Nachhaltige Konzepte

Wie die Eventbranche ums Überleben kämpft

Die Kultur- und Kreativbranche allein ist schon ein heterogener Mix, die Eventwirtschaft ist ihr Rückgrat. Über Branchen, die am Jetzt verzweifeln und sich doch für die Zukunft erneuern.

Am 27. Februar 2020 kracht Christian Eichenberger in die größte Krise seines Lebens. Die Internationale Tourismusbörse ist abgesagt, innerhalb von fünf Stunden türmen sich Stornos für Aufträge über 3,8 Millionen Euro in seiner Mailbox. Von einem Tag auf den anderen stürzt sein bis dahin florierendes Unternehmen Partyrent auf: Null. Null Einnahmen, null Aufträge. Bei fünf Millionen Euro Fixkosten im Monat für Gehälter, Versicherung des Fuhrparks, Miete der Logistikhalle für Stühle, Zelte, Ausstattung. Eichenberger: „Es war wie mit 100 Sachen gegen die Wand fahren.“

Was hat ein Ausstatter wie Partyrent mit Kultur zu tun? „Eine ganze Menge“, sagt Eichenberger. Die Veranstaltungsbranche, Jahresumsatz 130 Milliarden Euro, ist das Rückgrat der Kulturszene. Ohne Beleuchtung und Stühle, ohne Zelte, Bühnenbau und Techcrew keine Konzerte und keine Live-Events, aber auch keine Messen, Spendengalas, Businessevents, aus deren Einnahmen so viel im Kultursektor finanziert wird.

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#AlarmstufeRot in der Kulturwirtschaft

Und doch fällt die Veranstaltungswirtschaft zunächst weitgehend durchs Raster, als wegen der Pandemie Events gecancelt werden. Die Kulturhilfen können die Companys als Wirtschaftsunternehmen nicht in vollem Umfang in Anspruch nehmen, das Corona-Überbrückungsprogramm greift nicht ausreichend. „Die Umsätze brachen um 70 bis 90 Prozent ein“, sagt Eichenberger, der auch einräumt: „Erfolgsverwöhnt hatte unsere Branche jahrelang zuvor versäumt, sich eine Stimme zu geben.“ Mit anderen Veranstalter:innen gründet Eichenberger die Initiative #AlarmstufeRot. Im Juni 2020 strahlen 9.000 Eventlocations der Republik in flammendem Magenta. Signal: Hilfe – wir brennen!

Christian Rost geht es nicht viel anders. Er ist Vorstandsmitglied des Bundesverbandes Kreative Deutschland, einer Vereinigung von 3.500 Selbstständigen, von Filmemacher:innen über Musiker:innen bis zu Architekt:innen. „Vor allem das Wegbrechen der Live-Events hat viele unserer Mitglieder brutal getroffen“, sagt Rost. Freie Mitarbeitende von Ensembles verloren Aufträge, Festivals wurden abgesagt, Lesungen gecancelt. Eine aktuelle verbandsinterne Umfrage zeigt: 73 Prozent sehen ihre Existenz bedroht, 50 Prozent fürchten, 2021 nicht zu überleben – und wollen den Kultursektor verlassen. Rost: „Wir müssen gucken, was übrig bleibt.“

Deutschlands Kultur- und Kreativlandschaft von den Veranstalter:innen bis zu den Soloselbstständigen ringt nach 15 Monaten Pandemie nach Luft. Die Veranstaltungswirtschaft bekommt zwar seit Herbst Unterstützung, aber immer noch bleiben viele Companys auf bis zu dreißig Prozent der Kosten sitzen. Für die Kulturschaffenden im engeren Sinn sind die Prognosen trotz milliardenschwerer Programme wie dem Neustart Kultur (2 Milliarden Euro; August 2020) und dem Sonderfonds des Bundes für Kulturveranstaltungen (2,5 Milliarden Euro, Mai 2021) düster. Das zeigt das zweite Betroffenenpapier des Kompetenzzentrums Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes vom Februar 2021.

Kulturbranche – Wer ist das eigentlich?

Demnach brach der Umsatz der Kultur- und Kreativwirtschaft (KKW) 2020 um circa 22,4 Milliarden Euro ein, das entspricht 13 Prozent weniger als im Vorjahr. Das allein sagt noch nicht viel, denn die KKW ist extrem heterogen. Sie besteht aus elf „Teilmärkten“. Die Märkte Werbung und Software/Games werden unter Kreativwirtschaft zusammengefasst und haben mit 41 Prozent den Löwenanteil am Gesamtumsatz der Branche. Zur Kulturwirtschaft zählen die restlichen neun Teilmärkte von Kunst über Film bis zu Rundfunk.

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Die Teilbereiche der Kulturbranche im Überblick. Nicht aufgeführt sind sonstige Kulturschaffende, die keinem dieser Teilmärkte angehören, ihr Umsatz liegt 2020 bei ca. 0,9 Mrd. Euro.

Quelle: Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes/ Betroffenheitspapier Frühjahr 2021 / Monitoringbericht Kultur- und Kreativwirtschaft 2020 BMWI
Grafik: Eva Leonhard

Der genaue Blick zeigt: Während die Kreativwirtschaft nur ein Minus von 6 Prozent machte, schrumpfte die Kulturwirtschaft um 19 Prozent. Besonders drastisch traf es die darstellende Kunst (-85 Prozent), die Musikwirtschaft (-54 Prozent), den Kunstmarkt (-51 Prozent) und den Film (-48 Prozent). „Für 2021 müssen wir derzeit von einem Szenario mit Einbußen von weiteren 31,8 Milliarden Euro ausgehen“, schätzt Julia Köhn, Leiterin des Kompetenzzentrums. Wieder werden darstellende Kunst, Kunstmarkt und Musikwirtschaft am stärksten betroffen sein. „Besonders schlimm trifft es die vielen Solo-selbstständigen, Freiberufler:innen und geringfügig Beschäftigten der KKW, die in ohnehin fragilen Erwerbsstrukturen überleben müssen.“

Gesamtumsatz der Kultur-und Kreativbranche 2019-2021. Die Gesamtzahlen entsprechen nicht der Summe der Teilmärkte, da sich diese teilweise überschneiden.

Quelle: Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes/ Betroffenheitspapier Frühjahr 2021 / Monitoringbericht Kultur- und Kreativwirtschaft 2020 BMWI
Grafik: Eva Leonhard

Strukturelle Mängel in der Branche

Die Pandemie hat die Kulturschaffenden nicht nur in eine akute Notlage geschleudert, sondern wie nie zuvor strukturelle Mängel des Betriebs offenbart: Wo Menschen binnen Stunden an den Rand des Existenzminimums geraten können, stehen Geschäftsmodelle grundsätzlich infrage. Muss die Kulturbranche umdenken?

Ja, meint Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates. „Wir müssen endlich radikale Fragen stellen. Warum zum Beispiel haben wir zugelassen, dass die Zahl der Freien in den vergangenen Jahren so in die Höhe geschnellt ist?“ Genaue Zahlen gebe es nicht, aber die Tendenz sei unstrittig: Selbst unter Kurator:innen, Museumsmanager:innen oder Theaterorganisator:innen gebe es immer weniger Festangestellte. „Diese Entwicklung sollten wir dringend zurückdrehen“, fordert Zimmermann und stellt gleich die nächste Frage: „Warum organisieren sich so wenig Kulturschaffende gewerkschaftlich? Wer bessere Arbeitsbedingungen will, braucht eine kollektive Interessensvertretung – auch wenn Funktionärsstrukturen nicht hip sein mögen.“ Tatsächlich tut sich hier etwas. Theaterschaffende etwa begreifen sich zunehmend als Gruppe, die eine gemeinsame Interessensvertretung brauchen. Seit März vergangenen Jahres traten viele Künstler:innen in das Ensemble-Netzwerk oder die Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger ein.

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Auch Julia Köhn vom Kompetenzzentrum KKW beobachtet Bewegung in der Kulturlandschaft. „Zusammenhalt und Vernetzung haben enorm zugenommen, überall wird über neue Geschäftsmodelle nachgedacht.“ Wie können wir die neue Lust am Digitalen als Ergänzung zum analogen Betrieb erhalten und dadurch unabhängiger werden? Wo können wir regional kooperieren, um Kräfte zu bündeln? „Jetzt müssen wir die Branche auf ihrem Weg zu Stabilisierung und Innnovation unterstützen.“ Mit Investitionsförderung, Ausbau von Gründungprogrammen und einer Verlängerung der Hilfsmaßnahmen über den Herbst hinaus. „Damit den Akteur:innen nicht auf den letzten Metern die Puste ausgeht.“

Die Veranstalter:innen haben schon Konzepte für den Neustart in der Schublade. Events, in denen das Publikum in Schachbrettmustern auf Abstand gehalten wird; mit integrierten Trackingsystemen und Abluftanlagen; kleinere, dezentralere Formate, die dafür häufiger stattfinden. „Aber jetzt muss schnell alles wieder hochgefahren werden“, sagt Eichenberger von AlarmstufeRot. „Denn Ende September laufen alle Hilfen aus. Und dann wird es richtig eng.“

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Dieser Text ist Teil des Schwerpunkts „Können wir noch Kunst?“ der Ausgabe 03/21. Das aktuelle Heft könnt ihr hier kaufen.

Bild: IMAGO / Carmele/tmc-fotografie.de

Im Februar 2020 wurde der Veranstaltungsbranche der Stecker gezogen – die Lichter blieben aus und die folgenden Monate wurden dunkel für die Kultur- und Kreativwirtschaft. Wie schafft sie es aus der Krise?

Anja Dilk

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