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Bayou Blues: Rettung der Sümpfe von New Orleans

Ohne die Sümpfe von New Orleans wäre die Stadt Hurrikans schutzlos ausgeliefert. Doch Klimakrise und Ölindustrie zersetzen das Ökosystem. Die Menschen in Louisiana bauen Riffe aus Austernschalen und pflanzen Sumpfzypressen. Nur, reicht das?

Von Weitem sehen sie aus wie Treibholz, so gut sind ihre schlammfarbenen Schnauzen im Brackwasser getarnt. Aber Josh Benitez weiß es besser. „Ich sehe hier zwei Alligatoren, nein drei!“ Das weiße Boot der NGO Common Ground, das Benitez, strahlendes Lächeln, grünes T-Shirt, Baseballcap, durch die Wasserstraßen des Bayou Bienvenue steuert, hält an, und siehe da: Die gelben Augen der Reptilien blitzen aus dem trüben Nass, man erkennt ihre drachenartigen Schuppen, das scheinbar immer vom Grinsen verzerrte Langmaul, das vor der Skyline von New Orleans gemächlich durchs Wasser gleitet.

„Je mehr wir von unseren grünen Freunden sehen, desto besser“, sagt Benitez. „Sie bedeuten: Es gibt hier Futter. Und wenn es Futter gibt, dann geht es dem Bayou gut.“

Der Bayou, so heißt der Sumpf im Slang von Louisiana, dessen Küste jedes Jahr ein Stück mehr von den Wellen des Golfs von Mexiko verschlungen wird. Pro Jahr versinkt hier ungefähr die Fläche von Manhattan. Schuld ist nicht nur die Ölindustrie, die die gesamte Küste des Staates mit Pipelines durchlöchert hat, sondern auch die Klimakrise, die den Meeresspiegel immer weiter steigen lässt und das Wasser erwärmt. Und wärmeres Wasser bedeutet: mehr Hurrikans.

Wie wichtig die Feuchtgebiete sind, wenn es um die berüchtigten Wirbelstürme geht, wurde einer breiten Öffentlichkeit erst klar, als 2005 der Hurrikan Katrina New Orleans traf. New Orleans. Wiege des Jazz, Karneval-Metropole, Schmelztiegel der kreolischen, französischen, Cajun- und indigenen Kultur. Achtzig Prozent dieser einzigartigen Stadt versanken bis zu sieben Meter unter Wasser. Der Strom fiel aus, Hunderte Menschen starben, Tausende mussten auf den Dächern ihrer untergegangenen Häuser ausharren, das Trinkwasser wurde knapp. Das uralte Damm- und Pumpensystem der Stadt konnte dem 200 Stunden- kilometer schnellen Wirbelsturm nicht standhalten.

Besonders schlimm traf es das Viertel Lower Ninth Ward, am äußeren Rand der Stadt: Ein Lastkahn durchbrach hier sogar die Wand eines Kanals und walzte die Häuser der zu über 98 Prozent Schwarzen Bevölkerung des Viertels nieder. Nicht lange nach dem Desaster begann eine Diskussion im Land darüber, wie sehr das Leid unter den Folgen der Klimakrise auch eine Frage der Hautfarbe ist.

Besuch im Hauptquartier

Eine der ersten Organisationen, die versuchten, den Menschen im Lower Ninth Ward zu helfen und die Häuser wieder aufzubauen, war die NGO Common Ground Relief. Ihr Hauptquartier, ein blau gestrichenes, erhöhtes Holzhaus, eingerahmt von dem für New Orleans typischen schnörkeligen Balkon aus Gusseisen, blühenden Büschen und Palmen, war eines der wenigen, das wie durch ein Wunder dem Hurrikan trotzte. Josh Benitez und Christina Lehew, die beiden Leiter:innen der NGO, öffnen die Tür. Sie und die Freiwilligen, die hier um einen großen Holztisch arbeiten und teilweise auch wohnen, haben eine Mission: den Bayou, der einst das ganze Viertel umgab, wiederherzustellen.

Einst stand rund um den Lower Ninth Ward ein ganzer Wald aus Sumpfzypressen. Sie ähneln Mangroven, graben ihre mächtigen, aus dem Wasser ragenden Wurzeln in den Sumpf und stabilisieren so das Land. Sie können einzeln über 3.300 Liter Wasser am Tag aufsaugen und sind an die extreme Feuchtigkeit und Hitze von Louisiana angepasst. Genau diese Eigenschaften wurden den Bäumen zum Verhängnis. Aus ihrem Holz wurden die bunten Häuser von New Orleans erbaut und die Zuckerplantagen, auf denen Schwarze Sklav:innen bis zum Tod schuften mussten.

Was die Menschen damals nicht begriffen: Mit dem Fällen der Bäume hatten sie die natürliche Mauer eingerissen, die ihre Stadt vor Überschwemmungen schützt. „Deshalb“, sagt Christina Lehew, die einen Pixie-Cut und ein ärmelloses Top mit der Aufschrift „I love worms“ trägt, „müssen wir die Zypressen zurückbringen. Sie bilden nicht nur eine Barriereinsel, die die Hurrikans abfängt, sondern sie saugen auch das Wasser der Flut auf wie ein Schwamm.“

Zu Fuß spazieren wir vom Hauptquartier zur Sumpfzypressen-Schule von Common Ground. Hier lagern bunte Kanus neben Hunderten zarten Setzlingen, die so lange heranreifen, bis sie stark genug sind, um im Sumpf von Bayou Bienvenue und Bayou Sauvage angepflanzt zu werden. In den unter Wasser stehenden Beeten schießen auch noch andere Sumpfpflanzen in die Höhe: das bambusartige Bulrush und Tupelo-Bäume. „Die Sumpfgräser wachsen unheimlich schnell und schlagen ihre Wurzeln in den Schlamm. Dadurch wird er nicht mehr so schnell abgetragen“, erklärt Josh Benitez. „Außerdem bricht es den Wind, neben den Wellen der zweite tödliche Arm von Hurrikans.“

Aber warum gibt es dann in Louisiana nicht mehr Bewusstsein für den Sumpfschutz? Schließlich will doch kein Mensch, dass die eigene Heimat für immer versinkt?

Benitez ist nicht weit vom Lower Ninth Ward aufgewachsen und antwortet mit einer Gegenfrage. „Kannst du dir vorstellen, dass ich mein ganzes Leben hier wohne, aber erst vor wenigen Jahren das erste Mal richtig draußen im Sumpf war? Erst jetzt weiß ich, wie schön er ist. Wie wichtig er ist.“

 

(li.) Christina Lehew, Josh Benitez, NGO Common Ground; (re.) James Karst, Sprecher der Coalition to Restore Coastal Louisiana, neben Austernpaketen. Fotos: Morgane Llanque

Voodoo im Sumpf

Die meisten Menschen in New Orleans haben weder ein Boot noch die 60 Dollar, die Tourist:innen pro Nase zahlen, um in den Bayou zu schippern, um Alligatoren und Pelikane zu bestaunen. Die Girlanden aus Louisianamoos, das wie Spinnweben von den Ästen der Sumpfbäume hängt, und die von Moskito-Schwärmen und Glühwürmchen bevölkerten Gewässer haben eine eigentümliche Schönheit, tragen aber auch zum Ruf des Sumpfes als verwunschenem, menschenfeindlichem Ort bei. Die berühmte Voodoo-Priesterin Marie Laveau, deren Grab in New Orleans bis heute eine Tourismusattraktion ist, hielt im Schutz der Sumpfzypressen einst ihre Rituale ab. „Der Bayou gilt als gefährlich, verzaubert, schmutzig“, erklärt Benitez. „Kein Ort, an dem man sich aufhalten sollte!“

Das zweite Problem: Die Menschen begriffen erst viel zu spät, wie das Ökosystem des Mississippi-Deltas geboren wurde – und was es tötet.

Gary Lafleur, Professor für Biologie und Leiter der Bayou Studies an der Nicholls-Universität, sitzt vertieft in eine riesige Karte von Louisianas Feuchtgebieten im Café Napoleon im French Quarter von New Orleans. Er zieht geduldig den Lauf des Mississippis mit den Fingern nach, während er das grundlegende Problem erklärt. „Als die Franzosen und Spanier im kolonialen Louisiana versuchten, den Fluss zu kontrollieren, fingen unsere Probleme an. Der Mississippi baut Sediment auf durch natürliche Überschwemmungen seiner Ufer. Dadurch, dass wir ihn in Dämme und Kanäle gezwängt haben, haben wir die natürliche Erneuerung unserer Küste unterbrochen.“

Heute versucht der Staat, künstlich nachzuhelfen: Ein Teil des Mississippi wird in die Barataria-Bucht umgeleitet, damit wieder Sediment und frisches Wasser dorthin gelangen. Auf den Start des Projekts 2023 folgten Klagen von Gemeinden und Unternehmen, die von der Umleitung betroffen wären – nun liegt es auf Eis.

Der Fluss müsste Stück für Stück wieder im ganzen Land befreit werden, um Louisiana und New Orleans zu retten, sagt Lefleur. Aber für einen solchen Prozess braucht es Überredungskunst und Zeit. Und die ist knapp. Vor allem wenn eine neue Amtsperiode unter Donald Trump droht, dem die Umwelt herzlich egal ist. Was also tun?

Mit dem Boot fahren Josh Benitez und Christina Lehew an einem heißen Apriltag in den Bayou Bienvenue hinaus. Es ist schwül und die Alligatoren treiben träge im Wasser. Die beiden werfen den Anker aus und klettern in Gummistiefeln auf die kleinen braunen Inseln aus Marsch. Nur diese winzig…

Fotos: IMAGO / SuperStock, Morgane Llanque

Facettenreiche, feuchte Ökosysteme an der Küste des US-Bundesstaats Louisiana.

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