Früher ging Kristina Göldner „Klos putzen“, wie die 39-Jährige sagt. Heute ist das anders: „Heute pflege ich ein Zuhause, den Ort, an den du dich zurückziehst und Kraft tankst.“ Seit Juli 2018 arbeitet sie bei Klara Grün, einem Berliner Sozialunternehmen für „öko-faire Raumpflege“. Als Julia Seeliger und Luise Zaluski das Start-up ein halbes Jahr vorher gründeten, fragten sie sich: „Wie geht sauber in gut?“
Denn die Branche verspricht zwar Sauberkeit, steht aber für schmutzige Arbeitsbedingungen. Auch Kristina Göldner sagt: „So richtig angestellt war ich in meinen Reinigungsjobs vorher nie.“ Die alleinerziehende Mutter hat keine Ausbildung zur Gebäudereinigerin, arbeitete meist schwarz. So wie etwa 90 Prozent der Haushaltshilfen, die deutschlandweit in gut drei Millionen Privathaushalten sauber machen, aber auch einkaufen gehen. Dort haben sie, anders als die rund 700.000 Beschäftigten der gewerblichen Gebäudereinigung, keinen Anspruch auf den tariflichen Branchenmindestlohn. Der liegt seit Januar bei 11,11 Euro pro Stunde, also über dem gesetzlichen Mindestlohn von 9,50 Euro, den alle bekommen müssen, auch in Privathaushalten. Kristina Göldner hat auch in Großraumbüros geputzt, im Akkord, wie sie sagt. „Das war Hardcore-Putzen und wahnsinnig anstrengend. Keiner achtet darauf, dass du Pausen machst. Die Leute sind austauschbar. Wenn ich den Job unter diesen Bedingungen nicht machen will, stehen hinter mir 20 andere Frauen, die ihn gern übernehmen.“
Reinigungsbranche: Gesellschaftlich eher Frauen zugeschrieben
Es arbeiten vor allem Frauen in der Branche. Das liege auch daran, dass Schmutz in Gebäuden – im Gegensatz zu Straßenschmutz – als etwas Körpernahes und Intimes wahrgenommen werde, sagt Lena Schürmann, die über Arbeit und Geschlechterverhältnisse an der Berliner Humboldt-Universität forscht. Dieser Schmutz werde gesellschaftlich eher Frauen zugeschrieben. Die patriarchale Gesellschaft werte gerade solche Arbeit ab, die vor allem Frauen verrichteten. „Und alles, was wenig wert ist und was sozusagen übrig bleibt auf dem Arbeitsmarkt, wird von benachteiligten Gruppen wie Frauen oder Migrant:innen ausgeführt.“ Zudem spalten wir Arbeit auf, kritisiert Schürmann: in Erwerbsarbeit – also Arbeit zum Geldverdienen – und gesellschaftlich weniger wertgeschätzte, meist unbezahlte Care-Arbeit im Haushalt, die vor allem Frauen erledigen. Die Reinigungsbranche bietet solche Arbeit auf einem Markt an.
Lena Schürmann hat bereits 2012 darüber in ihrer Doktorarbeit „Schmutz als Beruf“ geschrieben. Warum bleiben Reinigungsarbeiten so schlecht bezahlt? Schürmann erklärt das so: „Die Marktprinzipien – steigende Nachfrage, steigende Preise, steigende Löhne – funktionieren in der Reinigung nicht. Es gibt zu viele Menschen, die auch für sehr wenig Geld putzen gehen, weil sie auf einen Verdienst angewiesen sind.“ Die Branche bleibt also prekär: schlechte Bezahlung, hoher Druck und starke körperliche Belastung, wenig gesellschaftliche Anerkennung und kaum gewerkschaftliche Organisation. Im Alter schließlich droht vielen Armut.
Höhere Gehälter und ökologische Reinigungsmittel
Diese Fakten kennt auch Julia Seeliger, Mitgründerin von Klara Grün. Das Sozialunternehmen zahlt neuen Mitarbeitenden 11,50 Euro pro Stunde, nach einem halben Jahr 12 Euro, nach weiteren sechs Monaten 12,50 Euro. In diesem Jahr sollen 31 Cent obendrauf kommen. Die Gehälter liegen über dem Tarifvertrag der Branche und sollen parallel zu ihm ansteigen. Das langfristige Ziel: 14,68 Euro. Dieser Betrag, sagt Julia Seeliger, soll ihre Mitarbeiter:innen sozial absichern. Nach einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung von 2017 reicht diese Summe, um nach einem Vollzeitjob nicht in der Grundsicherung zu landen.
Das Start-up hat mittlerweile etwa 100 Kund:innen – die Hälfte davon Gewerbe. In wenigen Monaten möchte Seeliger die Gewinnschwelle knacken. Und das, obwohl die Konkurrenz, erst recht die Schwarzarbeit, oft deutlich günstiger ist als die 28 Euro, die eine Reinigung von Klara Grün pro Stunde kostet. Das Sozialunternehmen möchte auch ökologischer sauber machen. Alle eigenen Reinigungsmittel seien biologisch abbaubar, frei von Tensiden, Mikroplastik oder Konservierungsstoffen. Anders als Start-ups, die mit Öko-Putzmitteln auf den Markt drängen, verkauft Klara Grün seine Produkte nicht. Langfristig wollen die Gründerinnen stattdessen ein Franchise-Unternehmen aufbauen, gerade testen sie Webinare für andere Unternehmen der Branche. Auch für Privatpersonen gibt Luise Zaluski auf Instagram Putz-Tutorials. Darin dreht sich alles um Soda, Zitronensäure, Natron, Bio-Ethanol und Apfelessig. Wer bei Klara Grün anfängt, lernt in Schulungen, damit zu putzen. Julia Seeliger sagt: „Die ökologische Reinigung basiert in der Regel auf drei Dingen: einem guten Tuch, Fachkenntnis und etwas Wasser.“
Reinigungsbranche: „Bei Klara Grün kann ich sogar ohne Handschuhe arbeiten“
Das habe sich positiv auf ihre Gesundheit ausgewirkt, sagt Kristina Göldner. Als sie noch konventionelle Reiniger nutzte, hatte sie oft Husten, sogar leichtes Asthma. „Bei Klara Grün kann ich sogar ohne Handschuhe arbeiten.“ Finanziell ist es zwar eng, aber sie kommt damit über die Runden, arbeitet in Teilzeit, etwa fünf Stunden täglich, wegen ihrer Tochter. Die meisten der 35 Raumpfleger:innen von Klara Grün arbeiten etwa 20 Stunden, einige 35 Stunden. Alle werden, sofern sie möchten, fest angestellt, manche wählen einen Mini-Job. Nur mit Solo-Selbstständigen oder Subunternehmer:innen arbeitet das Unternehmen nicht.
Die Festanstellung bietet Mitarbeiter:innen den Vorteil, dass sie im Fall von Krankheiten und Unfällen abgesichert sind, in die Rentenkasse einzahlen und Anspruch auf Urlaub haben. Als Vermittlungsagentur könnten sie auch einen gewissen Schutz gewährleisten, sagt Seeliger, heißt: keine WhatsApp nach Feierabend mit der Bitte, „noch mal schnell die Fenster zu reinigen“. Falls doch Überstunden anfallen, werden sie bezahlt, keine der festangestellten Raumpfleger:innen musste seit der Pandemie in Kurzarbeit. Regulär sollen Klara-Grün-Mitarbeiter:innen nicht zu den branchentypischen Zeiten in der Nacht arbeiten.
Tagsüber sauber machen – das könnte die Branche entstigmatisieren. Menschen, die Büros reinigen, verschwinden nicht unsichtbar. „Wenn die Leute sehen, wo die Reinigung herkommt, sehen sie uns als Menschen – und nicht als Staubsauger“, sagt Kristina Göldner. „Andererseits wollen wir auch in Ruhe unseren Job machen. Das geht natürlich besser, wenn da nicht 200 Leute im Großraumbüro rumhüpfen.“ Anders als noch vor einigen Jahren nennt sich Kristina Göldner heute „Raumpflegerin“. Die Bezeichnung werte ihre Arbeit auf. Sie war die erste Angestellte von Klara Grün und fühlt sich als Teil eines Teams. Alle vier Wochen gibt es gemeinsame Meetings, sie kann sich mit Kolleg:innen austauschen, ihr Wissen weitergeben. Auch von den Kund:innen fühlt sie sich gut behandelt. Früher habe sie den Job nur wegen des Geldes gemacht. Heute sagt sie: „Ich arbeite wirklich gern als Raumpflegerin.“
Dreckiger Kapitalismus in sauberer Branche
Wie in unserem kapitalistischen Wirtschaftssystem der berufliche Erfolg der einen auf der Ausbeutung der anderen fußt, zeigt die Reinigungsbranche besonders drastisch: Wenn Manager:innen nicht selbst das Büro putzen müssten, bleibe ihnen mehr Zeit, „effektiv“ zu arbeiten, erklärt die Soziologin Lena Schürmann. Die Kehrseite dieser effizienzmaximierten Arbeitsteilung: Sowohl für die Büroarbeiter:innen als auch für die Menschen in der Reinigung wächst die Belastung. Die Arbeit verdichtet sich, die Effizienzschraube zieht immer weiter an. „Es geht in unserer Gesellschaft primär darum, Profite zu steigern, nicht die Sauberkeit der Dielen, geschweige denn Wohlbefinden oder Gesundheit von Menschen.“ Schürmann schlägt vor: „Weniger verdichtete Arbeit, sodass jede:r wöchentlich zwei Stunden Zeit hat, das eigene Büro wieder schön zu machen.“ Selbstverständlich müsse sein, Reinigungskräfte sozialversicherungspflichtig zu beschäftigen, besser zu entlohnen und Nachtarbeit zu unterbinden – damit ihre Leistung für alle sichtbar wird.Schwarzarbeit
Das Wort „Schwarzarbeit“ ist die umgangssprachliche Bezeichnung einer bezahlten Tätigkeit, für die keine Steuern oder Sozialabgaben entrichtet werden. Die Formulierung ist umstritten, alternativ kann von „informeller Tätigkeit“ gesprochen werden. Denn die Verwendung von „schwarz“ wird in diesem Kontext von manchen als rassistisch kritisiert: Bestimmte positive Eigenschaften würden mit „Weiß“, negative wiederum mit „Schwarz” konnotiert, was in jahrhundertealter christlicher Farbsymbolik wurzle und einen rassistisch-ideologischen Hintergrund habe.Dieser Text ist Teil des Schwerpunkts „Kapitalismus hacken“ der Ausgabe 02/21.
Auch in unserem Podcast „Good News“ geht es in der Folge vom 20. Mai um die Reinigungsbranche. Du findest den Podcast auf Spotify, Apple Podcasts und überall da, wo es Podcasts gibt. Den RSS-Feed findest du hier.
Saubere Drecksarbeit: Mit ihrem Social Start-up „Klara Grün“ wollen Luise Zaluski (links) und Julia Seeliger (rechts) die Arbeitsbedingungen in der Reinigungsbranche verbessern.