„Dreißig Jahre lang drehte sich der Diskurs in der Museumstheorie darum, ethnologische Museen, früher Völkerkundemuseen, von kolonialen Mustern zu befreien. Die Entscheidung, das Humboldt Forum im Berliner Schloss zu eröffnen, verneint diese dreißig Jahre völlig.
Ethnologische Museen haben ein Problem: Ein Museum ist ein Ort, der darauf ausgerichtet ist, etwas zu zeigen. Ethnologische Museen wollen andere Kulturen zeigen. Was anders ist, wird aber aus einer eurozentrischen Perspektive festgelegt. Weiße Menschen entscheiden, wie sie andere, nicht-weiße Kulturen präsentieren. Wenn eine ethnologische Ausstellung voller kolonialer Raubkunst in diesem preußischen Schloss eröffnet, kann das niemals nicht rassistisch sein.
Die Objekte der ethnologischen Sammlung sollen Kulturen, ihre Glaubensvorstellungen und ihre Wertesysteme darstellen. Ein prominentes Beispiel ist die Statue der Ngonnso, der Gründerin des Volkes der Nso aus Kamerun. In ihrem Land fehlt sie, dort ist sie unersetzlich. Stattdessen steht sie im Humboldt Forum auf einem kalten, cleanen Sockel. Sie wurde ihrem eigentlichen Kontext entrissen und als „außereuropäisches Kunstwerk“ dargestellt. Eigentlich ist sie gar kein Kunstwerk. Sie ist das Heiligtum einer lebenden Kultur, das an Orten wie einem Museum überhaupt nicht gezeigt werden darf, sofern die lebende Kultur sie nicht selbstbestimmt dort hinstellt. Das tun die Nso aber nicht. Die Nso bemühen sich seit Jahrzehnten, Ngonnso zurück nach Kamerun zu bringen. Am Mittwoch haben sie mit uns gegen die Politik des Humboldt Forums demonstriert.
Weiße Menschen bestimmen also, was mit den geraubten Objekten passiert. Sie reagieren nicht angemessen auf die Forderungen der sogenannten Herkunftsgesellschaften. Das ändert sich auch dadurch nicht, dass die Verantwortlichen des Humboldt Forums die Herkunftsgesellschaften mit einbinden wollen und dies auch tun. Wir müssen zugeben, dass sie spannende Diskussionen teilweise mit außereuropäischen Künstler:innen und Wissenschaftler:innen organisieren, die sich auch kritisch über das Museum äußern: Bei der Eröffnung am Mittwoch sprach zum Beispiel die nigerianische Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie. Aber es reicht nicht, in einzelnen Momenten People of Colour auf der Bildfläche erscheinen zu lassen, wenn die Menschen, die Programme kuratieren, fast alle weiß sind.
Auch auf Forderungen der Restitution, also der Rückgabe, reagiert das Humboldt Forum immer nur mit minimalen Zugeständnissen. Es hat etwa angekündigt, im nächsten Jahr einen substanziellen Teil der berühmten Benin-Bronzen zurückzugeben. Wir sind alle sehr gespannt, was substanziell bedeutet. Bei Raubkunst ist unsere Position eindeutig: Es gibt keine Alternative zur Rückgabe. Und Rückgaben sind nicht genug. Alles danach, die Auseinandersetzung mit kolonialen Traumata, mit der Täter:innenschaft, mit dem Leid, mit dem Rassismus, mit dem Wissen rund um die Kunstobjekte und ihren kolonialen Kontext, das ist die große Arbeit.
Ibou Diop, der als Programmkurator Kolonialismus und Kolonialität am Humboldt Forum arbeitet und gleichzeitig Mitglied bei uns ist, sagt außerdem: Wenn wir über Restitution sprechen, müssen wir an Reparation denken. Schon der Wiederaufbau des Berliner Schlosses hat 677 Millionen Euro gekostet, in seinen Betrieb werden jährlich 60 Millionen Euro fließen. Das steht in keinem Verhältnis zu geplanten Reparationszahlungen: Deutschland wird Namibia zum Beispiel jährlich 36,6 Millionen Euro als Reparation für den Völkermord an den Ovaherero und Nama zahlen.
Auch kulturförderpolitisch ist das Humboldt Forum problematisch: Hier in Deutschland stöhnen die freie Künstler:innenszene und kleinere deutsche Museen. Alles Geld fließt in das Humboldt Forum und kleinere Museen kriegen für ihre Projekte nichts mehr ab.
Die große Herausforderung ist, die Menschen für den kolonialen, rassistischen Charakter des Humboldt Forums zu sensibilisieren. Vor allem, wenn die Menschen nicht unbedingt mit postkolonialen Theorien vertraut sind. Wir versuchen, die Menschen praktisch auf ihrem Weg ins Humboldt Forum abzufangen und sie zu informieren: über Ngonnso zum Beispiel oder über den Thron Mandu Yenu, den der Sultan Njoya von Bamoun Kaiser Wilhelm schenken musste. So blicken sie hoffentlich kritischer auf die Ausstellung. Außerdem ist es immer ein starkes Zeichen, wenn Menschen der sogenannten Herkunftsgesellschaften ihre Stimmen erheben und sagen: „Der Thron in der Ausstellung war niemals ein Geschenk, das ist Raubkunst.“ Das hat eine andere Wirkung, als wenn Menschen nur mit postkolonialer Theorie argumentieren.
Museen denken in ihrer Arbeit viel zu objektbezogen. Museumsarbeit ist auch möglich, wenn die Kunstobjekte aus anderen Kulturen in den Museen nur noch in sehr viel geringerer Zahl vorhanden sind. Museen müssen mit Menschen arbeiten und nicht mit Objekten. Objekte sind eine bestimmte Facette von irgendetwas, aber menschliche Beziehungen sind komplexer. Ein Museum kann kein Ort sein, an dem man Dinge aufbewahrt, um andere Kulturen kennenzulernen oder an irgendetwas festzuhalten. Ein Museum sollte ein Ort sein, an dem Austausch möglich ist. Wo man Dinge entwickelt, die sich auf die Zukunft beziehen, also ein Ort der Utopien.
Vor fast einem Jahr ist Barazani.berlin aus dem Arbeitskreis Museen und Sammlungen entstanden. Der Arbeitskreis gehörte zum Bündnis Decolonize Berlin. Wir wollten eine virtuelle Realität erschaffen: einen Raum des Widerstands gegen das Humboldt Forum und gegen Kolonialismus. Einen Gegenentwurf zu kolonialen Ausstellungen. Zu Beginn haben wir darüber nachgedacht, virtuell das Berliner Schloss zu besetzen. Wir waren uns aber schnell einig, dass das Schloss nicht der richtige Ort für unseren Widerstand ist. Es ist der Ort, den niemals jemand haben wollte.
Also besetzten wir die Brache, die 2012 verloren ging, als der Bau des Schlosses auf dem Schlossplatz begann. Die leere Fläche strahlte in unseren Augen noch Hoffnung und Freiheit aus. Wir platzierten unsere virtuelle Wirklichkeit dort, um eine Geschichte des antikolonialen Widerstands zu erzählen. Im virtuellen Raum kuratieren wir die Stimmen außereuropäischer Aktivist:innen und Künstler:innen, die der Kolonialismus zum Schweigen gebracht hat. Wir wollen sie in unseren virtuellen Ausstellungen für eine breite Öffentlichkeit hörbar machen.
Wir fordern einen neuen Umgang mit kolonialen Strukturen und den Auswirkungen, die sie immer noch auf die Gesellschaft haben. Deshalb bleiben wir nicht im virtuellen Raum, sondern planen auch Aktionen in der Realität. Seit kurzem kooperieren wir mit der Coalition of Cultural Workers Against the Humboldt Forum und bespielen eine Ladenfläche am Spreeufer, gleich vis-à-vis dem Humboldt Forum. Durch politische und kulturelle Interventionen machen wir sichtbar: Das Humboldt Forum im Berliner Schloss ist eine Fortschreibung des kolonialen Unrechtssystems.”
Künstler:innen und Aktivist:innen demonstrieren mit Barazani.berlin für die Überwindung kolonialer Strukturen in Museen. Die Forderung ist eindeutig: Kein Geld fürs Humboldt Forum, wenn dort koloniales Raubgut ausgestellt wird!