Hin und weg

Freiwilligenreise statt Strandchillen

Städtetouren, Strandchillen, Rucksackbummeln? Schön, aber es gibt spannende Alternativen für ganz andere Reiseerlebnisse. Auf Freiwilligenreisen können Menschen bei Hilfsprojekten mit anpacken, Naturschutz unterstützen, Wissen weitergeben oder regionale Konflikte besser verstehen lernen. Das Erlebte hallt länger nach als jede Piña colada

Die Sonne scheint und in der Luft liegt eine Geruchsmischung aus Wildkräutern und Kuhfladen. Auf der Wiese der Mordau-Alm hocken mehrere Menschen und rupfen Pflanzen aus. Das ist anstrengend. Und doch macht das kleine Grüppchen das hier freiwillig, hat sogar Geld dafür bezahlt, die schöne Landschaft im bayerischen Lattengebirge pflegen zu dürfen.

Schützen unterstützen

„Schützen unterstützen“ lautet der Titel der Freiwilligenreise, bei der unter fachkundiger Anleitung von Almführerin Gerti Rutz per Hand Wurzeln von Gehölzen und sogenannten Weideunkräutern entfernt werden. „Almschwenden“ wird diese Arbeit genannt, die das Verbuschen von Weidefläche in luftiger Höhe verhindert und damit den Lebensraum zahlreicher seltener Pflanzen- und Tierarten bewahrt. Mit dem guten Gefühl, etwas für den Artenschutz getan zu haben, schmeckt die bayerische Brotzeit, die der Almwirt als Dankeschön bereitet hat, gleich doppelt so gut.

„Die Teilnehmer sollen ein bisschen mithelfen und so die für die Region wertvolle und oft mühsame Arbeit der Almwirte wertschätzen lernen“, sagt Lena Maly-Wischhof von der Biosphärenregion Berchtesgadener Land. Sie hat die Freiwilligenreise in Zusammenarbeit mit der Berchtesgadener Land Tourismus GmbH und dem Nationalpark Berchtesgaden entwickelt. Das Angebot ist der Versuch, in der ökologisch sensiblen Region die Interessen von Tourismus und Naturschutz nachhaltig unter einen Hut zu bekommen.

Der Umweltverband BUND bietet ähnliche Formate an. Zum Beispiel mit einer Reise auf die Insel Juist, wo die Gäste helfen, Strandhafer anzupflanzen und Sandfangzäune aufstellen, um die Dünen zu schützen. „Es gibt immer mehr Menschen, die nicht einfach 0815-Pauschaltouristen sein möchten“, so Maly-Wischhof. „Sie wollen aktiv sein, etwas lernen und der Region etwas zurückgeben.“ Und so wächst das Angebot beständig.

Richtig anpacken

Für jede Neigung und jede Altersgruppe gibt es spezialisierte Anbieter. Richtig mit angepacken müssen Touristen auf der Avontuur, einem Segelschiff, das klimafreundlich Kaffee und Rum um die Welt transportiert. Kapitän Cornelius Bockermann will mit dem Projekt auf die Umweltzerstörung durch die Schifffahrtsindustrie aufmerksam machen und einen alternativen Weg des modernen Transports in den Blick rücken.

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Touristen müssen im Alltag an Bord des Frachtseglers mithelfen. Nachtwachen, Kochen und Deckschrubben inklusive. „Man lernt sich schnell sehr genau kennen und einander zu vertrauen“, sagt Ex-Teilnehmer Martin Gutsch.

Das Earthwatch Institute bietet Laien die Möglichkeit, an wissenschaftlichen Expeditionen teilzunehmen. Unterstützt werden vor allem Vorhaben, für die an Universitäten und Forschungsinstituten keine Mittel bereitstehen.

Biosphere Expeditions organisiert gemeinnützige Naturschutz-Mitforscherreisen. Die Organisation versteht sich als Verbindungsglied zwischen Forschern, die an wichtigen Artenschutzprojekten arbeiten, und Laien, die durch ihre Freiwilligenarbeit diese Projekte ermöglichen.

Einen ähnlichen Ansatz verfolgt die Organisation Oceancare. Sie bietet Urlaub an Bord eines Forschungsschiffes oder in einer Forschungsstation an. Die Reisenden helfen den Wissenschaftlern bei der Arbeit und tragen so zum Schutz von Walen und Delfinen bei.

Wissen weitergeben

Wer Lust hat, sein Wissen weiterzugeben, kann im Urlaub auch unterrichten. Auf der Plattform Teachsurfing gibt es zahlreiche Angebote. Gesucht werden nicht nur Freiwillige, die in Mathe, Physik oder Sprachen Schüler unterstützen können, sondern auch Menschen, die Fotoworkshops oder Fußballstunden geben oder ihr Know-how aus einem jahrelang ausgeübten Hobby teilen möchten. Schulen, NGOs oder lokale Gemeinschaften veröffentlichen auf der Plattform, was sie brauchen, Freiwillige tragen Reisezeiten und Wissen ein – dann wird gematcht.

Bei Mejdi Tours machen Touristen Grenzerfahrungen. Das Sozialunternehmen wurde 2009 vom amerikanischen Juden Scott Cooper und dem Palästinenser Aziz Abu Sarah gegründet. Ihre Idee: Durch Tourismus zur Verständigung im Nahen Osten beizutragen. Auf dem Reiseplan stehen Ausflüge in die besetzten Gebiete und Gespräche mit den Siedlern genauso wie Besuche in einem Flüchtlingslager und Abendbrot bei Palästinensern, eine Visite in einem jüdisch-arabischen Kindergarten oder Begegnungen mit Holocaust-Überlebenden.

Das Konzept ist so einfach wie radikal: alle Seiten sprechen zu lassen. Jede Tour ist einzigartig und wird individuell auf die Wünsche der Gäste zugeschnitten. Die Länge variiert zwischen Tagesausflug bis hin zu mehrwöchigen Intensivreisen. Anne Bauer studierte Tourismusmanagement, als sie durch den TED-Talk des Gründers Aziz Abu Sarah auf Mejdi Tours aufmerksam wurde und sich entschloss, im Rahmen eines Pflichtpraktikums ihres Studiengangs dort für ein halbes Jahr mitzuarbeiten.

Erfahrungen sammeln

„Ich war anfangs skeptisch, ob das was wirklich etwas verändern kann“, sagt die 26-Jährige. Dann bekam sie Feedback von Teilnehmern: Erst die Touren hätten ihnen gezeigt, dass die Lage in Israel noch verzwickter und komplexer sei, als sie gedacht hatten. Und immer wieder beobachtete Bauer, dass die nachdrücklichen Begegnungen etwas in Bewegung setzen. „Oft werden intensive Gespräche geführt, manchmal wird sogar konkrete Hilfe angeboten.“ Darum geht es bei Mejdi Tours: Verständnis wecken, Leute verbinden, sie emotional ansprechen. Und zeigen, wie viel zwischenmenschlicher Kontakt bewirken kann.

Mittlerweile wurde das Angebot auf weitere Länder ausgeweitet. In Irland wird der Konflikt zwischen Katholiken und Protestanten bearbeitet, auf dem Balkan der Jugoslawienkrieg thematisiert. Für Anne Bauer war das halbe Jahr bei Mejdi Tours eine prägende Erfahrung. „Ich habe dabei mehr gelernt, als in meinem kompletten vorherigen Studium.“ Das hatte Auswirkungen auf ihr Leben. Heute studiert sie in Israel Konfliktmanagement.

Titelbild: Autumn Mott Rodeheaver/Unsplash

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Daniela Becker

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