IM FOKUS: HANDWERK

„Wir sind Hightech und Handwerk in einem“

Das Start-up 1KOMMA5° will jedes Jahr Tausende Häuser klimaneutral machen. Zwei Jahre nach der Gründung hat es bereits 1.500 Mitarbeitende und ist mehr als eine Milliarde Euro wert. Wie schafft es das? Ein Gespräch mit Philipp Schröder, Ex-Chef von Tesla Deutschland und Mitgründer von 1KOMMA5°.

Herr Schröder, Ihr Start-up 1KOMMA5° kauft Handwerksbetriebe auf und baut sie so aus, dass sie nicht nur Einzellösungen – also Photovoltaik, Stromspeicher, Wärmepumpe oder Wallbox – liefern können, sondern alles aus einer Hand. Wie läuft’s?

Sehr gut, wir sind in Deutschland inzwischen mit 33 Handwerksbetrieben vertreten, weltweit mit 65. Alle Wärmepumpen, Solaranlagen, Stromspeicher und Ladestationen für E-Autos zusammengerechnet, haben wir 85.000 Systeme installiert. Die Zukäufe wirken für uns wie Türöffner in der jeweiligen Region. So können wir parallel auch eigene Handwerksbetriebe gründen und stellen entsprechend Fachpersonal ein. Mit der Strategie sind wir in Europa als „One-Stop-Shop“ führend. Zugleich klingt 65 Betriebe extrem wenig, wenn man bedenkt, dass sich allein in Europa 75 Millionen Gebäude für den klimagerechten Umbau eignen. 2030 wollen wir genügend Kapazitäten haben, um eine halbe Million Gebäude pro Jahr zu dekarbonisieren.

Wie viele Betriebe sollen es in Deutschland werden?

Die Anzahl sagt nichts über die Kapazitäten, deswegen haben wir kein Ziel. Denn die Größe unserer Betriebe variiert stark: Der eine macht 40 Millionen, der andere 4 Millionen Euro Umsatz pro Jahr.

Sie suchen die „Top 1 Prozent“: dynamische, finanziell gesunde Betriebe. Warum steigen die bei Ihnen ein, abgesehen von der Kaufsumme und den Firmenbeteiligungen an 1KOMMA5°?

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Wir sehen drei Hauptgründe: Erstens bieten wir Zugang zu komplexer Software. Unser Energiemanagement-System „Heartbeat“, mit dem unsere Kundinnen und Kunden ihren Stromverbrauch so steuern können, dass sie immer den günstigsten Preis pro Kilowattstunde zahlen, könnte ein kleiner Betrieb nicht selbst entwickeln. Zweitens können wir Großbestellungen machen: Solaranlagen, Wärmepumpen & Co kaufen wir für unsere Betriebe gebündelt und damit für alle günstiger ein. Drittens werden sie Teil einer großen Marke, sparen sich also beispielsweise die Kosten für eigenes Employer Branding.

Wie stark spürt 1KOMMA5° den Fachkräftemangel?

Der war für uns nur am Anfang ein Problem. Auch außerhalb Deutschlands, in jedem neuen Markt von Spanien bis Australien, merken wir: Sobald die Leute verstanden haben, was wir machen – nach etwa einem Jahr – läuft’s. Inzwischen bekommen wir 3.000 Bewerbungen pro Monat. Ich hinterfrage auch tatsächlich, ob der sogenannte Mangel real ist – oder ob die Branche schlicht ein Wettbewerbsproblem hat. Handwerksbetrieben fällt es schwer, eine Vision zu formulieren, auf die junge Menschen oder Quereinsteigende Bock haben. Aber klar: An richtig gute Leute zu kommen ist immer schwierig.

Aufgekaufte Betriebe werden erst einmal digitalisiert. Auch, um den Bedarf an Arbeitskräften zu senken?

Durch digitalisierte Prozesse sinken die Kosten. Aber vor allem wollen wir unseren Handwerkerinnen und Handwerkern die Arbeit einfacher machen – sodass sie sich auf ihre Kernkompetenz konzentrieren können. Ein Beispiel: Normalerweise vermerken Installateurinnen und Installateure handschriftlich auf Zetteln, welche Systeme sie bei einer Kundin oder einem Kunden eingebaut haben, und legen diese im Innendienst in irgendeinen Plastikkorb. Dort müssen dann die krakeligen Notizen entziffert und die Infos in den Computer übertragen werden. Unsere Mitarbeitenden hinterlegen die Infos stattdessen direkt digital bei der Kundin oder dem Kunden. Das spart locker eine Stunde Arbeitszeit. Andere Beispiele: Wir verwenden Bodycams bei der Inbetriebnahme. Das sind kleine, auf der Schulter befestigte Kameras. Die Videos und Fotos werden für das Qualitätsmanagement in der Cloud gespeichert und können Kontrollbesuche vor Ort ersetzen. Auch die Lagerbestände sind digitalisiert, sodass sich Prognosen zu Einkauf, Lagerwert und so weiter automatisch ändern, wenn Produktpreise sinken. Wie vor Kurzem die Preise unserer Solarmodule, die wir mit Silizium aus Deutschland produzieren lassen.

Philipp Schröder gründete 1KOMMA5° im Juli 2021 gemeinsam mit Philip Liesenfeld, Jannik Schall und Micha Grüber. Zuvor war er Manager beim deutschen Batteriespeicher-Hersteller Sonnen und baute das Deutschland-Geschäft von Tesla auf. Foto: Christoph Neumann

Wie gewinnt 1KOMMA5° qualifizierten Nachwuchs? Eines Ihrer Konkurrenzunternehmen hat eine eigene Akademie gegründet, in der Solar-Handwerker:innen geschult werden.

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In unseren Betrieben haben wir Hunderte Azubis, vor allem Elektrikerinnen und Elektriker. Eine Akademie ist keine schlechte Idee, solange der Fokus nicht nur auf Hilfskräften liegt, die etwa für Montagen auf dem Dach gebraucht werden, sondern man dort auch Gesellenbriefe und Meistertitel bekommt. Denn der Flaschenhals wird gerade mit der Qualifizierung enger: Für die Energiewende brauchen wir höher ausgebildete Handwerkerinnen und Handwerker. Unsere Betriebe sind Meisterschulen, hier qualifizieren sich Menschen also dazu, elektrische Leitungen und Anschlüsse zu verlegen. Anschließend gibt es Fortbildungen, in denen der Umgang mit besonders komplexen technischen Systemen, wie wir sie einsetzen, trainiert wird.

Wirbt 1KOMMA5° an Schulen um Azubis?

Nein. Das wäre zwar medienwirksam, aber wichtiger ist es, eine Identität zu bauen, die aus sich heraus attraktiv ist. Dafür öffnen wir Showrooms, bilden aus, stellen ein. An Schulen zu gehen bringt nichts, wenn man die Perspektive und Attraktivität, die junge Menschen suchen, noch nicht aufgebaut hat. Sie wollen mit ihren Jobs im Freundeskreis angeben können.

Zusammen mit den CEOs von Enpal, LichtBlick und anderen Energiefirmen haben Sie im Februar einen offenen Brief an Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck unterschrieben. Es brauche einen gemeinsamen Ausbildungsschwerpunkt für Wärme- und Strom-Energiemanagement – und eine Imagekampagne für Energiewende-Jobs. Damit haben Sie als Ex-Manager von Tesla Deutschland Erfahrung …

Absolut. E-Autos galten vor zehn Jahren noch als kompliziert, nerdy, uncool – nicht sexy. Niemand hat sich dafür interessiert. Leider fristen Wärmepumpe, Stromspeicher und Wechselrichter ein ähnliches Dasein. Mit unseren Flagship Stores, zum Beispiel an der Hamburger Binnenalster, verfolgen wir ein ähnliches Ziel wie damals Tesla. Um das Thema klimaneutrales Zuhause populärer zu machen, braucht die Branche aber auch Hilfe von der Politik, deswegen haben wir den Brief unterschrieben. Am Ende des Tages stehen die Unternehmen jedoch selbst in der Verantwortung. Es liegt an uns, zu vermitteln: Handwerksberufe sind cooler, produktiver und innovativer als viele Bürojobs. 1KOMMA5° verknüpft sie mit Hightech. Wir denken Wärme, Strom und Mobilität zusammen – elektrifizieren und vernetzen Häuser zu virtuellen Kraftwerken in einer einzigen App. Und sehen uns dementsprechend als Tech-Unternehmen. Das Handwerk ist also nur ein Baustein, wenngleich ein sehr wichtiger.

Sie waren auch mal politisch aktiv. Von den Grünen sind Sie in die CDU gewechselt, haben dort 2021 die KlimaUnion mitgegründet. Inzwischen grenzen Sie sich scharf von der politischen Welt ab, sehen sich als Teil einer „wirtschaftlichen“ Klimabewegung. Warum?

Was mich am meisten nervt: gut ausgebildete Menschen, die pointiert argumentieren können und das gerne tun – aber nichts unternehmen. Wenn es darum geht, die Erderhitzung auf 1,5 Grad zu begrenzen, dann müssen wir ins Handeln kommen. Ärztinnen und Ärzte fragen sich ja auch: „Welches Medikament heilt meine Patientin oder meinen Patienten am besten?“, und verschreiben es sofort – statt erst mal jahrelang über die Nebenwirkungen zu debattieren und die Methoden der Pharmakonzerne anzuprangern. Die Klimakatastrophe ist da. Was auch immer hilft, sie zu bremsen, sollten wir tun.

Meinen Sie Berufspolitiker:innen oder auch Klimaaktivist:innen? Lautstark demonstrieren ist doch ein wichtiger Teil von „etwas unternehmen“.

Beide. Fridays for Future haben wir schon mehrfach angeboten, in Hamburg oder Berlin eine Diskussionsrunde zu organisieren. Das ist nie zustande gekommen. Natürlich laufen wir bei den Klimademos immer mit und finden es gut, wenn junge Menschen engagiert sind. Sie sollten sich aber fragen: Was kann ich nach der Demo tun, abgesehen von Bahnfahren und Mülltrennen, um eine lebenswerte Zukunft zu schaffen? Wie kann ich meine Lebenszeit und mein Talent sinnvoll einsetzen? Politisches Blaming reicht nicht. Wir sitzen alle gemeinsam in der Scheiße. Und zwar nicht wegen der Boomer-Generation, sondern wegen unserer menschlichen Natur, die uns bequem und wachstumsgierig macht.

Ist Gründen für Sie das ultimative Tun?

Nein, man kann seine Lebenszeit und sein Talent ganz unterschiedlich einbringen. Die einen schreiben Bücher oder Artikel, andere stoßen als Mitarbeitende nachhaltige Prozesse in einem Unternehmen an. Ob das bei Siemens im Bereich Clean Energy ist, bei 1KOMMA5°, Zolar oder im Investmentbanking, ist erst mal egal.

Seit Ihrer ersten Firmengründung 2008 beschäftigen Sie sich mit alternativen Formen der Energiegewinnung. Damals mit Gas- statt Ölheizungen, seit 2011 mit Solarenergie. Wie kam das, zu einer Zeit, wo die Klimakrise medial noch kein Thema war?

Ich bin im Wendland nahe Gorleben aufgewachsen, auf einem Biobauernhof, und habe die Anti-Atomkraft-Demos live erlebt; riesige Polizeieinsätze und Ausnahmezustände inklusive. Und ich habe von Haus aus mitbekommen, unangepasst zu sein. Mein Vater war Investmentbanker, bevor er in den 1990ern Ökolandwirt wurde – damals noch eine ungewöhnliche Form des Landbaus. Ich selbst habe später erst einmal angefangen BWL und Jura zu studieren, war aber todunglücklich. Gründen war für mich wie eine Art Ausweg. Auf die Idee, eine Lehre zu machen, bin ich damals nicht gekommen. Dann hätte ich wohl direkt einen Handwerksbetrieb aufgemacht.

Foto: Christoph Neumann

Mitgründer von 1KOMMA5°, Philipp Schröder, im Hamburger Showroom.

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