excel-Tabelle an die Gebärdensprach-Koordination des Studierendenwerks mit den genauen Daten der Veranstaltungen: Zeit, Name, Ort, Dozent*in. Diese Übersicht wird dann an alle in Berlin gelisteten Gebärdensprachdolmetscher*innen weitergeleitet.

Dabei muss eine bestimmte Frist eingehalten werden, was manchmal zu Problemen führt, wenn zum Beispiel die Veranstaltungen noch nicht belegt werden können. Auch ich habe das vor dem Studienbeginn erlebt. Je früher der Antrag vorliegt, desto größer die Chance, dass noch genügend Gebärdensprachdolmetscher*innen verfügbar sind. Nach einer gewissen Zeit bekomme ich die Rückmeldung, welche Gebärdensprachdolmetschende für mich dolmetschen möchten. Ich habe dann Entscheidungsfreiheit und darf auswählen, welches Tandem für mich arbeitet. Nach der Veranstaltung unterschreibe ich eine Art Bestätigung, die die Dolmetschenden beim Studierendenwerk einreichen müssen. Erst dann erhalten sie ihr Geld.

Keinen Artikel verpassen

Hol dir deine Dosis Inspiration – in unserem kostenlosen Newsletter.

Jetzt in Corona-Zeiten war es auch möglich, dass mir bekannte Gebärdensprachdolmetscher*innen aus anderen Bundesländern für mich dolmetschen konnten, da die Veranstaltungen alle per Videokonferenz stattfanden.

Auch bei Good Impact: Zehn Jahre wheelmap.org: „Wir verschaffen User*innen ein Erfolgserlebnis, das anderen hilft“

Gebärdensprachdolmetschung per Video

Für die Gebärdensprachdolmetscher*innen und mich war es eine Umstellung, sich nur noch über die Videokonferenz-Plattform „Zoom“ zu sehen. Denn gerade in der Gebärdensprachverdolmetschung ist die direkte Kommunikation per Vor-Ort-Verdolmetschung die beste Möglichkeit. Dank Zoom konnte ich zwar an Uni-Veranstaltungen teilnehmen, aber immer mit dem ängstlichen Gefühl, dass das Bild plötzlich verschwindet oder dass die Gebärdensprachdolmetscher*innen den gesprochenen Inhalt aufgrund defekter Mikrofone, Dialekt oder anderer Störgeräusche nicht wahrnehmen können. Leider fiel auch der schnelle Austausch der Gebärdensprachdolmetscher*innen untereinander, zum Beispiel die gegenseitige Korrektur oder Unterstützung, weg. Bei Live-Veranstaltungen sitzt das Team, wenn möglich, immer nebeneinander, was bei Videos natürlich nicht funktioniert. Für mich persönlich ist es auch sehr wichtig, dass die Gebärdensprachdolmetscher*innen über eine gute Kamera verfügen und in einem gut beleuchteten Zimmer sitzen, so dass die Gebärden gut zu erkennen sind und ich nicht so schnell ermüde. Zudem ist eine gute Internetverbindung entscheidend. Denn je schlechter die Verbindung, desto höher die Gefahr, dass das Bild einfriert und ich nicht mehr folgen kann.

Vor Corona-Zeiten haben die Dolmetscher*innen vor einer Seminarsitzung oder Vorlesung Gebärden mit mir abgesprochen. Sie haben mich gefragt, wie ich bestimmte Worte gebärde, und diese Gebärden für sich übernommen. Diesen Austausch habe ich vermisst und denke, dass er auch für die Gebärdensprachdolmetscher*innen von Vorteil gewesen wäre. Für sie ist das Voicen, die Verdolmetschung von Gebärden in Lautsprache, durch die Online-Meetings eine zusätzliche Herausforderung, wenn zum Beispiel mein Bild verwischt oder das Mikrofon während des Voicens streikt. Ich bin darauf angewiesen, dass die Gebärdensprachdolmetscher*innen den Inhalt wiedergeben, den ich gebärde. Wenn es bei Ihnen Probleme mit dem Mikro gibt, muss ich mich wiederholen, und es löst bei mir eine gewisse Unsicherheit aus, wie viel Inhalt bei meinen Mitstudierenden ankommt.

Zu Beginn baten mich die Gebärdensprachdolmetscher*innen, mit ihnen vorab den Umgang mit Zoom zu üben. Beispielsweise wie ich erkennen kann, welche*r Gebärdensprachdolmetscher*in jetzt weiter dolmetschen wird. In Live-Situationen ist dies kein Problem, da ist der Wechsel sichtbar und braucht nicht angekündigt zu werden. Während der Videoübertragung haben wir die Lösung gefunden, dass der*die aktive Gebärdensprachdolmetscher*in mir mit einem hochgehobenen Stift, Smartphone oder mit einem schlicht gebärdeten „Dolmetscher-Wechsel“ signalisiert, dass jetzt der Wechsel stattfindet. Daraufhin löse ich schnell das angeheftete Video der*s Dolmetscher*in und scrolle durch die verschiedenen Kacheln, um die zweite dolmetschende Person anzuheften. Durch das Anheften erscheinen die Gebärdensprachdolmetscher*innen in Großformat auf meinem Bildschirm, so dass ich der Gebärdensprachverdolmetschung gut folgen kann. Ein gutes Know-how in der Bedienung von Zoom oder anderen Plattformen ist also notwendig.

Hol dir dein Abo!

Wir sind eine unabhängige Redaktion. Wir finanzieren uns über Abos. Mehr als 5.000 treue Leser:innen machen dieses Heft möglich – DANKESCHÖN.

  • 4 Ausgaben / Jahr
  • Abos schon ab 3 € / Monat

In gewisser Weise fand ich es manchmal gut, dass die Veranstaltungen über Zoom stattfanden, besonders bei Vorlesungen mit über 40 Personen, wo ich niemanden kannte. Denn es ist klar, dass ich bei Live-Veranstaltungen ganz vorne in der ersten Reihe sitzen muss, um die Dolmetscher*innen gut sehen zu können. Dies ist nicht immer angenehm, weil gerade vorne oftmals nur wenige sitzen. Durch die Online-Seminare löst sich diese Problematik auf, und wir waren alle in gewisser Weise gleich. Jede*r saß zu Hause, jede*r musste sich an den Umgang mit Zoom gewöhnen und niemand musste nach einem Platz suchen. Dennoch wünsche ich mir, dass dies nicht der IST-Zustand bleibt, sondern, dass Studierende irgendwann wieder in das Uni-Gebäude gehen, sich alle real in die Augen sehen können und sich nicht hinter schwarzen Kacheln verbergen, wie es uns Dozierende aufgrund der Bandbreite der Internetverbindung manchmal baten zu tun.

Durch das Ausschalten des Videos und die vielen schwarzen Kacheln wird ein Gefühl der Anonymität erzeugt. Sitzt da wirklich jemand hinter der schwarzen Kachel und wie sieht die Person aus? Die Namen sind bei Zoom sichtbar, auch wenn die Kamera ausgeschaltet ist. Eine mit Namen versehene gesichtslose Masse. Bei Live-Veranstaltungen ist es eine Hürde für mich, jemanden nach dem Namen zu fragen, weil ich manchmal den Namen nicht verstehe. So ist es schön, den Namen bei Zoom doch Schwarz auf Weiß zu sehen. Nur bringt es mir nichts, weil ich mich mit den Personen nicht austauschen kann.

Das Praktische bei Zoom ist, dass sprechende Person mit einem grünen Rahmen gekennzeichnet wird. Dies gibt mir die Möglichkeit, das Verdolmetschte einem Gesicht zuzuordnen – und ein angenehmeres Gefühl.

Auch bei Good Impact: Inklusion: Mutterschaft: Warum es nicht um Liebe geht

Man muss sich auf die Technik verlassen

Hin und wieder gibt es auch Situationen, die kompliziert sind, wenn zum Beispiel das Bild der*des Gebärdensprachdolmetscher*in einfriert und ich minutenlang nicht weiß, was gesprochen wird. Wie gebannt schaue ich dann auf den Bildschirm, bis entweder die*der zweite Gebärdensprachdolmetscher*in einspringt oder das Bild wieder mitspielt. Dann kann ich aufatmen, denn jede Information ist wichtig für mich. Ich möchte nicht im Nachteil sein, weil ich etwas nicht mitbekomme, was andere mit Leichtigkeit aufnehmen.

Eine andere Situation: Wenn wir die mit Audioaufnahmen oder Videodateien versehene Präsentationen der Dozierenden asynchron bearbeiten sollten und Untertitel fehlten. Es fand also kein Zoom-Meeting statt, sondern die Studierenden sollten selbstständig in der Veranstaltungszeit, die für den Tag vorgesehenen Aufgaben bearbeiten. In diesen Fällen nahmen die Gebärdensprachdolmetschenden ein Video mit der Übersetzung auf und sendeten es mir per Speicherdienst WeTransfer zu. Dies war eine optimale Lösung für mich, da ich mir dann in Ruhe die Videos anschauen konnte. Dennoch hätte ich mir von den Dozierenden gewünscht, dass sie von sich aus eine Transkription der Audioaufnahmen erstellt hätten oder Videos mit Untertiteln ausgewählt hätten. Denn Barrierefreiheit beginnt nicht erst mit der Bereitstellung von Gebärdensprachdolmetschenden, sondern schon beim Verhalten der Dozierenden und der Grundhaltung der Universität.

Mein perfektes Studium würde so aussehen, dass jede*r gebärden kann oder zumindest die Bereitschaft hat, die Deutsche Gebärdensprache zu erlernen. Noch schöner wäre eine Universität, wo alle gebärden können, wie an der Gallaudet University in Amerika mit unterschiedlichen Studienrichtungen. Ich könnte ein zweites Bachelor-Studium mit Gebärdensprachdolmetscher*innen absolvieren – was momentan nicht möglich ist, denn es werden nur beim ersten Bildungsweg (Bachelor und dann Master) Gebärdensprachdolmetscher*innen gestellt. Die Dozierenden geben mir Zusammenfassungen von ihren Veranstaltungen, weil ich nicht selber mitschreiben kann. Und vor allem kann ich mich hinsetzen, wo ich möchte, und die Gebärdensprachdolmetscher*innen werden an eine Leinwand projiziert. Besonders würde ich mir wünschen, dass Studierende und Dozierende stärker sensibilisiert werden im Hinblick auf die Bedürfnisse von schwerhörigen oder tauben Studierenden.

Unsere Kooperationspartner*innen

Die Neue Norm ist ein Online-Magazin, das verschiedene Fragen und gesellschaftspolitische Mechanismen behandeln und infrage stellen wird. Besonders wollen wir das Thema Behinderung in einen neuen Kontext setzen; Behinderung findet mitten in der Gesellschaft statt und muss da auch besprochen werden. Egal, ob Politik, Film, Fußball oder Landungen auf den Mars, das Magazin hinterfragt die gesellschaftlichen Normen und denkt Inklusion weiter.

Bild: Andi Weiland / Gesellschaftsbilder.de

Corona hat sämtliche Bereiche des Alltags durchkreuzt. Wie geht es insbesondere Menschen mit einer Behinderung, wenn plötzlich alles digital stattfindet? Autorin Katharina Brauner setzt sich gegen Barrieren im Studium ein.

Katharina Brauner, dieneuenorm.de

Weiterlesen