Vorbilder für Deutschland?

So revolutionieren Paris und Bogotá den Radverkehr

Bogotá lässt schon seit mehr als 45 Jahren sonntags keine Autos mehr auf viele Straßen. London macht mit Millionensummen Stadtbezirke radfreundlicher. Paris will nicht länger eine Autometropole sein. Sind das Vorbilder für Deutschland?

Autofreie Sonn- und Feiertage auf vielen Straßen, stark verkehrsberuhigte Viertel, groß angelegte Umwidmungen von Straßen für den Radverkehr – von solchen Beispielen aus dem Ausland erhofft sich der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) Inspirationen für den Radverkehr in Deutschland. Vergangene Woche stellte der ADFC einige dieser potenziellen Vorbild-Projekte vor. In einem Online-Symposium wurde diskutiert, ob und wie sie sich in Deutschland umsetzen ließen.

In einem Grußwort sagte Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD), der ADFC habe Debatten angestoßen – von dem Austausch sollten sich viele Kommunen inspirieren lassen. „Unser gemeinsames Ziel ist es doch, möglichst viele Menschen aus dem Auto auf das Rad zu bringen.“

ADFC-Bundesgeschäftsführer Burkhard Stork versprach: „Alle Beispiele, die wir vorstellen, sind mit deutschen Regelwerken vereinbar.“ Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung der Versicherer (UDV), mahnte, verantwortliche Politik müsse alle Bürger*inneninteressen im Blick haben und moderieren. Die einzelnen Projekte im Überblick:

Barcelona: Die Superblocks

Seit 2017 setzt man in Barcelona auf sogenannte Superblocks. Das Prinzip: In Quartieren von drei mal drei Wohnblöcken wird das Auto größtenteils verdrängt. Die Geschwindigkeit wird auf zehn Stundenkilometer beschränkt, es gibt Einbahnstraßen, Kraftfahrzeuge dürfen nur noch links abbiegen. Die Gebiete sollen so nur noch für Anwohner*innen und den Lieferverkehr sinnvoll zu befahren sein. Gleichzeitig werden neue Grünflächen, Radwege oder Sitzflächen geschaffen.

Nach ADFC-Angaben verdoppelten sich die Grünflächen, die Stickstoffdioxid-Emissionen sanken um ein knappes Viertel und die Viertel wurden lebenswerter. Die Anzahl kleiner Läden in den Begegnungsbereichen sei um 30 Prozent gestiegen.

Unfallforscher Brockmann sagte, das Konzept gehe weit über die in Deutschland gut eingeführten „verkehrsberuhigten Bereiche“ hinaus. Ansätze für eine solche grundsätzliche Umgestaltung gebe es etwa in Berlin, sie würden von Anwohner*innen sehr kritisch begleitet.

Keinen Artikel verpassen

Hol dir deine Dosis Inspiration – in unserem kostenlosen Newsletter.

London: Bezirke werden zu „Mini-Hollands“

„Mini-Hollands“ werden drei Außenbezirke Londons genannt, die mit jeweils 30 Millionen Pfund (rund 33,4 Millionen Euro) Zuschuss von der Stadt fahrradfreundlicher gemacht wurden. „Mit dieser Finanzspritze könnte auch in deutschen Kommunen einiges beschleunigt werden“, sagte Unfallforscher Brockmann. Es wurden von der Straße getrennte Radwege, Fahrradparkhäuser sowie Radschnellwege ins Zentrum angelegt. Es gibt „modale Filter“, die nur bestimmte Fahrzeuge – etwa Fahrräder oder Busse – durchlassen. Statt Parkplätzen gibt es „Parklets“, kleine öffentliche Bereiche mit Grünflächen.

Laut ADFC nahm der Verkehr in den verkehrsberuhigten Zonen um etwa die Hälfte ab. Anwohner fuhren mehr Rad, gingen mehr zu Fuß, Stickstoffdioxid- und Feinstaubbelastung gingen zurück. Der Einzelhandel nahm demnach um 30 Prozent zu, es gab weniger Leerstand.

Bogotá und Stockholm: Temporär autofrei

Viele Straßen in der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá sind an Sonn- und Feiertagen autofrei: und das bereits seit mehr als 45 Jahren. Insgesamt 127 Straßenkilometer stehen damit an 70 Tagen im Jahr Fußgängern und Radfahrern frei. Die autofreien Straßen sind in zehn Hauptachsen unterteilt, die 145 Routen und Rundkurse ermöglichen.

Auch auf Good Impact: Medelín: Von der gefährlichsten zur innovativsten Stadt der Welt

In Stockholm sperrt man seit 2017 mehrere Straßen gleich den ganzen Sommer lang für den Auto- und Lkw-Verkehr. Von Mitte Mai bis Mitte September entstehen dort stattdessen Fußgängerzonen mit Pflanzen, Möbeln oder Pop-Up-Parks. Bei 58 bis 71 Prozent der Anwohner*innen, je nach Straße,  finden die Maßnahmen demnach Zustimmung.

Paris: 300 Kilometer neue Fahhradwege und die 15-Minutenstadt

Die französische Hauptstadt ist eigentlich stark vom Autoverkehr dominiert. Seit 2015 gibt es aber den „Plan Vélo“, laut ADFC eines der größten Projekte der Radverkehrsförderung weltweit. Ziel ist, Hunderte Kilometer Straße in ein durchgängiges Radverkehrsnetz umzuwidmen. Bereits 300 Kilometer Radwege wurden umgesetzt. Laut ADFC stieg die Zahl der Radler*innen bereits wenige Monate nach Öffnung der neuen Radwege um rund die Hälfte. Mehr Frauen, Eltern und ältere Menschen legten nun ihre Alltagswege mit dem Rad zurück.

Paris habe sehr schnell ein großes Netz für den Radverkehr realisiert, sagte Brockmann. „Ein großes Netz ist aber noch kein sicheres Netz“, sagte er. Viele deutsche Kommunen seien auf einem besseren Niveau. Für Christophe Najdovski, bis April stellvertretender Bürgermeister von Paris, sind Schnellstraßen an der Seine nun ein „Radfahrer- und Fußgängerparadies“. Flächenumwidmungen hätten Plätze vom Kreisverkehr zu einem „richtigen Platz“ gemacht. Die Pläne sind Teil des „15-Minuten-Stadt-Kozepts“ der Stadt, in der alle wesentlichen Einrichtungen innerhalb von 15 Minuten mit öffentlichen Verkehrsmitteln, zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreicht werden.

Umweltministerin Schulze sagte, auch Autofahrer*innen profitierten von mehr Radverkehr: „Sie stehen vor allen Dingen deshalb im Stau, weil es zu viele Autos und noch zu wenige Radfahrende gibt.“ Ein Großteil des öffentlichen Raums gehöre dem Auto. Weniger Platz für Autos und Parkplätze bedeute mehr Raum für platzsparende Mobilität, Spiel, Sport, Freizeit und wirtschaftliche Betätigungen wie Außengastronomie.

Bild: imago images / Hans Lucas

Ein junger Fahrradfahrer in Paris. Die Stadt will weg von ihrem Image als Autometropole.

enorm Redaktion, dpa

Weiterlesen