Leere Straßen, geschlossene Läden, ausgebremste Produktion: Die Corona-Pandemie legt das öffentliche Leben lahm und trifft die Wirtschaft mit voller Wucht. Ist die Krise verheerender als der Einbruch 2008/2009? Immer wieder werden Parallelen zwischen Finanzkrise und Coronakrise gezogen – auch wenn damals das Leben der meisten Menschen weiterhin in gewohnten Bahnen verlief.
„Die Kosten werden voraussichtlich alles übersteigen, was aus Wirtschaftskrisen oder Naturkatastrophen der letzten Jahrzehnte in Deutschland bekannt ist“, sagte der Präsident des Ifo-Instituts, Clemens Fuest, über die aktuellen Lage. Der Chef des Münchner Flughafens Jost Lammers stellte fest: „Die Auswirkungen der Corona-Krise sind massiver als die Folgen der Anschläge vom 11. September 2001 oder der weltweiten Finanzkrise von 2008.“ Und der Chef der staatlichen Förderbank KfW, Günther Bräunig, erklärte: Mittlerweile sei absehbar, „dass das Ausmaß der Krise deutlich über das hinausgeht, was wir aus der Finanzkrise kennen“.
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Coronakrise und Finanzkrise: Gibt es Parallelen zwischen 2020 und der Finanzkrise 2008/2009?
Anders als die von einem Virus ausgelöste aktuelle Krise hatte die Finanzkrise ihren Ursprung im weltweiten Bankennetz – und laxen Regeln. Erst finanzierten Geldhäuser über Jahre Zehntausenden Amerikanern Häuser und Wohnungen – auch solchen, die sich ein Leben auf Pump nicht leisten konnten. Die schlecht besicherten Kredite – sogenannte Subprime-Hypotheken – bündelten findige Finanzjongleure zu Päckchen und verkauften sie in großem Stil. Weil Ratingagenturen die undurchschaubaren Wertpapiere mit Bestnoten adelten, interessierte sich bald niemand mehr für deren riskanten Inhalt.
Die Blase platzte, als viele Kreditnehmer ihre Raten nicht mehr zahlen konnten. Was im Frühjahr 2007 wie ein auf die USA begrenztes Problem aussah, wuchs sich spätestens mit der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers am 15. September 2008 zu einer weltweiten Bankenkrise aus. Banken mussten Milliardenverluste verkraften, das Vertrauen in Geschäftspartner erodierte, etliche Institute wurden mit Steuermilliarden vor dem Kollaps gerettet.
Die Verwerfungen im Finanzsystem trafen die Weltwirtschaft mit Wucht, nahezu alle Volkswirtschaften rund um den Globus stürzten 2009 in eine Rezession, in Deutschland schrumpfte die Wirtschaftsleistung um 5,7 Prozent. Für den noch jungen Euroraum wurden die Jahre ab 2010 zur Zerreißprobe. Weil politische Rezepte zunächst fehlten, wurden Zentralbanker zu den „Helden der Krise“, wie es die heutige EZB-Präsidentin und damalige IWF-Chefin Christine Lagarde 2014 formulierte. US-Fed, Europäische Zentralbank (EZB) und weitere Notenbanken senkten die Zinsen drastisch und pumpten Milliarden in die Märkte, um ein Austrocknen der für Unternehmen und Verbraucher so wichtigen weltweiten Geldströme zu verhindern.
Überwachung und schärfere Regeln für Banken
Die Politik bemühte sich, Lücken bei der Überwachung von Banken zu schließen und schärfere Regeln international festzuzurren. Doch das dauerte. Immerhin: Vieles, was nach der Finanzkrise auf den Weg gebracht wurde, erweist sich in der Corona-Krise als solides Fundament. Banken müssen zum Beispiel deutlich mehr Eigenkapital vorweisen, mit dem sie in Krisen Verluste abpuffern können. Die EZB überwacht die großen Banken im Euroraum zentral und sollte die Abwicklung einer maroden Bank nötig sein, gibt es auch dafür nun europäische Regeln. Für Staaten zogen die Europäer als Rettungsnetz den Euro-Rettungsschirm ESM ein und Notenbanken haben inzwischen reichlich Erfahrung mit Notfallmaßnahmen wie Anleihenkäufen.
Die Finanzkrise katapultierte die G20 – die Gruppe der großen Industrie- und Schwellenländer – zum zentralen Forum der wirtschaftlichen Zusammenarbeit. 2008 kamen erstmals auch die Staats- und Regierungschefs der G20 zusammen und koordinierten ihr Vorgehen. Seit der Finanzkrise habe sich in diesem Format gezeigt, „dass wir gemeinsam besser die weltweiten wirtschaftlichen Probleme lösen können und Entwicklung überall fördern können“, bilanzierte später Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Der gemeinsame Kampf gegen die Coronavirus-Pandemie lief zögerlich an. Selbst innerhalb der Europäischen Union schlossen Staaten im Alleingang Grenzen. „Wir haben anfangs in den Abgrund geschaut“, befand EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen. Inzwischen arbeiten die Finanzminister der Eurozone mit Hochdruck an einem Rettungsschirm für EU-Staaten. Von der Leyen verspricht Hilfen in Milliardenhöhe. Streit um die richtigen Instrumente gibt es weiter.
Coronakrise und Finanzkrise: Spannungen zwischen G20-Partnern
Und die Staats- und Regierungschefs der G20 beschlossen kürzlich ein gemeinsames Vorgehen. Was aber alles andere als einfach ist – auch weil US-Präsident Donald Trump seit seinem Amtsantritt die America-First-Strategie verfolgt und Chinesen sowie Europäer mit Vorwürfen überzieht. Auch die Spannungen unter den G20-Partnern – dazu gehören unter anderen die Türkei, Saudi-Arabien, Brasilien oder Russland – haben zuletzt zugenommen.
Konjunkturprogramme und Rettungsmilliarden für Banken in der Finanzkrise ließen ohnehin schon gewaltige staatliche Schuldenberge weiter wachsen – ein Problem vor allem für die schwächeren Euro-Volkswirtschaften. Sie mussten immer höhere Zinsen aufbringen, um frisches Geld am Kapitalmarkt zu bekommen, was die Schulden weiter in die Höhe trieb. Für Griechenland, Portugal, Irland und Zypern wurden internationale Hilfsprogramme aufgelegt – jeweils gegen strenge Reform- und Sparauflagen der Geldgeber.
Auch in der Coronakrise wird die Staatsverschuldung angesichts billionenschwerer Rettungspakete, höherer Ausgaben für steigende Arbeitslosigkeit und sinkender Steuereinnahmen steigen. „Im laufenden Jahr werden die Staatsschulden angesichts der Coronavirus-Pandemie stark zunehmen“, erwartet die Bundesbank für Deutschland. Doch es gibt einen entscheidenden Unterschied zur Finanzkrise: Die Notenbanken helfen massiv. Die Staatsanleihenkäufe der EZB sicherten hochverschuldeten Eurostaaten den Zugang zum Kapitalmarkt, argumentiert Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer.
Europas größte Volkswirtschaft dürfte 2021 wieder wachsen
Einen Parallele zwischen Finanzkrise und Coronakrise: Auch erstere kündigte sich schleichend an. Nach Bekanntwerden der neuartigen Lungenkrankheit in China Anfang dieses Jahres gab es zunächst die Hoffnung, es bleibe regional begrenzt. So zeigte sich etwa US-Notenbankchef Jerome Powell Ende Januar mit Blick auf das globale Wachstum noch „vorsichtig optimistisch“.
Hoffnung bereitet im Rückblick das schnelle Wiederanspringen der deutschen Wirtschaft nach dem schweren Konjunktureinbruch 2009: Nur ein Jahr später meldete sich Europas größte Volkswirtschaft eindrucksvoll zurück, es folgte ein zehnjähriger Aufschwung. Ökonomen rechnen aktuell mit einer ähnlichen Entwicklung: Die deutsche Wirtschaft dürfte im kommenden Jahr wieder wachsen, weil die Krise eine im Kern gesunde Volkswirtschaft trifft.
Viele Bauprojekte wurden europaweit – wie hier auf Teneriffa – wegen der Folgen der Finanzkrise 2008/2009 eingestellt. Die deutsche Volkswirtschaft erholte sich allerdings schnell, ein langer Aufschwung folgte bis zur Coronakrise (Symbolbild).