Schwarze Löcher verstehen

Supernova des Verstands

Schwarze Löcher übersteigen unsere Vorstellungskraft – begreifen wollen wir sie trotzdem. Meine Suche nach Antworten beginnt in einer Kunstausstellung, die erlebbar machen will, was Einstein einst am Schreibtisch errechnete.

Diesen Artikel kannst du dir auch vorlesen lassen! Den Podcast „Zukunft hörst Du hier an“ findest du auf SpotifyApple Podcasts und überall da, wo es Podcasts gibt, sowie über den RSS-Feed.

Wie würde es sich anfühlen, in ein Schwarzes Loch zu fallen? Es gibt nicht mehr viele Fragen, die Ratlosigkeit auslösen. An einem Ort ohne Grenzen, an dem „Galaxienhaufen“ verschmelzen, Sterne in einer Supernova explodieren und Schwarze Löcher kollidieren, stoßen wir an unsere Grenzen.

Verkrümmung der Raumzeit

Es rauscht wie in einem Windtunnel und bebt wie am Rande eines Vulkans kurz vor dem Ausbruch. Beides habe ich noch nie erlebt, vorstellen kann ich es mir trotzdem. Ich befinde mich in einer experimentellen Installation des britischen Kollektivs „Marshmallow Laser Feast“ im Nxt Museum in Amsterdam. Sie heißt Verkrümmung der Raumzeit und zeigt das Unvorstellbare.

Shifting Proximities

Die Ausstellung „Shifting Proximities“ läuft vom 29. August 2020 bis voraussichtlich 30. Juni 2021 im Nxt Museum in Amsterdam – dem ersten New Media Art Museum der Niederlande. Insgesamt erkunden acht immersive, multisensorische Installationen „die menschliche Erfahrung und Interaktion im Angesicht des sozialen und technologischen Wandels“, darunter „Distortions in Spacetime“ des Londoner Kollektivs Marshmallow Laser Feast. Coronabedingt bleibt das Museum bis zum 2. März 2021 geschlossen.
Bild: Peter Tijhuis

Der Raum, in dem ich stehe, ist eine Box aus Spiegeln mit einem riesigen Bildschirm. Eine sound- und farbgewaltige Animation spiegelt sich in den Wänden, der Decke und dem Boden wider. Tausende Datenfragmente fliegen so wie Funken eines Lagerfeuers um mich herum, wilder Sternenstaub dehnt und krümmt sich in der schweren Dunkelheit. Der Boden scheint zu vibrieren. Laut der Kurator*innen erlebe ich „die letzten Augenblicke eines Riesensterns“ und die, potenziell, ersten Augenblicke neuen Lebens. Anstatt „die kosmische Verbindung zwischen Schwarzen Löchern, sterbenden Sternen und unserer Existenz zu verstehen“, finde ich das Spektakel vor allem wunderschön.

Schwarze Löcher entstehen, wenn Sterne sterben und in sich zusammenstürzen. Die experimentelle Installation „Distortions in Spacetime“ des Londoner Kollektivs Marshmallow Laser Feast will diesen Prozess erlebbar machen.
Bild: Marshmallow Laser Feast

Warum schwarze Löcher keine Löcher sind

Schwarze Löcher entstehen, wenn riesige Sterne am Ende ihres Lebens kollabieren, weil die Anziehungskraft zwischen den Teilchen ihrer Masse zu stark wird. Ihr Inneres verdichtet sich unendlich. Wir müssten die Erde „auf die Größe einer Kirsche zusammenpressen“, dann wäre auch sie ein Schwarzes Loch, sagt der Physiker und Journalist Dirk Lorenzen. Irgendwann ist so viel Materie in einem extrem kleinen Punkt konzentriert, dass nicht einmal Licht entkommt. Dieser Punkt heißt „Singularität“ und markiert das Ende von Raum und Zeit, wie wir sie kennen.

Heino Falcke nennt es „das perfekte Dunkel“. 2019 gelang dem Team des deutschen Astrophysikers eine Sensation: das erste Foto eines Schwarzen Lochs (genauer: von dessen Schatten), aufgenommen durch zahlreiche, über die ganze Welt verteilte Teleskope, die so leistungsstark seien, dass man „in Paris sitzen und in New York Zeitung lesen“ könne. Von der Idee bis zur Entstehung vergingen 25 Jahre, zwei davon dauerte die Aufnahme selbst. Sie bildet ab, was Albert Einstein 1915 vorhersagte und Roger Penrose 1965 nachwies. Der britische Mathematiker legte als Erster dar, dass Schwarze Löcher eine natürliche Konsequenz von Einsteins Relativitätstheorie sind. Raum und Zeit hängen davon ab, wie wir sie messen – sie sind also relative Größen. Licht hingegen ist immer gleich schnell und damit der entscheidende Faktor: Wie schnell Licht schwingt bestimmt die Zeit, wie schnell Licht durch den Raum fliegt bestimmt, wie groß der Raum ist. In Schwarzen Löchern ist die Anziehungskraft so stark, dass Licht ständig zurückgezogen wird und nicht mehr „fliegt“. Zeitreisen werden theoretisch möglich …

Ausgabe #2 als PDF erhalten

Gratis Ausgabe für dich

Die Bestseller-Ausgabe “Von Cyborgs und Chatbots” nimmt das Thema künstliche Intelligenz unter die Lupe – hier kannst du dir die Ausgabe gratis als PDF-Download sichern.

Auch zu sehen in der Ausstellung: Die Installation „Topologies #1“ von den ebenfalls britischen Künstler*innen United Visual Artists (UVA). Die geometrische Lichtarchitektur der Halle verändert, wie Besucher*innen den Raum, in dem sie sich befinden, wahrnehmen.
Bild: UVA
Fakten sind manchmal phantastischer als Fiktionen
Stephen Hawking

Nach der wissenschaftlichen Entdeckung Schwarzer Löcher stellten sich dem Menschen zwei Fragen: Sind sie für uns gefährlich? Und, selbstverständlich: Wie können wir sie für unsere Zwecke nutzen?

Schwarze Löcher sind „schlafende Hunde“, sagt Lorenzen. Sie täten gar nichts, solange man ihnen nicht zu nahe komme. Das ist einfach: 27.000 Lichtjahre liegt ein Schwarzes Loch in unserer Milchstraße entfernt. Ein Lichtjahr sind rund 9,5 Billionen Kilometer. Interessanter ist die zweite Antwort: Schwarze Löcher haben aufgrund ihrer Masse einen extrem hohen Energieanteil. Die Energie eines einzigen Schwarzen Lochs wäre groß genug, um die gesamte Versorgung der Menschheit zu sichern. Forscher*innen der Universität Glasgow fanden in einem Experiment 2020 heraus, dass es möglich ist, ihre Rotationsenergie zu nutzen, die entsteht, während schwarze Löcher Raum „ansaugen“. Dafür müssten wir ein kleines Exemplar auf einen Orbit um die Erde bringen. Warum sollten wir das tun?

Auch auf Good Impact: Unsere Zukunft im Weltall – Die dunkle Seite des Mondes

Die „schlafenden Hunde“ sind hellwach und hungrig. Sie lassen nichts wieder hinaus, was hineingeht, sind Trillionen Kilometer entfernt, Milliarden Kilometer breit und Millionen Sonnenmassen schwer. „Fakten sind manchmal phantastischer als Fiktionen“, schreibt der 2018 verstorbene Physiker Stephen Hawking in seinem letzten Buch. An einer anderen Stelle heißt es: „Wenn Sie, die Füße voran, auf ein Schwarzes Loch zufallen, wird die Gravitation unendlich viel stärker an Ihren Füßen als an Ihrem Kopf ziehen, weil Ihre Füße dem Schwarzen Loch näher sind.“ Menschen würden „der Länge nach gestreckt und seitlich zusammengequetscht“ – also „zu Spaghetti verarbeitet“. 

Das ist die rationale Antwort auf meine Frage, die ich in die Ausstellung hineingetragen habe. Anders als die Wissenschaft muss Kunst nichts, kann aber alles. Etwa nachdenklich stimmen. Während der moderne Mensch gierig Fakten jagt und sammelt, geht die wohl wichtigste Tatsache unter: Wir sind nicht vollkommen, sondern vollkommen unbedeutend. Die Erde braucht uns nicht, der Kosmos schon gar nicht. Wir sie schon. Wann fangen wir an, uns auch so zu verhalten? 

Weiterschauen, weiterlesen

Eine überschätzte Spezies, Mini-Dokuserie in der ARTE Mediathek über Phänomene, die zeigen, wie unbedeutend der Mensch ist.

Dein Abo, dein Preis

Werde eine*r von über 5.000 Abonnent*innen und finanziere unsere journalistische Arbeit. Du kannst selbst entscheiden, welcher Preis für dich fair und machbar ist.

  • 6 Ausgaben / Jahr
  • Abos schon ab 35 € / Jahr

Für alle, die sich ein Abo nicht leisten können, bieten wir außerdem kostenlose Soli-Abos.

Kurze Antworten auf große Fragen, letztes Buch des verstorbenen Astrophysikers Stephen Hawking mit Antworten auf Fragen wie „Sind Zeitreisen möglich?“ und „Gibt es anderes intelligentes Leben im Universum?“.

Dark (fiktive Netflix-Serie), eine spannende deutsche Produktion über „Wurmlöcher“, die Zeitreisen ermöglichen.

Dieser Text ist Teil des Schwerpunkts „ALL RIGHT?“ der Ausgabe 01/21 des enorm Magazins.

Bild: Barnaby Steel

Die Kunstinstallation „Distortions in Spacetime“ lädt zu einer bild- und tongewaltigen Reise in die Galaxie ein. Sie soll Besucher*innen das „Leben und Sterben“ Schwarzer Löcher näherbringen.

Miriam Petzold

Weiterlesen