Im Fokus: „Glokale“ Lieferketten

Bambuswälder zwischen Nordsee und Mittelmeer

Bambus ist ein extrem schnell nachwachsender Rohstoff, – und eine Alternative zu Stahl, PVC, Tropenholz. Bislang setzt Europa auf Import. Warum eigentlich? Er wächst doch auch hierzulande, zeigt das Unternehmen BambooLogic. Ein Gespräch mit Gesellschafter Hans Friederich.

Bambus aus Europa, das klingt verrückt.

Hans Friederich: Die meisten Menschen denken, Bambus wächst nur in Asien. Dabei gibt es 1.700 verschiedene Arten, verteilt über die ganze Welt. Die größte Bambusindustrie hat China. Vieles von dem, was dort geerntet und hergestellt wird, kommt nach Europa. Kein anderer Kontinent importiert mehr. Das bedeutet weite Wege, Transport-Emissionen und unzuverlässige Lieferketten – nicht nur hinsichtlich der Lieferzeiten, sondern auch der Qualität. Es ist sehr schwierig zu prüfen, was am anderen Ende der Welt in den Container kommt. Qualitätskontrollen sind deutlich einfacher, wenn die Produktion näher dran ist …

… und Ziel des niederländischen Unternehmens, BambooLogic, dessen Teilhaber und Berater Sie sind. Es baut seit 2020 Bambus in Portugal an, um die europäische Bambuswirtschaft anzukurbeln.

Seine Arbeit passt perfekt in die politische Agenda der EU: In deren sogenannten Green Deal geht es auch um naturbasierte Lösungen und die Kreislaufwirtschaft. Und Bambus lässt sich als nachhaltige Alternative für tropisches Hartholz nutzen, für PVC-Kunststoffe, Stahl, Baumwolle und Werkstoffe wie Glasfasern. BambooLogic zählt mehr als 10.000 Produktanwendungen. Zudem möchte der portugiesische Staat seine Agrarindustrie neu gestalten. Traditionell werden dort vor allem Kiefern angepflanzt, dazu gab es vor vielen Jahren auch ein Förderprogramm der EU. Aber: Viele Kiefern im ärmeren Süden des Landes sind tot, weil sie nicht richtig gepflegt wurden. Es gibt viel Fläche, die nicht genutzt wird und relativ günstig ist. Dort, in Alcoutim, liegt unsere größte Plantage. Von aktuell 160 Hektar wollen wir bald auf 2.000 Hektar aufstocken.

Der Geograf Hans Friederich ist leitender Berater und Gesellschafter beim niederländischen Unternehmen BambooLogic, das eine europäische Bambuswirtschaft aufbauen will, und Botschafter der World Bamboo Organisation. Zuvor war er Regionaldirektor für Europa bei der Weltnaturschutzunion (IUCN). Der Niederländer nennt sich selbst „Aktivist für naturbasierte Lösungen“.

Bedeutet das nicht Konkurrenz für den Anbau von Lebensmitteln und die Forstwirtschaft?

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Das Land ist unglaublich karg, sehr trocken. Für Nahrungspflanzen ist die Erde zu ausgelaugt, sie müsste erst mal wiederbelebt werden. Dann könnten zum Beispiel Eichen, Mandel- und Olivenbäume gepflanzt werden. Nur würde es sehr lange dauern, bis sich die Investitionen auszahlen. Bambus dagegen heilt den Boden beim Wachsen, macht ihn wieder fruchtbar. Und er braucht weniger Wasser als die meisten Obst- und Gemüsesorten oder auch Baumwolle. Formell ist Bambus kein Holz, sondern ein Gras und muss nur einmal gepflanzt werden. Wer ihn erntet, fällt also keine Bäume, sondern mäht Gras. In etwa zehn Jahren ist das Erdreich gesund genug, um zwischen dem Bambus andere Pflanzen anzubauen …

… damit wäre dann eine Art Agroforstsystem geschaffen: Bäume kombiniert mit Ackerkulturen.

In Indien etwa wird Bambus als Schattenspender für Heilpflanzen wie Aloe Vera genutzt und in Kolumbien und Ecuador als Schattenbaum für Kaffee. BambooLogic möchte aber erst einmal reine Bambusplantagen schaffen, wobei ich das Wort Bambuswälder passender finde: Zwischen den Stangen wachsen etwa 70 verschiedene Pflanzenarten und Unterwuchs. Das bleibt bei der Bambusernte alles stehen. So schauen auch mal Rehe und Füchse, Wildschweine, Bienen und Vögel vorbei.

Haben die Menschen in Portugal Vorbehalte, weil Bambus keine heimische Art ist?

Es gibt Landwirt:innen, die ihn seit vielen Jahren anbauen. Kleine Bambusstöcke lassen sich etwa in der Weinwirtschaft nutzen, als Befestigung für die Reben. Mit den großen Bambusstangen wissen die meisten nichts anzufangen. Generell fehlt das Bewusstsein für die Vielseitigkeit von Bambus. Dass er keine heimische Pflanze ist, mag ein Grund sein. Am Beispiel der Kartoffel, die aus Südamerika stammt, zeigt sich aber: Das kann sich ändern. Bambus allerdings wird noch dazu oft als invasiv abgestempelt, weil sich seine Wurzeln rasant ausbreiten. Im urbanen Kontext verstehe ich das: Wird das Rosenbeet des Nachbarn überfallen, ist das ein Problem. Wir aber wollen, dass sich die Pflanzen auf unserem Land ausbreiten und rasch wachsen. Fast einen Meter pro Tag schafft ein Riesenbambus und ist bereits nach vier Jahren reif für die Ernte.

Bambus wächst schnell und bindet dabei viel CO2. Foto: Unsplash / Jason Leung

Wer interessiert sich für Bambus aus Europa?

BambooLogic wird vor allem von europäischen Unternehmen angesprochen, die ihren Bambus bisher aus China beziehen, etwa von Textilherstellern, Papierproduzenten und Innenarchitekten. Sie sind auf der Suche nach einer Alternative in der Nähe, um ihre Lieferketten resilienter zu machen. Bambus, der nach europäischen sozialen und ökologischen Standards angebaut wird, verspricht Qualität und Verlässlichkeit.

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Die Unternehmen wollen also ihre Lieferketten diversifizieren, es geht ihnen nicht darum, die Importe aus China zu ersetzen?

Klar ist: Wir werden in Europa niemals mit den Millionen Hektar Bambus in China konkurrieren können. Ob sich Importe aus China für neue Anwendungsfelder ersetzen lassen, hängt vom Bedarf ab. Wir sind zum Beispiel in Kontakt mit einem Betrieb, der Verbundwerkstoffe herstellt und Bambus als Alternative für Glas- und Karbonfasern einsetzen will. Dabei geht es um dünne, plastikähnliche Materialien für Teile von Autos, Windrädern oder auch Prothesen. Solche Betriebe brauchen keine großen Mengen, könnten ihren Bedarf also vermutlich aus Europa beziehen. Auch eine andere Firma, die unseren Bambus abnehmen möchte, könnte das langfristig. Für ihre Taschentuch- und Toilettenpapierherstellung benötigt sie etwa 2.000 Hektar. BambooLogic möchte seine Produktion von Portugal auf andere Länder ausweiten, um langfristig auf 8.000 Hektar zu kommen – Spanien, Griechenland, Frankreich, sogar die Niederlande. Ein Landwirt in der niederländischen Provinz Brabant ist schon dabei.

Wächst Bambus an der Nordsee genauso schnell wie im Regenwald?

In den Niederlanden bauen wir keinen tropischen Bambus an, sondern eine Art aus China, die dort in gemäßigtem Klima wächst: Moso. Ob sie in der Provinz Brabant genauso schnell wächst, wissen wir noch nicht. Dass sie wächst, schon. Im Land gibt es bereits kleine Bambus-Gärten.

Vor allem für die Baubranche scheint Bambus ein Gamechanger: Schon nach 4 Jahren ist die Pflanze reif für die Ernte, bei vielen Holzarten dauert es 10 bis 50 Jahre. Zudem bindet Bambus viel CO2: eine Tonne etwa 450 Kilogramm. Eine Tonne Stahl verursacht 2.020 Kilo CO2. Noch dazu sind Bambusfasern stärker als Stahl. Warum landen sie trotzdem überwiegend in Zahnbürsten und Salatbesteck?

Bambus galt lange Zeit als „poor men’s timber“ aus Asien – Holz für arme Menschen. Dort wurden die Gräser lange als natürliche Pfähle genutzt, für Hütten oder Brücken. Das lassen europäische Baubestimmungen nicht zu. Also musste erst mal ein technisches Baumaterial her, genannt „engineered bamboo“. Dafür werden die hohlen Bambusstangen imprägniert und in dünne Streifen geschnitten, die anschließend zu einem Brett oder Balken zusammengeklebt werden. Inzwischen wird Bambus öfter verbaut als gemeinhin angenommen. Als ich zum ersten Mal die Luxemburger Botschaft in Peking betrat, dachte ich, sie sei innen und außen aus Holz gebaut. Dabei sind die Innenräume komplett aus Bambus. So auch das Hotel Jakarta in Amsterdam: Böden, Fenster- und Türrahmen, Decken, Dekoration – alles aus Bambus. Genau wie die Deckenverkleidung im Flughafen von Madrid. Das passt auch zu einem generellen Branchentrend: Biobasierte Materialien werden wiederentdeckt, wie Stroh und Hanf …

… oder Flachs und Myzel, also Pilzfäden. Solche Naturstoffe werden ja schon lange als Baumaterialien der Zukunft gepriesen. Meist hakt es wegen der strengen Standards und Normen.

Um Bambus nicht nur für die Innenausstattung, sondern auch für strukturelle, tragende Konstruktionen einsetzen zu können, müssten die Baunormen erst einmal geändert werden. Das ist in Europa unwahrscheinlich beziehungsweise es würde lange dauern. Anders in Kolumbien und Ecuador: Nachdem die Länder 1999 und 2016 Erdbeben erlebten, änderten sie ihre Baugesetze. Denn sie hatten festgestellt, dass jene Häuser aus Bambus und Mörtel während des Bebens stabil blieben. Jetzt kann man dort Kredite für Bambusbauten bekommen.

Hat BambooLogic denn schon Interessenten aus der Baubranche?

Wir sprechen gerade mit einem Holzfabrikanten, der Wandvertäfelungen und -platten herstellt. Er will eine seiner Produktreihen auf Bambus umstellen.

Wäre es nicht besser, wenn Bambus statt Holz klimaschädliche Baustoffe wie Beton ersetzen würde?

Es geht auch um Kombinationen. Bambus und Holz passen gut zusammen. Und viele Firmen, die ihr Holz aus Osteuropa beziehen – aus der Ukraine, Belarus und Russland –, fragen sich: Wohin kann ich ausweichen? Mit der Betonindustrie sind wir noch nicht in Kontakt. Aber wir wurden von einem Partnerbetrieb der Deutschen Bahn angesprochen, ob wir Bambus für ihre Bahnschwellen liefern können. Das sind Betonelemente im Abstand von 60 Zentimetern, auf denen die Schienen liegen. Bambus wäre hart genug, das haben sie getestet. Allerdings können wir die nötige Masse nicht liefern.

Wäre die CO2-Bilanz von Bambusschwellen, die aus China kommen, nicht immer noch besser als die von Schwellen aus europäischem Beton?

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Ja, aber Beton ist günstig. Die Treibhausgase, die bei der Produktion von Zement verursacht werden, sind leider noch nicht im Preis inbegriffen.

Es gibt ja noch mehr Unternehmen, die das Gras in Europa anbauen, wie OnlyMoso und Forever Bambù. Doch wie schaffen wir nicht nur eine europäische Bambus-, sondern eine Kreislaufwirtschaft?

Bleiben wir beim Beispiel Bauen. Der erste Schritt ist, klar, das Angebot: genügend Plantagen. Schritt zwei: die Herstellung. Wir brauchen mehr Unternehmen, die „engineered bamboo“ fertigen können, also Bretter aus zusammengeklebten Bambusstreifen, mit denen gebaut werden kann. Schritt drei: Die Produktion muss kreislauffähigen Prinzipien folgen. Dazu gehört, dass nur Klebstoffe eingesetzt werden, die biologisch abbaubar sind. So kann das Produkt am Lebensende wiederverwertet oder recycelt werden, um den Verbrauch frischer Rohstoffe zu senken. Ganz nach dem Bambus-Prinzip: Bambus muss nur einmal gepflanzt und kann dann stetig geschnitten werden. Aus dem gleichen Setzling sprießt neues Gras, immer und immer wieder.

Foto: Unsplash / Franco Mariuzza

In Asien werden Bambusstangen seit Jahrhunderten zum Bau von Häusern und Brücken eingesetzt.

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