Warum sprecht ihr von grünem Kolonialismus?
Eva Maria Fjellheim, 35, untersucht in ihrer Doktorarbeit an der Arctic University of Norway (UiT) den Konflikt der Hirten mit den Windpark-Investoren auf der Halbinsel Fosen:
„Norwegen hat wie alle Länder zugestimmt, seine Emissionen zu reduzieren und Maßnahmen durchzuführen, die die Klimaerwärmung bremsen. Daher werden Investoren und Firmen großzügig subventioniert, die Windenergie-Vorhaben in Norwegen umsetzen wollen. Viele Windressourcen liegen in den Bergen, und die Berge sind traditionell wichtige Gebiete für die Rentiere und ihre Hirten. Das Weiden der Rentiere ist in den vergangenen Jahren im Winter immer schwieriger geworden, etwa durch unvorhersehbare Temperaturschwankungen, überdurchschnittlich starke Schneefälle und große Eisflächen auf den Weiden, die die Nahrungssuche für die Tiere unmöglich machen. Das sind alles Folgen des Klimawandels.
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Zu diesen Schwierigkeiten für die Hirten kommen juristische Auseinandersetzungen über die Gebiete der Windenergie-Projekte. Zum Beispiel bei Europas größtem Festland-Windenergie-Projekt auf der Halbinsel Fosen, das Gegenstand eines Rechtsstreits zwischen Hirten und den staatlichen Energieanbietern Statkraft und Statnett ist. Die Hirten haben Klage wegen Missachtung ihrer Menschenrechte eingereicht. Sie befürchten zu Recht, dass durch den Windpark das Weiden der Tiere eingeschränkt oder unmöglich wird. Weil die Baumaßnahmen jedoch der Erzeugung grüner Energie dienen, finden die Hirten nur schwer Verbündete.
Der norwegische Staat ist verpflichtet, das Rentierweiden zu schützen. Es wird als materielle Basis unserer Sámi-Kultur und -Lebensweise anerkannt. Das Weiden ist eine der ältesten Formen der Allmende-Landnutzung und könnte kaum nachhaltiger sein. Es schützt nicht nur die Existenzgrundlage der Hirten, sondern bewahrt das Land für alle. Nun stehen aber viele Hirten unter Druck, diese Grundlage ihrer Existenz für ein höheres Ziel aufzugeben: grüne Energie für alle. Die Firmen und Investoren zur Erzeugung dieser grünen Energie kommen auch aus Deutschland und der Schweiz. Dass der Bau ihrer Großprojekte unsere Rechte als Indigene verletzt, scheint ihnen egal zu sein. Aufgrund dieser Konflikte sprechen wir Sámi-Aktivisten von kolonialistischer Landnahme, von einem neuen Kolonialismus in grünem Gewand. Unser Land wird uns weggenommen und fragmentiert, und all das im Namen der Energiewende.
Warum sprechen wir nicht über dahinterliegende Fragen, zum Beispiel jene nach einem guten Leben? Wollen wir wirklich unseren Konsum und unser Wachstum noch weiter steigern? Was ist die grünste Energie? Es ist die Energie, die wir nicht brauchen.“
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Kurz erklärt:
Die Sámi sind das einzige indigene Volk in Nordeuropa. Ihr Siedlungsgebiet (Sápmi) erstreckt sich über die Landesgrenzen von Norwegen, Schweden und Finnland bis nach Russland. Die Sámi lebten ursprünglich als Nomaden gemeinsam mit ihren Rentieren, die sie auf Sommer-und Winterweiden hielten. Neben der Rentierzucht zählen Fischen und Jagen zu ihrer Lebensweise, außerdem gelten sie als Erfinder des Skifahrens. War die Rentierwirtschaft früher der Haupterwerb der Sámi, leben heute nur noch 10 bis 15 Prozent von der Tierzucht. Die meisten der 90 000 bis 140 000 Sámi leben im Norden Norwegens, etwa 24 000 von ihnen sprechen noch eine der samischen Sprachen.Norwegen ist das einzige Land, das die Sámi nicht nur als Minderheit anerkennt, sondern als indigene Bevölkerung mit besonderem Schutzstatus. Die Samen haben ein eigenes Parlament (Samenting) mit Ablegern in Norwegen, Schweden und Finnland. Es besitzt kein Vetorecht gegenüber Beschlüssen der Landesparlamente, sondern hat rein beratende Funktion.
Was bedeutet es, eine junge Indigene in Norwegen zu sein?
Elen Ravna, 24, ist Vorsitzende der Sámi-Jugendorganisation Noereh und lebt in Tromsø:
„Wir Sámi sind in Norwegen in einer schwierigen Situation. Im Vergleich zu anderen indigenen Völkern auf der Welt sind wir privilegiert. Wir leben in einem reichen, demokratischen Land mit einem freien Bildungssystem und haben die gleichen Rechte wie alle Norweger. Wir haben das Recht, unsere Kultur und Traditionen zu leben, fischen und jagen zu gehen, unsere Rentiere zu weiden, Sámi-Sprachen und traditionelle Handwerkskunst zu lernen. Deswegen denken viele (von uns), wir sollten uns nicht diskriminiert fühlen. Dennoch gibt es eine Menge struktureller Diskriminierung. Ich wusste immer, dass meine Familie zu den Sámi gehört, aber ich hatte keine Ahnung, was das bedeuten könnte. Wir haben keine Sámi-Sprache zu Hause gesprochen, auch nicht über unsere Traditionen geredet. Ein typisches Resultat der Assimilierungspolitik, die in Norwegen jahrzehntelang üblich war.
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Sámi-Geschichte spielte in meiner Schule keine Rolle, und kein Lehrer in der Highschool erwähnte, dass es Sámi in der Klasse gab. Mein Sprachunterricht in Sámi passte nie in meinen Stundenplan, er fand entweder parallel zu anderen Fächern statt, sodass ich nicht zum Sportunterricht konnte. Oder ich musste vor oder nach der Schule hin.
Die meisten Norweger wissen kaum etwas über Sámi, das führt zu vielen Klischees und unterschwelligem Rassismus. Fragen nach deiner Herkunft können wehtun, so als würden andere immer wieder infrage stellen, dass du überhaupt eine Sámi bist. Das ist schmerzhaft, besonders wenn du gerade selbst herausfindest, was Sámi-Sein für dich bedeutet.
Zu den größten Diskriminierungen kommt es, wenn unsere Sámi-Rechte mit wirtschaftlichen Interessen kollidieren. Geld scheint immer wichtiger zu sein als die Rechte von Minderheiten. Ich habe einmal während eines Treffens mit den skandinavischen Ministerpräsidenten über neue Bergbauprojekte gefragt: „Warum sind diese Minen wichtiger als Sámi-Rechte?“ Die Antwort war: „Aber wir retten doch die Welt mit den abgebauten Materialien. Wir stellen daraus elektrische Autos her.“ Tatsächlich aber werden unsere Ressourcen für eine grüne, nachhaltige Wirtschaft verkauft.
Ja, wir haben das Sámi-Parlament, und unsere Rechte als indigene Bevölkerung sind besonders geschützt. Aber in den meisten Fällen erfüllen unsere Institutionen einen rein beratenden und repräsentativen Zweck. So können norwegische Politiker sagen, dass ihnen die Sámi am Herzen liegen. Aber nur, weil man uns hierzulande nicht umbringt, heißt das nicht, dass wir uns nicht gegen Diskriminierung wehren und Ungerechtigkeit bekämpfen sollten. Sámi zu sein darf kein Geschenk des Staates sein. Es ist unser Recht.“
Dieser Artikel erschien auch im Schwerpunkt „Pioniere der Nachhaltigkeit“ in der aktuellen, solidarischen Ausgabe, die wir allen kostenlos als E-Paper zur Verfügung stellen.
Indigene knüpfen weltweit Netzwerke: Sámi-Aktivistin Eva Maria Fjellheim hier zusammen mit der Menschenrechtlerin Thelma Cabrera vom Volk der Mam, die bei den Präsidentschaftswahlen 2019 in Guatemala kandidierte.