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Kalifornien: Palmenstrände, Salzwüsten, Mammutbäume – und Hunderte Morgen Reisfelder. Der Golden State ist der zweitgrößte Reisproduzent der USA und stellt fast seinen gesamten Bedarf an Japonica-Reis selbst her – klebrig und rund, perfekt für Sushi oder Risotto. Reis ist eine der wichtigsten Sättigungsbeilagen der Welt. Leider hat das Getreide aber eine extrem schlechte Klimabilanz.
Weil Reis überwiegend auf überfluteten Feldern angebaut wird, verbraucht seine Produktion pro Erntekilo zwischen 3.000 und 5.000 Liter Wasser. Laut Daten des World Resources Institute ist die Reisindustrie außerdem für 12 Prozent aller weltweiten Methan-Emissionen und für 1,5 Prozent aller Treibhausgase verantwortlich. Durch das Wasser gelangt nur wenig Sauerstoff in den Boden und zahlreiche Bakterien können gedeihen, die Methan produzieren. Das Treibhausgas ist bis zu 30-mal schädlicher für die Ozonschicht als Kohlenstoffdioxid. Wie lässt sich das ändern?
Chance Cutrano glaubt: mithilfe von indigenem Wissen. Er ist Program Manager des gemeinnützigen Resource Renewal Insitute (RRI), das seinen Sitz gleich nördlich der Golden Gate Bridge hat. Der Nebel von San Francisco verbirgt die Brücke immer noch in einem bläulichen Dunst, als wir uns an einem Julimorgen in einem Café im Stadtteil Richmond treffen. Während er uns Wasser einschenkt, erzählt Cutrano: „Egal, ob man die Methoden der Azteken oder die des Dong-Volkes in China betrachtet, sie alle haben die Fischzucht mit Landwirtschaft kombiniert.“
Die Dong im südchinesischen Guangxi verbinden schon seit mehr als tausend Jahren Fischzucht mit Reisanbau. Diese uralte Form der Aquaponik hat gleich mehrere positive Effekte: Reisfarmer:innen haben ein zusätzliches Einkommen, die Fische beschützen die Reispflanzen vor Schädlingen und versorgen sie durch ihre Ausscheidungen mit natürlichem Dünger. So müssen wesentlich weniger Pestizide beim Anbau eingesetzt werden.
Der Kindergarten der Fische
Dass das RRI damit begann, Tonnen von jungen Fischen in kalifornischen Reisfeldern auszusetzen, diente ursprünglich einem anderen Ziel: die Überfischung des kalifornischen Lachses zu stoppen. „Fast 90 Prozent der Wetlands von Kalifornien, dem natürlichen Kindergarten der Fische, sind im vergangenen Jahrhundert der Landwirtschaft zum Opfer gefallen“, erklärt Cutrano. Der kalifornische Lachs sowie 85 Prozent aller Süßwasserfische des Staates sind bedroht oder bereits ausgestorben. Die Reisfelder, die in das Delta des Sacramentos übergehen, bieten ihm nun ein geschütztes Habitat. Dort können die Lachse gedeihen, bevor sie über die Kanäle zurück ins Flussdelta und schließlich ins Meer gelangen. Schon in den 90er-Jahren erkannten Ökolog:innen das Potenzial der Reisfelder, die im Winter überflutet sind. Wasser- und Zugvögel fanden hier ein ideales Habitat, das die Wetlands zumindest zum Teil zu ersetzen schien. Das brachte neben dem RRI mehrere Umweltorganisationen, etwa die NGO California Trout, auf die Idee, die Reisfelder als Refugium für bedrohte Arten zu nutzen.
Die Strategie scheint aufzugehen: Laut Cutrano haben sich in den ersten Versuchen des RRI die Lachsbestände verdoppelt. Auch in den Versuchen von California Trout gedeihen fettere und damit fittere Fische, die besser für das Überleben im Meer gerüstet sind. Aber wäre es nicht besser für die Natur, und vor allem den kalifornischen Wasserverbrauch, stattdessen die historischen Wetlands wiederherzustellen? Cutrano: „Reis ist eines der wichtigsten Nahrungsmittel der Welt. Wir können den Anbau nicht einfach beenden, sondern müssen Wege finden, Ernährungssicherheit mit Artenschutz und Umweltschutz in Einklang zu bringen.“ Das durch Bewässerungskanäle von Delta und Meer getrennte Land soll dabei irgendwann so renaturiert sein, dass die Fische ohne jedes menschliche Zutun ihren
natürlichen Wanderrouten folgen können.
Fische reduzieren Methan-Emissionen beim Reisanbau
Auf der Suche nach einem Weg, den Methanfußabdruck der Reisfelder zu reduzieren, stieß das RRI schließlich auf eine Studie des US-amerikanischen Forschers Shawn Devlin von der Universität Montana. Devlin hatte bei einem Versuch in Finnland herausgefunden, dass Fische die Methan Emissionen eines Sees bis zu 90 Prozent reduzieren konnten: Die Fische fraßen das Zooplankton im See, das sich wiederum von methan-fressenden Bakterien ernährte. Durch die Fische hatten diese Bakterien weniger Fressfeinde: So konnten sie Methan im großen Stil speichern.
Warum sollte das nicht auch in Reisfeldern funktionieren? In Zusammenarbeit mit Devlin setzte das RRI 2019 die ersten Fische auf Reisfeldern aus. Nach einem Jahr zeigte sich: Diese Felder stießen nach RRI-Angaben 65 Prozent weniger Methan aus als jene ohne Fische. Um diese Rate noch zu erhöhen, experimentieren die Forscher:innen nun mit mehreren Fischen: zum Beispiel dem Sacramento Blackfish, der in der Küche der indigenen Bevölkerung Kaliforniens eine zentrale Rolle spielte, nicht-indigenen Menschen jedoch meist völlig unbekannt ist. „Damit wollen wir eine weitere einheimische Alternative zum überfischten Lachs schaffen“, sagt Cutrano. Denn es gibt viele Reisfarmer:innen, die sich weniger für das Klima interessieren als für die Sicherung ihres Einkommens und damit ihrer Existenz. „Ihre größte Angst ist, dass ihnen durch die anhaltenden Dürren in Kalifornien irgendwann das Wasser abgedreht wird. Wenn sie aber ihre überfluteten Felder zu einem vitalen Ökosystem für Fische und Vögel machen, das nicht nur der Landwirtschaft, sondern auch der Natur nützt, wären sie davor geschützt. Außerdem könnten sie mit nachhaltiger Fischzucht dazuverdienen.“ Cutrano hofft, die zukünftige Generation von Reisfarmer:innen von seiner Methode überzeugen zu können. In Kalifornien und weltweit. „Von unserer Forschung können alle Reisanbau-Länder profitieren“, sagt Cutrano.
Hilfe vom Kabelbakterium
Im Juli 2022 taucht ein deutscher Forscher auf den Reisfeldern im Sacramento Valley auf. Vincent Scholz ist Mikrobiologe an der dänischen Aarhus Universität. Er ist auf der Jagd nach einem winzigen Mitbewohner der Getreidepflanzen: dem Kabelbakterium. „Bis 2012 wussten wir gar nicht, dass diese Bakterien existieren“, erzählt Scholz. Damals hatte ein Team von Wissenschaftler:innen in Aarhus unter dem Mikroskop eine mehrere Zentimeter lange Verkettung von Zellen entdeckt, die wie ein Kabel Strom durch Sedimente am Meeresboden nach oben leiten kann. Dabei baut sie Sauerstoff und Nitrat in Gewässerböden ab. Diese sogenannten Kabelbakterien lieben Wasser, man findet sie in Fjorden, Seen und Häfen.
In seiner Masterarbeit fand Scholz heraus, dass Kabelbakterien auch um Wasserpflanzen herum gedeihen. Die Bakterien nutzen den Sauerstoff, den diese Pflanzen an ihren Wurzeln freisetzen, um Schwefelverbindungen im Sediment in Sulfat umzuwandeln. Und wenn Sulfat vorhanden ist, können die methanproduzierenden Mikroben nicht aktiv sein. Scholz testete seine Erkenntnisse an Reispflanzen im Topf. Das Ergebnis: Die Bakterien reduzierten die Methan-Emissionen um 93 Prozent.
Scholz nimmt in Kalifornien nun eine Woche lang Proben und führt Messungen durch. Auf den Feldern haben sich nach Daten der University of California, Davis (UC Davis) bereits natürliche Kabelbakterien-Populationen angesiedelt. In Zusammenarbeit mit der dänischen Universität Aarhus soll eine mehrere Jahre andauernde Grundlagenforschung beginnen.
Mehr Risiko oder größere Erträge beim Reisanbau?
Unter anderem werden dabei potenzielle Risiken untersucht. „In manchen Reisfeldern auf der Welt gibt es Arsen im Sediment. Bei aktiven Kabelbakterien kommt es zu einer leichten Versäuerung im Boden, durch die Arsen gelöst und mehr in der Reispflanze angelagert werden könnte“, erklärt Scholz. Das Forschungsteam will viele weitere Fragen beantworten: Könnte eine dichtere Besiedelung mit Kabelbakterien den Ertrag von Reis steigern? Ist ihr Einsatz auch mit AWD, der „Alternate Wetting und Drying“-Methode, kombinierbar, bei der Reisfelder wesentlich kürzer als üblich überflutet werden und so noch mehr Wasser und Methan eingespart würden? AWD wird derzeit großflächig in asiatischen und afrikanischen Reisanbau-Ländern sowie in Europa getestet.
Und wie ergeht es den Reis-Fischen? Mittlerweile wird die Forschung mit Mitteln der US-amerikanischen Rice Commission und des US-Landwirtschaftsministeriums finanziert. Andrew Rypel von der UC Davis ist in Zusammenarbeit mit dem RRI auf einen weiteren Effekt der Lachs-Reis-Methode gestoßen: Die Lachse ernähren sich unter anderem von dem sogenannten Reisstroh, dem Abfallprodukt bei der Reisernte. „Filet Mignon“ für die Fische, nennt Rypel das Futter, ein Gaumenschmaus. Bislang wird Reisstroh in den meisten Teilen der Welt verbrannt, verpestet die Luft und erzeugt weitere CO2-Emissionen. Aus diesem Grund wollen Start-ups und Unternehmen in aller Welt Reisstroh nachhaltig nutzen. Das Potenzial ist riesig: Ein paar Stunden nördlich von San Francisco sammelt das Start-up CalPlant Reisstroh bereits in großem Stil ein – um daraus Möbel herzustellen.
Hilft futternd bei der Reduktion von Emissionen: der kalifornische Lachs, hier besonders schön in Szene gesetzt – als Lithografie (Symbolbild).