Indigene Geflüchtete in Brasilien

Ein Garten der Hoffnung

Viele Menschen fliehen derzeit vor der Wirtschaftskrise Venezuelas in die Nachbarländer. Für Indigene ist der Neustart oft besonders schwer. Ein Besuch in zwei Camps in Brasilien.

Von oben sieht der Kräutergarten aus wie ein Stern. Sorgfältig angeordnet wachsen dort Aloe Vera, Goethepflanze, Oregano und viele Gewächse, für die es vermutlich keine deutschen Namen gibt. „In einem Traum hat mir der Geist meiner Ahnen gezeigt, dass ich diesen medizinischen Garten anlegen soll“, erzählt Mauricio Fiscal Grande. Der 42-Jährige steht mit einem Rechen in der Mitte seines Reichs. Es ist später Vormittag, die Temperatur ist in Boa Vista, der Hauptstadt von Brasiliens nördlichstem Bundestaat Roraima, schon weit über 30 Grad geklettert. Fiscal scheint das nichts auszumachen. Er gehört zur indigenen Ethnie der Warao und stammt aus Venezuela. Die spirituelle Führung durch Ahn:innen ist ein integrales Element der meisten indigenen Kulturen, auch der Warao. „Jede Ecke des Gartens hat einen Beschützer“, erzählt Fiscal und vermischt dabei zwanglos indigenen und christlichen Glauben: Neben dem Einfluss der Geister seiner Ahn:innen spricht er auch vom Schutz durch die Jungfrau Maria und die zwölf Apostel.

Vor etwas mehr als einem Jahr hat Mauricio Fiscal Venezuela verlassen, heute lebt er im Jardim Floresta – einem Geflüchtetenlager. Seit 2017 sind mehr als 600.000 Menschen von Venezuela nach Brasilien migriert. Mehr als 5.000 von ihnen Indigene, die meisten von ihnen Warao. In ihrer Sprache bedeutet das Kanu-Menschen, denn ursprünglich lebte das Volk im venezolanischen Sumpfland des Orinoko-Deltas hauptsächlich von Landwirtschaft und Fischfang. Dort waren Kanus das Hauptfortbewegungsmittel. Die Kultur der Warao hat viele Elemente eines Matriarchats, so zieht der Mann nach der Heirat zur Frau, und bei einer Trennung bleibt der Besitz bei der Frau. Kolonialisiert wurden die Warao nie.

Das Ankommen bleibt eine Herausforderung

Aber das Leben der Warao hat sich in den vergangenen Jahrzehnten stark verändert: 1960 wurde in Venezuela ein Damm gebaut, der die regelmäßigen Überflutungen des Orinoko-Deltas stoppte und die Feuchtgebiete der Region austrocknete. Fischfang und Landwirtschaft waren darum nicht mehr auf dieselbe Weise möglich. Das und eine Cholera-Pandemie in den 90ern führte dazu, dass viele Warao in Venezuelas Städte wanderten.

Flucht und Migration sind für das Volk also keine Neuigkeit mehr, in Brasilien anzukommen bleibt eine Herausforderung: Indigene haben überdurchschnittlich oft keinen Schulabschluss, sie sprechen kein Portugiesisch, einige von ihnen kein Spanisch, und sie sind noch stärker als andere Einwander:innen von Rassismus betroffen. Denn in Brasilien hält sich hartnäckig das Vorurteil, Indigene seien dumm und ungebildet. Das ist keine einfache Ausgangslage. Gleichzeitig garantieren sowohl das internationale Völkerrecht als auch die brasilianische Verfassung indigenen Völkern einen besonderen Schutzstatus, beispielsweise zur Wahrung ihrer kulturellen Identität. Um besser auf diese Rechte und Bedürfnisse einzugehen, gibt es im brasilianischen Bundesstaat Roraima separate Geflüchtetenlager für Indigene. Eines in der Grenzstadt Pacaraima und drei in Boa Vista. Zuständig dafür ist die „Operação Acolhida“ (etwa: Operation Willkommen), organisiert von brasilianischen Militärs und unterstützt von den…

Bild: Lisa Kuner

Geflüchtete im brasilianischen Camp Jardim Floresta: Seit 2017 sind mehr als 600.000 Menschen von Venezuela nach Brasilien migriert. Mehr als 5.000 von ihnen sind Indigene, die meisten von ihnen Warao.

Lisa Kuner

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