Naturalistischer Garten

Zuhause die Artenvielfalt retten

Wenn man nicht verreisen kann, muss der Urlaubsort zu einem kommen. Ein naturalistischer Garten kann das. Mit einer solchen Bepflanzung holt man sich das Hochgebirge oder die Steppe nach Hause –  und kann außerdem der Artenvielfalt helfen.

Der Garten ist eigentlich nur das grüne Wohnzimmer vor dem Haus. Doch in den Zeiten der eingeschränkten Bewegungsfreiheit kann er mehr sein: Urlaubs- und Sehnsuchtsort. Er lässt sich auch entsprechend gestalten – mit einer Bepflanzung, die so auch in der weltweiten Natur vorkommen könnte. Kleine alpine Felspartien werden mit einer Gartenmauer nachgebildet, ein schattiges Beet mit großblättrigen Pflanzen spielt mit dem Gefühl, durch einen Regenwald zu wandern. Und bunt blühende Präriegestaltungen wecken die Lust auf Freiheit und Abenteuer im US-amerikanischen Stil.

Nicht erst seit der Pandemie gibt es diesen Trend zum naturalistischen Gartenstil. Professor Cassian Schmidt, Leiter des Schau- und Sichtungsgarten Hermannshof in Weinheim, erkennt darin eine gesellschaftliche Geisteshaltung. „Der Mensch sieht die Natur gefährdet, so dass er ihr im Garten mehr Raum gibt“, sagt er.

Naturalistischer Garten: Dem Artensterben entgegen wirken

Dazu kommen für Sven Nürnberger, Gärtnermeister im Frankfurter Palmengarten und Buchautor, die vielerorts stattfindende Entwicklung der Verkleinerung von Wohnräumen und die spürbaren Eingriffen durch die Landwirtschaft in die Natur. „Was verloren geht, will der Mensch wiederholen – und so versucht man dem Artensterben durch die Förderung von Vielfalt im Garten entgegen zu wirken“, sagt er.

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Aber worum geht es hier denn genau? Viele Gärten mit ihrem akkuraten Rasen und den bunt zusammengewürfelten Pflanzen haben wenig mit der Natur zu tun. Und beim naturalistischen Gestaltungsansatz geht es auch nicht um die Nachbildung der eigenen Natur vor der Haustür mit heimischen Pflanzen – etwa indem man statt dem englischen Rasen nun eine Wiese anlegt.

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Der naturalistische Garten bedient sich dem Repertoire von exotischen, nicht heimischen Pflanzen. „Man holt sich die Inspiration aus der Natur“, sagt Schmidt. Und erschafft kreativ Gartenbilder von fremden Orten – und zwar in einer „überhöhten, ästhetischen Form“. Oder wie es Experte Nürnberger ausdrückt: Der naturalistische Stil ist eine Art gesteuerte Natur.

Als Beispiel führt Experte Schmidt eine Steppenlandschaft an: „Sie lebt von Gräsern, den Rispen des Salbeis und den flachen schirmförmigen Blütenständen der Schafgarben.“ Diese typischen Pflanzen werden nach dem Chaosprinzip locker auf der Fläche verteilt, ohne, dass einzelne Arten als größere Gruppe oder in schematischer Regelmäßigkeit auftauchen. So entsteht eine Pflanzung in drei Schichten: „Hohe Gerüstbildner, mittelhohe Füllpflanzen und flache Bodendecker sind die Grundlage für Vielfalt“, erklärt Prof. Schmidt.

Eine Natursteintreppe mit Alpenpflanzen

Eine Alternative ist die Landschaft des alpinen Hochgebirges: Man kann hierfür zum Beispiel eine Natursteintreppe im Garten als Grundlage nehmen und diese mit Polster- und Rosettenpflanzen aus diesem Gebiet bepflanzen, schlägt Nürnberger vor. Wichtig: Dafür nimmt man nicht nur echte Wildformen der Pflanzen, sondern auch robuste und erlesene Züchtungen, die ihren natürlichen Charakter bewahrt haben. Da nicht die komplette Natur eines Ortes nachgebildet wird, sondern nur Auszüge, kann man auch „verschiedene Gartenstile kombinieren und mitunter auch nur einzelne Vegetationsausschnitte herausnehmen“, führt Buchautor Nürnberger an.

Prof. Schmidt etwa empfiehlt die Kombination der Steppenlandschaft mit unseren Zwiebelpflanzen des Frühlings. „Diese Frühblüher bestimmen in den Frühlingswochen das Bild und ziehen sich dann vollkommen zurück, so dass Stauden und Gräser den Eindruck prägen“, so Prof. Schmidt. So hat man auch in Zeiten, wenn die Steppe noch karg ist, im Garten immer ein paar hübsche Pflanzen.

Und diese Kombination hat auch handfeste praktische Vorteile: Pflanzengemeinschaften sind in Trockenzeiten stabiler, da ihre Wurzeln bis in unterschiedliche Tiefen wachsen und sie nicht alle auf gleicher Ebene Wasser ziehen. Auch verhindert der hohe Grad der Bodenbedeckung eher Verdunstung von Wasser. Und: „Wenn der Tisch so vielfältig gedeckt ist, dann werden von dieser Biodiversität automatisch mehr Insekten angelockt“, führt Schmidt aus.

Standort und Boden müssen zur Bepflanzung passen

Das A und O für einen naturalistischen Garten ist die grundlegende Planung. „Bevor man sich in einzelne Pflanzen quasi verliebt, sollte man analysieren, welche Standorte und Bodenverhältnisse im Garten gegeben sind“, erklärt Nürnberger. Sonst haben die Pflanzen nie eine Chance. Warme, geschützte Plätze sind beispielsweise ideal für mediterrane Landschaften mit Gräsern und trockenheitsliebenden Halbsträuchern. Im zweiten Schritt muss man die passenden Pflanzengemeinschaften finden. Aber man darf den Betreuungsaufwand einer solchen nicht heimischen Bepflanzung nicht unterschätzen, betont Nürnberger. Eine automatische Bewässerung hilft zwar, Zeit zu sparen, sollte aber vor der Bepflanzung eingebaut werden.

Und wenn alles gepflanzt ist, gilt es auch loszulassen – und die Entwicklung der Pflanzen auf ihre natürliche Weise zu beobachten. Die Gemeinschaft der Pflanzen hat eine eigene Dynamik. Man muss lernen, nur wenig lenkend einzugreifen und eine natürliche Interaktion der Strukturen zu akzeptieren. „Ein naturalistischer Garten ist für intelligente Faule ideal – wobei die Betonung auf dem Adjektiv liegt“, sagt Prof. Schmidt dazu, und nimmt damit Bezug auf ein Zitat des bekannten Gartenphilosophs und Staudenzüchters Karl Foerster (1874-1970).

Erda Estremera/Unsplash

Und wenn alles gepflanzt ist, gilt es auch loszulassen – und die Entwicklung der Pflanzen auf ihre natürliche Weise zu beobachten.

Dorotheé Waechter, dpa

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