Diagnose Endometriose

„Ich hatte ständig ein schlechtes Gewissen, krank zu sein“

Tennisballgroße Zysten im Unterleib, entzündete Organe und starke Schmerzen: Endometriose ist eine chronische Krankheit, bei der sich Zysten und Entzündungen (Endometrioseherde) an Eierstöcken, Darm oder Bauchfell ansiedeln. Oft bleiben diese allerdings unerkannt – bis zur Diagnose vergehen in Deutschland im Schnitt 7 Jahre. Vier Frauen erzählen von ihren Erfahrungen.

Anonym*, 27, Köln

(*Name ist der Redaktion bekannt)
Wir müssen damit aufhören, starke Periodenschmerzen als normal abzutun!

Ich habe meine Diagnose bekommen, als ich 26 Jahre alt war, am 21. Februar 2020. Den Tag werde ich nie vergessen. Ich bin operiert worden, weil meine Frauenärztin kurz zuvor beim Ultraschall eine große Zyste am linken Eierstock entdeckt hatte. Die OP sollte nur eine Dreiviertelstunde dauern. Nach zweieinhalb Stunden bin ich wach geworden mit der Diagnose: Endometriose Stufe 3 (von 4).

Ein Teil meines linken Eierstocks war so beschädigt, dass er komplett entfernt werden musste. Ich hatte zu dem Zeitpunkt noch nie von der Krankheit gehört – und plötzlich war ich acht Wochen krankgeschrieben. Die Jahre davor hatte ich kaum etwas bemerkt, „nur“ Unterleibsschmerzen während meiner Periode und starke Nackenschmerzen, aber die schob ich auf meine Sitzhaltung beim Arbeiten.

Seit der OP habe ich vor allem psychische Symptome. Wenn dann aus dem Nichts auch noch Schmerzen kommen – obwohl ich doch die Pille einnehme und eigentlich keine Beschwerden mehr haben sollte –, belastet mich das sehr. Um negative Gedanken zu verdrängen, lese ich Bücher und verbringe viel Zeit mit meinem Partner oder mit Freund*innen. Für Außenstehende ist die Krankheit schwer zu verstehen, weil sie zwar chronisch ist, aber im Grunde unsichtbar. Meine Entzündungsherde wurden beim Ultraschall nicht erkannt, und auch meine Bluttestwerte waren immer unauffällig. Ich kann mir nie sicher sein, dass nicht doch wieder etwas wächst.

Ich wünsche mir, dass ich lerne, Familie anders zu definieren

Meinen Partner beschäftigt das natürlich auch. Als wir mit der Familienplanung beginnen mussten, waren wir zwei Jahre zusammen. Nachdem mir bei der OP mein linker Eierstock entfernt wurde, haben wir meinen AMH-Wert (Indikator für die Fruchtbarkeit der Frau) checken lassen. Dieser war auf dem Stand einer Frau in den Wechseljahren – und sinkt mit den Jahren. Daraufhin haben wir uns entschieden, befruchtete Eizellen einzufrieren. Mit dieser Vorsichtsmaßnahme geht es mir besser, weil mir ein großer Teil meiner Angst genommen wurde, keine eigenen Kinder bekommen zu können. Am liebsten würde ich aber auf natürlichem Weg schwanger werden. Durch Osteopathie hoffe ich, die Selbstheilungskräfte meines Körpers aktivieren zu können, um unsere Chancen zu erhöhen. Für die Zukunft wünsche ich mir, dass ich lerne, Familie anders zu definieren – dass ich Adoption und künstliche Befruchtung als Alternativen für eine natürliche Empfängnis akzeptieren kann.

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Außerdem hoffe ich, dass wir endlich damit aufhören, starke Periodenschmerzen als normal abzutun. Mit dem Stigma gehen auch unfaire Regelungen einher: Die meisten Hormonpräparate müssen privat gezahlt werden, weil sie offiziell nicht als Medikament gegen Endometriose gelten, sondern nur als Verhütungsmittel. Die Behandlungen, die nötig sind, damit eine künstliche Befruchtung gelingt, sind auch Privatsache. Aufgrund der geringen Anzahl an Eizellen in meinem Körper brauchte ich drei Behandlungsanläufe, die insgesamt rund 15.000 Euro kosteten. Wären mein Freund und ich verheiratet, hätte die Krankenversicherung die Hälfte übernommen.

Zahlen & Fakten

Viele Frauen* haben während ihrer Periode starke Regelschmerzen. In 45 bis 60 Prozent der Fälle ist Endometriose die Ursache.

Informationen rundum die Diagnose der Krankheit, ihre Ausprägungen und Behandlungsformen bekommst du in unserem Beitrag Endometriose – Wenn die Schmerzen nicht normal stark sind“.

Jeanine Eifler-Bérard, 31, Berlin

„Das Schmerzmittel Buscopan habe ich geschluckt wie Smarties.

Jeanine Eifler-Bérard mit ihrem Sohn: Sechs Monate gaben ihr die Ärzt*innen, um schwanger zu werden, bevor sie erneut operieren müssten.
Bild: Immo Eifler

Für meine Ärzt*innen war ich immer eine Hypochonderin. Es hieß, meine Menstruationsschmerzen seien normal, ich solle mich nicht so anstellen. Vielleicht bin ich einfach sehr schmerzempfindlich, dachte ich lange.

Ich bekam meine Menstruation mit 11. Mit 14 wurden die Schmerzen so schlimm, dass ich anfing die Pille zu nehmen. Das hat es etwas besser gemacht. Trotzdem musste ich jeden Monat Schmerzmittel nehmen. Das Schmerzmittel Buscopan habe ich geschluckt wie Smarties. Um den Eisprung herum, aber vor allem während der ersten Tage der Blutung, war mein Bauch aufgebläht, ich hatte krampfartige Schmerzanfälle: Ich konnte mich kaum bewegen, dann half nur liegen, atmen und warten, bis es besser wurde. Manchmal bin ich ohnmächtig geworden oder musste mich übergeben. Mit 25 wollte ich nicht mehr hormonell verhüten und habe die Pille abgesetzt. Psychisch ging es mir besser, aber meine Menstruationsschmerzen wurden von Zyklus zu Zyklus schlimmer.

Erst als ich 27 war, entdeckte man bei einem MRT zufällig eine acht Zentimeter große Zyste an einem Eierstock. Ich ging daraufhin zu meiner neuen Frauenärztin, die direkt den Verdacht Endometriose äußerte. Sie nahm sich eine Stunde Zeit für mich, stellte viele Fragen, etwa zur Stärke der Periode, meinem Schmerzmuster, ob ich etwa Schmerzen beim Wasserlassen hätte – etwas, das ich immer als normal empfunden hatte. Auch, dass mir Sex an manchen Tagen im Zyklus wehtat.

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Vor drei Jahren platzte die Zyste und musste in einer Not-OP entfernt werden. Das war letztlich mein Glück, denn bei der Bauchspiegelung wurde die Krankheit bestätigt und es konnten etliche Endometrioseherde direkt entfernt werden. Die Ärzt*innen sagten mir: Entweder wir versetzen Sie in die künstlichen Wechseljahre mit Hormonpräparaten oder Sie werden erst mal schwanger.

Die Schmerzen während meiner Menstruation ähneln mittelstarken Wehen

Für meinen Mann und mich war das ein Schock. Wir waren zwar schon sehr lange zusammen und hatten auch einen Kinderwunsch, aber nicht ad hoc. Doch wir dachten uns: Es gibt nie den richtigen Moment, wir probieren es. Wir haben wegen der Endometriose ohnehin nicht damit gerechnet, dass es schnell geht. Sechs Monate gaben mir meine Ärzt*innen, umschwanger zu werden, bevor sie erneut operieren müssten. Das war ein ziemlicher Druck. Tatsächlich wurde ich direkt schwanger. Unser Sohn ist heute zwei Jahre alt. Bei der Geburt habe ich gemerkt: Ich halte ziemlich viel aus. Die Schmerzen während meiner Menstruation ähneln mittelstarken Wehen.

Nach der Entbindung nahm ich eine Gestagen-Pille, um die Endometriose möglichst lange zu unterdrücken, hatte aber psychische Nebenwirkungen und ständig Zwischenblutungen. Nach eineinhalb Jahren wurden auch die Schmerzen wieder schlimmer. Es hieß, wenn ich ein zweites Kind möchte, sollte ich nicht zu lange zögern. Wieder hatte ich ein Zeitfenster von sechs Monaten. Also setzte ich die Pille ab. Nach fünf Monaten klappte es schließlich: Unser zweites Kind wird im August zur Welt kommen. Wie ich danach mit meiner Endometriose umgehen werde, weiß ich noch nicht. Ich möchte die Zeit der Schwangerschaft nutzen, um mich zu informieren.

Anonym*, 28, Paris

(*Name ist der Redaktion bekannt)
Wir brauchen mehr Forschung!

Ein halbes bis ein Jahr, nachdem ich die Pille abgesetzt hatte, bekam ich starke Schmerzen und Zwischenblutungen. Meine erste Frauenärztin sagte, ich solle mich nicht so haben. Meine zweite Gynäkologin erwähnte Endometriose und schickte mich zur Ultraschalluntersuchung. Ich ließ ihr die Bilder und meine Telefonnummer zukommen, sie schrieb per E-Mail zurück: Sie haben Endometriose …

Das war Anfang vergangenen Jahres. Ich war gerade unterwegs, als ich die E-Mail las – und musste sofort anfangen zu weinen. Zu Hause vertiefte ich mich in die Recherche. Ich versuchte, meine täglichen Symptome, etwa Bauch- und Rückenschmerzen und Müdigkeit, mit viel Bewegung, Spaziergängen und Yoga zu lindern. Der harte Lockdown mit Ausgangssperre, den wir in Paris zu der Zeit hatten, erschwerte das. Außerdem aß ich weniger Zucker (keine pains au chocolat mehr!), verzichtete auf Alkohol und benutzte heiße Wärmflaschen. Ich glaube, das hat mir geholfen, zumindest konnte ich besser schlafen und bekam keine plötzlichen Krampfanfälle mehr.

Gegen die Endometriose wurde mir eine Gestagen-Östrogen-Pille verschrieben, die mein Körper nicht gut vertrug. Durch die Hormonzusammensetzung entstand eine Zyste. Daraufhin wechselte ich die Ärztin und die Pille. Weil ich durch weitere Recherchen unsicher wurde, ging ich während eines Besuchs meiner Familie in Deutschland zu der Gynäkologin meiner Mutter. Sie sagte, solch eine Diagnose könne man ohne Bauchspiegelung nicht stellen.

Zurück in Paris holte ich eine dritte Meinung ein. Die Ärztin erklärte mir anhand der Ultraschallbilder, woran sie sehe, dass ich tatsächlich Endometriose habe. Genauer gesagt habe ich Adenomyose. Weil diese Form die Gebärmutter betrifft, wurde mir geraten, zügig schwanger zu werden. Ich weiß noch nicht, ob ich Kinder möchte. Aber mein Freund und ich wollen das Thema relativ bald angehen, was auch immer das heißt. Wenn es klappt, schön, wenn nicht: C’est la vie.

Es muss besser aufgeklärt werden über eine Krankheit, die zehn Prozent aller Frauen weltweit betrifft

Manchmal bekomme ich Angst, dass die Krankheit schlimmer wird, sobald ich die Pille absetze und dass ich dann von OP zu OP lebe, wie das bei manchen Frauen der Fall ist. Es muss besser aufgeklärt werden über eine Krankheit, die zehn Prozent aller Frauen weltweit betrifft. Nicht jede Pille ist für jede Frau mit Endometriose gut. Wir brauchen mehr Forschung! Es gibt immer noch zu viel Unklarheit und widersprüchliche Informationen. Wächst die Krankheit trotz Pille weiter? Oder unterdrückt diese Entzündungsherde und reduziert sie sogar? Sollte man immer sofort chirurgisch eingreifen oder erst mal auf eine hormonelle Behandlung setzen? In Fachkreisen wird auch diskutiert, ob Schwangerschaften Endometriose heilen können. Ich wünsche mir, dass Frauenärzt*innen ihre Grenzen anerkennen, wenn sie nicht weiter wissen. Dafür gibt es doch spezialisierte Endometriosezentren. Die Krankheit ist einfach kompliziert und noch zu wenig erforscht.

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Martina Liel, 45, Edinburgh

Ich möchte, dass man Frauen keine Märchen mehr erzählt.

Erst durch eine Not-OP hat Martina Liel erfahren, dass sie von der Krankheit betroffen ist. Trotz der Diagnose Endometriose wurde ihre Erkrankung in ihrem Umfeld lange nicht ernst genommen.
Bild: Gabi Pott

Eine Woche nach meinem Uni-Abschluss musste ich notoperiert werden. Mir wurden vier Kilo Flüssigkeit und Gewebe, darunter 30 Zentimeter vom Darm, entfernt. Danach war klar: Ich kann nicht mehr schwanger werden und Kinder bekommen. Ich war damals 28 Jahre alt.

Nur durch die Not-OP habe ich überhaupt von der Krankheit Endometriose erfahren – und dass ich selbst betroffen bin. Starke Menstruationsschmerzen hatte ich schon seit meinem 16. Lebensjahr. Kurz zuvor hatte ich begonnen, eine Östrogen-Gestagen-Kombipille zu nehmen. Aber als ich zu meinem Frauenarzt ging und sagte, da stimme etwas nicht, meinte der nur: Jede Frau hätte so ihre Probleme.

Bei mir sind die Schmerzen meist hinter der Gebärmutter, in der Nähe des Enddarms, und auf dem Ischiasnerv. Hinzu kommen Konzentrationsschwierigkeiten, Erschöpfung, Allergien, Unverträglichkeit histaminhaltiger Nahrungsmittel und Migräne. Wegen der Verwachsungen besteht immer die Gefahr eines erneuten Darmverschlusses. Schon mit 29 kam es deswegen zu einer zweiten Not-OP.

Nur durch die Not-OP habe ich überhaupt von der Krankheit Endometriose erfahren

Dennoch hat in meinem privaten Umfeld lange niemand verstanden, dass ich chronisch krank bin. Eine Woche nach meiner großen Not-OP mit 28 fragte mich meine Mutter, ob ich nicht eine Doktorarbeit schreiben wolle. Auch in meiner Ehe ging es immer nur darum, wie ich trotz allem finanziell beitragen kann. Ich wünschte mir, ich hätte wegen der Bedürfnisse anderer nicht immer rechtfertigen müssen, dass ich „nicht funktioniere“. Ich hatte ständig ein schlechtes Gewissen, krank zu sein.

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Heute wissen bei mir auf der Arbeit alle von der Krankheit und das ist kein Problem. Doch aufgrund meiner Beschwerden konnte ich erst mit 40 anfangen, Vollzeit zu arbeiten. Wegen solcher gravierender sozioökonomischer Auswirkungen gilt Endometriose auch als „social disease“, also eine soziale Krankheit.

Ich möchte, dass man Frauen keine Märchen mehr erzählt: Endometriose kann nicht geheilt werden, weder durch Schwangerschaft noch durch die Entfernung der Gebärmutter oder der Eierstöcke und auch nicht mit Hormontherapien. Außerdem finde ich es zweifelhaft, dass viele Untersuchungen und Therapieansätze von den deutschen Krankenkassen trotz der Diagnose nicht übernommen werden.

Mir hat es eine Zeit lang geholfen, auf Weizen und Zucker zu verzichten, um die Schmerzen zu mildern. Später bekam ich eine Gestagen-Pille verschrieben, wegen der ich mich aber depressiv fühlte. Seit ich die Pille nicht mehr nehme, geht es mir immerhin psychisch besser. Außerdem habe ich Psychotherapien gemacht und auch Somatics, etwa Achtsamkeitsübungen und Beckenbodentraining, helfen mir.

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Illustration: Eva Leonhard

Die chronische Krankheit Endometriose wird häufig viel zu spät erkannt. Oft leiden Patient*innen jahrelang unter starken Schmerzen.

Astrid Ehrenhauser
Miriam Petzold

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