Im Fokus: Stadtentwicklung

Wie wir wohnen bezahlbar machen

Wohnen in deutschen Städten ist zum Luxus geworden. Allein im vergangenen Jahr stiegen die Mieten um durchschnittlich 6 Prozent. Bei 8,70 Euro pro Quadratmeter liegt die Bestandsmiete derzeit. Was tun? Wir haben zwei Experten gefragt:

Neue Bodenpolitik

Dieter Rink, Stadtsoziologe am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig.

“Bezahlbaren Wohnraum in Deutschland werden wir nicht einfach wieder bestellen können. Die Wohnungspolitik ist in vielen Städten an ihr Limit gekommen, ihre klassischen Instrumente greifen kaum noch. Deutschland hatte lange viele preiswerte Wohnungen in öffentlicher Hand. Aber unter dem Einfluss des Neoliberalismus wurden sie in den 1990er- und 2000er-Jahren massiv abgebaut. Viele wurden verkauft, häufig an internationale Investor:innen. Städte haben privatisiert, auch um ihre klammen Kassen zu sanieren. Dresden etwa privatisierte 2006 alle 47.000 kommunalen Wohnungen. Seit 2017 gibt es dort wieder eine kommunale Wohnungsbaugesellschaft. Sie auszubauen, dauert Jahrzehnte.

Wir haben die kommunale Wohnungspolitik in 14 deutschen Städten untersucht. Es ist ernüchternd: Von der Lösung ihrer lokalen Wohnungsfragen sind Städte weit entfernt. Fehler von Jahrzehnten lassen sich nicht in ein paar Jahren ausbügeln. Schon gar nicht, wo Baustoffpreise und Energiekosten steigen, Fachkräftemangel, hohe Zinsen und leere Stadtkassen den Spielraum der öffentlichen Hand einengen. Dabei zeigen uns zwei Städte durchaus, in welche Richtung die Reise gehen könnte: Ulm und – Überraschung – München.

Bebauungsrecht als Bremse gegen Spekulation

Ulm macht seit 125 Jahren eine aktive Bodenpolitik und hat damit auch in den 1990ern nicht gebrochen. Bodenbevorratung heißt das im Fachjargon, wir nennen es gern ,Schwabensozialismus‘. Er funktioniert so: Die Stadt Ulm vergibt nur ein Bebauungsrecht für ein Grundstück, wenn es ihr Eigentum ist. In großem Stil kauft sie daher Grundstücke, bevor sie bebaut werden. Als Eigentümerin kann sie dann eigenständig entscheiden, was mit ihnen geschehen soll, wer sie kaufen darf, welchem Konzept die Bebauung folgen muss und ob sozial- und klimapolitische Ziele Top-Priorität sind. Den Preis legt der Gemeinderat fest, meist liegt er deutlich unterhalb des Marktpreises. Dadurch sinken die Richtwerte für die Bodenpreise generell. Außerdem hat die Stadt ein Wiederkaufsrecht. Private Eigentümer:innen dürfen unbebaute Grundstücke, die einmal der Stadt gehört haben, nicht einfach an Dritte verkaufen, sondern müssen sie erst der Kommune anbieten – zum Ursprungspreis. Eine effektive Bremse gegen Spekulation. Und wenn Ulm ein Grundstück verkauft, wandert der Gewinn automatisch in den kommunalen Bodenfonds. Das Geld darf nur für den Kauf neuer Grundstücke oder die Pflege kommunaler Bestände ausgegeben werden. Und so gehört der Kommune ein Drittel des gesamten Stadtgebiets. Sie kann flexibel auf Missstände reagieren, ohne vom guten Willen irgendwelcher Investor:innen abhängig zu sein.

Der Boden ist der Knackpunkt für die Bezahlbarkeit von Städten. München, die teuerste Stadt Deutschlands, versucht daher mit einem Konzept der ,sozialen Bodenordnung‘ die schlimmsten Exzesse zu verhindern: Sie pumpt so viel Geld wie keine andere Stadt in Wohnungspolitik, zwei Milliarden Euro von 2023 bis 2028. Neubauten auf kommunalem Boden müssen zu 50 Prozent mit Sozialwohnungen bebaut werden, auf privatem Grund zu 30 Prozent. Das macht die Stadt zwar nicht billiger, bremst aber die steigenden Mieten immerhin ab. Die Münchener Initiative für soziales Bodenrecht, ein Bündnis von Stadtgesellschaft, Wissenschaft, Kommune, geht seit 2017 noch einen Schritt weiter. Sie stellt die Grundsatzfrage: Müssen wir nicht endlich einen rechtlichen Rahmen schaffen, um Boden genauso wie Luft und Wasser als öffentliches Gut zu schützen? Welche rechtlichen Wege gäbe es, um den Kommunen wieder mehr Zugriff auf städtischen Boden zu verschaffen, selbst wenn dafür das Recht auf Privateigentum neu gedacht werden muss? – Radikal? Mitnichten. Ohne innovative Ansätze bleiben bezahlbare Städte ein verlorener Traum.”

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Häuser vorm Verkauf schützen

Jochen Schmidt, Mietshäuser Syndikat, Freiburg.

“Unsere Idee ist einfach: Wir wollen verhindern, dass Häuser auf dem Markt gehandelt werden, um Gewinn zu machen. Schließlich sind Häuser nicht irgendein Produkt, sondern lebensnotwendig. Menschen sollten sie zu einem fairen Preis nutzen können. Nachhaltig und gemeinwohlorientiert. Das war die Überlegung, als das Mietshäuser Syndikat vor fast dreißig Jahren in Freiburg gegründet wurde. Heute arbeiten gut 100 Ehrenamtliche dafür, mittlerweile haben wir knapp 190 Projekte bundesweit mitaufgebaut.

Das Mietshäuser Syndikat hat 1.300 Mitglieder. Manchmal hält man uns für Bauherren. Das sind wir nicht. Wir sind eine nicht-kommerziell organisierte Beteiligungsgesellschaft, die Gruppen ermöglicht, gemeinschaftlich Häuser zu kaufen und als Kollektiveigentum zu erhalten. Dafür machen wir zweierlei: Zum einen helfen wir Leuten, die ein Hausprojekt mit uns auf die Beine stellen wollen, bei der Umsetzung. Wir beraten Gruppen ab zehn Leuten. Sie brauchen schon eine konkrete Projektidee, egal ob Neubau oder Umbau. Wir geben ihnen Tipps, wie sie ihre Gruppenstruktur stabil organisieren den Finanzplan machen, Fördermittel beantragen, Privatinvestor:innen gewinnen können, helfen bei der Suche nach Architekt:innen, Buchhaltung, Steuerbüro. Jedes Hausprojekt gründet eine GmbH, 190 gibt es jetzt bundesweit. Die GmbHs managen ihren Hausalltag autonom, wählen Geschäftsführende, entscheiden, ob sie Hausmeister:innen wollen oder nicht. Aber sie müssen sich an einige Grundregeln halten.

Die SUSI liegt im grünen Quartier Vauban in Freiburg. Foto: CC BY-SA 3.0

Solidarisches Wohnen

Deshalb schließen wir zum anderen mit jedem Hausprojekt einen Vertrag ab. Er macht das Mietshäuser Syndikat zur Mitgesellschafterin und sichert uns ein Veto-Recht, damit wir im Zweifelsfall verhindern können, dass eine Projektgruppe ihr Haus doch irgendwann mal verkauft. Außerdem verpflichten wir alle 190 GmbHs dazu, dass sie Mieten deutlich unter dem Marktpreis nehmen. Im Rahmen dieser Vorgabe entscheiden die Hausprojekte über die genaue Miethöhe selbst. Zudem müssen alle Projekte auf die Miete einen Solidaritätsbeitrag aufschlagen, monatlich mindestens 10 Cent pro Quadratmeter. Mit diesem Solibeitrag unterstützen wir neue Hausprojekte.

Derzeit explodiert bei uns die Nachfrage, wir haben 10, 15 neue Projekte pro Jahr. Allerdings wird es immer schwieriger, sie umzusetzen. Baukosten und Zinsen steigen, energetische Sanierungen sind kaum noch finanzierbar. In Dresden und München mussten wir schon Projekte einstellen. Wir bräuchten eine bessere Förderung, durch Staat und Stiftungen etwa. Natürlich sind wir viel zu klein, um die Wohnungsnot zu lösen, aber wir können etwas anstoßen: Lasst uns Wohnen neu denken. Nachahmer:innen in Frankreich, Österreich, den Niederlanden haben wir schon. Und neue Ideen: ein Ackersyndikat, um nachhaltige Landwirtschaftsflächen dauerhaft zu sichern.“

Foto: Creative Commons / CC BY-SA 4.0

In dem kollektiven Wohnprojekt SUSI wohnen derzeit 265 Personen.

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