Nahkonzerte, Zauberei im Autokino & Co.

Kultur trotz Pandemie: 7 kreative Ideen

Dass Kunst essentiell ist, zeigte die Pandemie. In der Krise musste die Kulturbranche jedoch umdenken. Wie geht Kunst anders? Musik, Schauspiel, Verlag, Performance, Magie, Kulinarik und Galerie: Sieben Kreative im Kurzporträt.

Astrid Kohrs: Hörbücher statt Theaterbühne

„Ich bin Schauspielerin, habe etwa am Schlosspark Theater Berlin gespielt oder Episoden-Rollen in Fernsehproduktionen. Viele meiner Aufträge brachen in der Pandemie weg. Daher habe ich mich im Juni 2020 mit zwei Kolleg:innen zusammengetan und ein Independent-Hörbuch-Label gegründet: Die GehörGäng. Mittlerweile sind wir eine Gruppe aus etwa zwanzig Sprecher:innen und vier Techniker:innen. Die meisten von uns sind um die fünfzig Jahre alt und Frauen. Bei einer Fortbildung im Winter 2018 habe ich Aufnahme und Schnitt gelernt. Ich wollte nicht auf Engagements als Sprecherin warten, sondern selbst produzieren können. Jetzt nehme ich auch andere auf, oft in meinem kleinen selbst gebauten Studio in Berlin-Schöneberg. Wir arbeiten vor allem mit kleineren Verlagen zusammen. Normalerweise kauft man von den Verlagen die Lizenzen, um ein Buch zu vertonen. Bei uns ist das anders: Wir gehen gemeinsam mit den Verlagen ins Risiko und teilen den möglichen Gewinn am Ende. Zunächst haben wir dadurch gar nichts verdient, aber langsam trägt unser Projekt Früchte: Diesen Monat waren sechs von uns vollbeschäftigt. Aber nächsten Monat kann das schon wieder ganz anders sein. Gerade deshalb ist es wichtig, dass wir unsere Energie in Texte stecken, die wir gut finden und die uns etwas bedeuten: zum Beispiel Krimis mit starken weiblichen oder diversen Hauptfiguren, aber auch Artikel des enorm Magazins für den Podcast Zukunft hörst Du hier an. So haben wir das Gefühl, dass wir dieser Pandemie nicht hilflos ausgeliefert sind. Wir füllen unsere Zeit sinnvoll. Als Künstler:innen haben wir eine Sehnsucht danach, uns auszudrücken.“

Auch bei Good Impact: Lehren aus der Pandemie: Wie die Kulturwirtschaft sich neu erfinden muss

Isabel Lewis: Zoomnähe statt Live-Performen

Eigentlich arbeitet Isabel Lewis bei ihren Projekten und Performances mit Nähe und Körperlichkeit. Die in der Dominikanischen Republik geborene Künstlerin, Tänzerin und Choreografin hat neue Ausdrucksformen gefunden, um ihrem Publikum trotz aller Vorsichtsmaßnahmen nahe zu kommen. So zeigt sie zum Beispiel in Online-Seminaren, dass ein sinnlicher Austausch auch über Webkameras entstehen kann. Zusammen mit den Teilnehmer:innen erforscht sie die technischen Geräte, spürt der Wärme der Tastatur nach und beobachtet die Spiegelungen in der Kameralinse. Blickkontakt und gemeinsame Bewegungsübungen machen die Seminare zu intimen Erlebnissen. Außerdem hat Lewis zusammen mit der künstlerischen Leiterin der Berliner Galerie Wedding, Solvej Helweg Ovesen, im Rahmen des Ausstellungsprogramms „Existing Otherwise“ (XO) ein Bewegungszentrum konzipiert. Vor der Galerie zeigen die Kurator:innen, wie sie „anders existieren“, nämlich im öffentlichen Raum. Unter freiem Himmel und auf dem Rathausvorplatz finden Performances statt.

Alexander Straub: Screen-Magie statt Zauberbühne

Seit Corona zauberst du im Autokino – wie geht das denn?

Alexander Straub: Ja, fand ich auch erst mal komisch. Du stehst vor der Leinwand wie in einem Fernsehstudio, umringt von Kameras, die dein Bild übertragen, und guckst über eine Art endlosen Parkplatz. Dann machst du deine Sprüche und alle schweigen. Irgendwann hupen die ersten. Für manche Tricks bin ich durch die Autoreihen gelaufen, habe Leuten die Karten vor das heruntergekurbelte Fenster gehalten. Das war zwar ungewohnt, aber irgendwie funktioniert es. Allerdings ist eine Autokinoshow teurer als eine normale Show, und am Ende hast du nur einen Bruchteil der Einnahmen. Du brauchst mehr Technik, mehr Personal und hast weniger Platz für Publikum.

Also ab in den digitalen Raum.

Da wusste ich glücklicherweise, wie es geht. Seit 2015 habe ich einen YouTube-Channel mit über 300.000 Follower:innen, zaubere mit Youtuber:innen wie Julien Bam oder Julia Beautx, aber meist fehlt die dritte Dimension. So bin ich auf die Magic-in-a-box-Show gekommen. Die Zuschauer:innen bekommen eine Kiste mit kleinen Überraschungen geschickt. Jemand in der Online-Show wählt dann zum Beispiel eine von 52 Karten aus, die ich ihm in den Bildschirm halte. Dann müssen die Zuschauer: innen zu Hause einen kleinen Draht aus der Box über einer Kerze erhitzen – langsam verformt er sich bei allen zur Zahl der vorher gewählten Karte. 

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Klingt eigentlich toll, der digitale Zauber.

Manches ist gut, ich komme einzelnen Zuschauer:innen in einer Zoom-Show viel näher als im Theater. Da sehe ich nur die ersten beiden Reihen. Das Publikum macht mehr mit. Oft entstehen kleine Happenings, Leute treffen sich für meine Live-Show in kleinen Gruppen online. Aber nichts kann die Spannung auf der Bühne ersetzen, das Gefühl, wenn man das Weggezauberte plötzlich wieder in den Händen hält – huch, wie hat er denn das gemacht?

Auch bei Good Impact: Julius Heinicke und Lisz Hirn im Gespräch: „Scheitern gehört zur Kunst“

Willem Velthoven: Tafeln im Gewächshaus statt im Restaurant 

Mediamatic ist ein Kulturzentrum und Restaurant in Amsterdam, das viel mit Kunst und Pflanzen experimentiert. Seit Mai 2020 können Menschen aus einem Haushalt in unseren Mini-Gewächshäusern dinieren. Diese ,Serres‘ (franz. für Gewächshäuser, Anm. d. Red.) wurden schon vorher genutzt, etwa von einer taiwanesischen Künstlerin, die darin virusinfizierte Pflanzen ausstellte. Dann kam die Pandemie. Und mit ihr die Idee des Social-Distancing-Dinners – ohne soziale Abschottung. Wir stellten fest, dass die Beengtheit eine angenehme Intimität und Akustik schafft.

Anfangs steckte der Teufel im Detail. Wie können wir die Gänge servieren, ohne in die Komfortzone unserer Gäst:innen einzudringen? Wir bauten lange Holzbretter, die teils auch als Teller dienen. Die Gewächshäuschen hatten keine Türgriffe, klar, normalerweise schützen sie Lebewesen ohne Hände! Also montierten wir welche. Damit das Essen auf dem Weg von der Küche zum Tisch trocken bleibt trotz Regen, brauchten wir Servierglocken. Allerdings gibt es nur runde zu kaufen, keine rechteckigen, die auf unsere Servierbretter passen. Am Ende wurden wir im Gartencenter fündig … Unsere Idee wurde weltweit, von Berlin bis New York kopiert und optimiert – was wir erhofft hatten. Obwohl wir unser Restaurant (ein großes Gewächshaus!) wieder öffnen durften, möchten wir weitermachen mit den elf Serres. Auch wenn es ein ineffizientes Konzept ist – es macht einfach unheimlich Spaß. Und natürlich hat es uns auch finanziell durch diese Krise geholfen.“

Social-Distancing-Dinner im Glashaus: Die Idee des Kulturzentrums und Restaurants „Medimatic” in Amsterdam wurde weltweit bekannt und von Berlin bis New York kopiert.
Bild: Willem Velthoven, Mediamatic

Léa Villeneuve: Nahkonzerte statt Orchestersaal

„Die Idee zu den 1:1 CONCERTS ist schon vor Corona entstanden, 2019 beim Kammermusikfestival im thüringischen Volkenroda. Das Thema des Festivals war ‚einfach‘. So haben die Organisator:innen mit diesem Format die Essenz von Musik herausgearbeitet: ein:e Musiker:in und ein:e Zuhörer:in, mehr braucht es nicht für ein Konzert. Seit Kultur wegen Corona hinter die Bildschirme verbannt wurde, finden diese 1:1 CONCERTS weltweit statt, und das schon über 8.000-mal. Ungewöhnliche Orte verwandeln sich in Bühnen, Gastgeber:innen laden ein in ihre Bars und Galerien, manchmal auch in eine Tiefgarage oder einen Schrebergarten. Jedes Konzert beginnt mit einer Minute Blickkontakt. Erst dann entscheiden wir Musiker:innen, welches Stück wir spielen möchten. Das Konzert selbst dauert nur zehn Minuten. Es gibt keine Worte und keinen Applaus. So entsteht eine ganz besondere Stimmung. Es ist eine Möglichkeit, Menschen emotional zu berühren und Nähe zu erleben, trotz Abstand. Musiker:innen namhafter Orchester spielen ehrenamtlich, bei freiem Eintritt können die Besucher:innen spenden. Die Erlöse gehen an die Deutsche Orchester Stiftung und kommen so Musiker:innen zugute, die in eine Notlage geraten sind.“

Verlag &Töchter: Durchstarten statt Aufgeben

Lydia, du hast mit anderen im Oktober 2019 den Verlag &Töchter gegründet, kurz vor der Pandemie. Fluch oder Segen?

Lydia Hilebrand: Beides. Das Projekt &Töchter haben wir vor allem mit Lese-Events an außergewöhnlichen Orten gestartet, zum Beispiel in einem Boxstudio. Das ging 2020 nicht. Der Segen ist, dass Lesen gerade verstärkt als sinnvoller Zeitvertreib wahrgenommen wird.

Welchen Einfluss hat es, dass ihr fünf Gründerinnen seid?

Nach außen hin wird das immer wieder betont. Da sind wir auch stolz drauf. Auch wenn es eher Zufall ist, weil wir uns aus dem Verlagswesen-Studium kennen und da einfach kein Mann war. Wir sind auch enge Freundinnen.

Was für Bücher verlegt ihr?

Nur Bücher, die wir selbst lesen würden. Es geht uns auch darum, mit den Büchern gesellschaftlichen Wandel anzustoßen. Zum Beispiel zeigt unser zweites Buch Great Green Thinking, wie Klimaschutz mit Klassismus und Rassismus zusammenhängt und wie eine klimagerechte Welt aussieht. Im September kommt Schwarz wird großgeschrieben raus, eine Essay-Sammlung von 20 Schwarzen Autor:innen über ihr Leben in Deutschland. Unsere Bücher werden übrigens nach dem Cradle-to-Cradle-Verfahren, also in einer Kreislaufwirtschaft, produziert.

Worauf freut ihr euch nach der Pandemie am meisten?

Warum wir keine Paywall haben

Liebe:r Leser:in,

leider kann sich nicht jeder Mensch journalistische Angebote leisten. Mit einer Bezahlschranke würden wir manche Menschen von unserem Online-Magazin ausschließen. Daher gibt es in unserem Online-Magazin keine Paywall. 

Aber auch wir benötigen Einnahmen, um Gehälter und Miete zu bezahlen. Die Lösung: Du entscheidest selbst, ob und wie viel du für unsere journalistische Arbeit bezahlen kannst – und wir verzichten auf Paywall und nervige Werbebanner.

Darauf, die Lesenden und Autor:innen endlich persönlich zu treffen. Und auf die Frankfurter Buchmesse, da haben wir einen Stand gewonnen. Den Buchverlag haben wir ja gegründet, weil wir das Analoge so sehr lieben. Und aus Zufallsbegegnungen können tolle neue Projekte entstehen.

App FitArt: Kunstworkout statt Galeriebummel

Homeworkouts liegen in der Coronakrise im Trend. Die Züricher Galerie Roehrs & Boetsch hat das Konzept jetzt übernommen und eine Fitness-App für Kunstworkouts entwickelt. Aktuell sind über die App FitArt zwei Workouts verfügbar. Jedes enthält vierzehn 30-sekündige Videoclips, die Ausschnitte von Kunstwerken zeigen. Zu jeder „Übung“ bietet die App einen kurzen Text mit Hintergrundinformationen. Die Workouts „Connected in Isolation“ und „Female Body“ werfen einen kritischen, oft ironischen Blick auf Selbstoptimierung, Körperlichkeit und Sexualität und stellen damit stereotype Körper- und Schönheitsideale infrage. FitArt macht Lust auf Kunst, ist aber eher eine Aufwärmübung als ein Workout zum Auspowern.

Bild: Markenfotografie

Anders musizieren mit Manuel Westermann beim 1:1 CONCERT: Die Idee sei schon vor Corona entstanden. Seit Kultur wegen Corona hinter die Bildschirme verbannt wurde, finden diese Nahkonzerte weltweit statt. 

enorm Redaktion

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