Kolumne: Mein erstes Mal

Mein erstes Mal: Einen Hund adoptieren

Unser Autor wollte sich einen Hund kaufen. Er entschied sich für eine ältere Dame aus einem französischen Tierheim – denn dort geht man sehr rabiat mit ausgesetzten Tieren um

Ende Januar 2017, 4:30 Uhr morgens. Es ist dunkel, sehr kalt – und ich ziehe auf dem Gehweg ein sich mit allen Vieren sträubendes Fellbündel hinter mir her. Irgendwie habe ich mir Gassigehen mit meinem ersten Hund im Leben anders vorgestellt. Zwei, die sich aufeinander verlassen können und fröhlich die Stadt erobern, etwa in diese Richtung hatte ich geträumt. Das also war gemeint mit „Sie muss sich noch an den Alltag gewöhnen“.

So schrieb es Ingrid auf der Webseite ihrer Tierschutzorganisation, die mir meine Hündin Bjoerk vermittelt hat. Es hätte heißen müssen: Bjoerk hat ziemlich Schiss, und zwar vor allem – vor Fußgängern und Fahrradfahren, vor Kinderwägen und quietschenden Garagentoren. Vor Autos oder Skateboards, die über Kopfsteinpflaster poltern. Vor den dumpfen Geräuschen, die vom Hafen über St. Pauli wabern.

Woher sollte Bjoerk den Lärm einer Großstadt auch kennen? Die ersten zehn Jahre ihres Lebens hat sie ja auf dem Lande verbracht. Genauer: in einer Zuchtstation in Südfrankreich. Dort war sie zuständig für die zuverlässige Versorgung der Züchterin mit Nachwuchs. Bjoerk ist eine reinrassige Lhasa Apso mit Stammbaum, eine Adelige gar aus dem Hause der Famonandys. In Deutschland zahlt man für Welpen dieser Art bis zu 1400 Euro, doch immerhin gelten für Züchter hierzulande strenge Bestimmungen.

In Frankreich wohl eingeschläfert

Nicht so in Frankreich. Dort wird die Zucht von Haustieren kaum von Gesetzen überwacht. Jeder züchtet also wie er mag, das drückt die Preise. In fast jedem Gartenmarkt kann man für wenig Geld junge Hunde kaufen, sogenannte Wühltischwelpen. Auch viele Rassehunde werden ausgesetzt, sie kosten ja nicht viel.

Von der Kommunalpolizei eingefangen, landen sie dann in einer der rund 500 offiziellen Auffangstationen des Landes. Alle Gemeinden in Frankreich müssen solche „fourrières“ unterhalten. Diese sind aber nicht selten in einem extrem schlechten Zustand und hoffnungslos überfüllt – dürfen aber keine Tiere vermitteln.

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Tierschutzorganisationen übernehmen möglichst viele dieser Hunde in ihre eigenen Heime, um für sie neue Besitzer zu finden. Eine davon hat Ingrid, eigentlich aus Kiel, aufgebaut. Doch auch diese besser ausgestatteten Tierheime, in der Regel durch Spenden und Gebühren für die Vermittlung der Hunde finanziert, haben nur begrenzt Platz.

Die schlimme Folge: Tiere, die in den „fourrières“ bleiben müssen, werden nach acht Tagen eingeschläfert. So will es das Gesetz. Offizielle Zahlen über die Anzahl der Tötungen gibt es keine, inoffizielle Schätzungen gehen von bis zu 500.000 Tieren pro Jahr aus. In Frankreich! Nicht in für solche Praktiken berüchtigten Ländern wie Kroatien oder der Ukraine.

Immerhin wurde vor einem Jahr das Zuchtgesetz verschärft. Die lokalen Veterinärbehörden, für den Tierschutz zuständig, verantworten jetzt nicht nur beispielsweise die Bekämpfung von Tierseuchen, sondern kontrollieren endlich auch regelmäßig Zuchtbetriebe. An den Zuständen in den „fourrières“ und der Praxis des Tötens ändert das aber nichts.

Zweites Leben für den Hund

Auch in Deutschland werden tausende Hunde ausgesetzt, vor allem vor den großen Ferien. Von den 70.000 Tieren, die die Mitglieder des Deutschen Tierschutzbundes in ihren 550 vereinseigenen Tierheimen jährlich aufnehmen, sind die meisten Hunde – erst dann folgen Katzen, Kleintiere, Reptilien. Die Zwinger sind auch hierzulande voll, doch anders als in Frankreich werden keine Tiere per Gesetz eingeschläfert.

Bjoerk hat eine „fourrière“ überlebt. Die Züchterin hatte ihren Job aufgegeben und meine Hundedame einfach mal so zur Tötung abgegeben. Ingrid hat Bjoerk da rausgeholt – und damit sie das mit noch vielen Hunden machen kann, habe ich mich für meine Südfranzösin entschieden: Die Vermittlung von Hunden gegen Gebühr hilft Ingrid, das Tierheim zu finanzieren.

Zwei Jahre ist Bjoerk jetzt bei mir. Zweimal am Tag füttere ich die Hüterin der Schätze Buddhas, deren Rasse einst von Mönchen in tibetischen Klöstern gezüchtet wurde. Viermal am Tag gehen wir Gassi, ohne Leine, weil in Bjoerk eine coole Socke zum Vorschein gekommen ist und sie inzwischen hier auf St. Pauli nichts mehr schreckt. Einmal in der Woche greife ich zu Kamm und Schergerät und versuche mich als Hundefrisör, weil Lhasa Apsos vor allem aus Haaren bestehen. Minus 40 Grad in Tibets Winter machen ihnen darum nichts aus.

Mein Wissen über Hunde hat sich nicht wesentlich vergrößert, ich weiß nur über Bjoerk Bescheid. Sie bellt nicht, spielt nicht, rennt nicht. Wenn sie trabt, sieht das sehr ulkig aus. Sie will Futter und ein wenig Zuneigung, mehr braucht sie nicht. Sie ist quasi ein Tamagotchi in echt. Und Bjoerk schnarcht wie ein alter Mann, der zu viel getrunken hat. Trotzdem würde ich es wieder tun. Denn auch wenn es vielleicht etwas pathetisch klingt: Ich ermögliche Bjoerk ein gutes zweites Leben. Das fühlt sich richtig an.

Christian Sobiella, ist Bayer, lebt in Hamburg und ist eher der Katzentyp. Ein Hund gehörte eigentlich nicht in seinen Lebensplan – bis ihm eine Freundin von den Zuständen in Frankreich erzählte

Christian Sobiella

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