Schwerpunkt: Regenwald

Das Ende von Eldorado

Die Gier nach Gold und Land tötet den Regenwald in Brasilien. Der neu gewählte Präsident Lula da Silva will das große Roden stoppen. Und Europa?

Stell dir einen Wald vor, der so groß ist wie die Entfernung von Berlin bis Bagdad. Großschnäblige Tukane umkreisen neonfarbene Pfeilgiftfrösche. Über einem Unterholz aus 40.000 Pf lanzenarten thronen Kapokbäume und Babaçu-Palmen. Doch über den Wipfeln liegt eine Decke aus Rauch. Dieser Wald ist im Begriff zu sterben.

Bereits 18 Prozent des Regenwalds im Amazonasbecken in Südamerika sind zerstört. Steigt diese Zahl auf etwa 20 bis 35 Prozent, wird der Schaden irreparabel. Der größte zusammenhängende Wald der Erde, in dem zehn Prozent aller weltweiten Arten leben, trocknet aus. Der ewige Wasserkreislauf des Regenwaldes, der das Klima Südamerikas und der ganzen Welt kühlt, versiegt. Mit seinem Tod würden 123 Gigatonnen Kohlenstoffdioxid, die die Bäume und Mangroven des Waldes halten, in die Atmosphäre freigesetzt. Einer der wichtigsten Pfeiler für das Klimasystem auf der Erde geriete ins Wanken. Dürreperioden nicht nur in weiten Teilen Südamerikas, sondern auch ein Rückkopplungseffekt weltweit wären die Folge: Die mittlere globale Oberflächentemperatur stiege an, Dominoeffekte könnten ausgelöst werden und das Erreichen weiterer Kipppunkte beschleunigen.

Um das zu verhindern, kommt man nicht an Brasilien vorbei. Denn hier liegen mehr als sechzig Prozent des grünen Amazonasbeckens. Nachdem die deutsche Politik sich die vergangenen Jahren fast gar nicht für Lateinamerika interessiert hat, geben sich seit der Wahl des linken Präsidenten Lula da Silva auf einmal reihenweise Spitzenpolitiker in Brasilien die Ehre: Olaf Scholz war da, zuletzt auch der Klimaminister Robert Habeck und Landwirtschaftsminister Cem Özdemir. Sie wittern neue Hoffnung für wirtschaftliche Beziehungen. Und sie sehen in Lula einen möglichen Messias für die Rettung des Amazonas-Regenwalds.

„Ich bin der Robert“, sagte Habeck auf eine mindestens befremdlich infantilisierende Art und Weise zu Vertreter:innen des indigenen Volkes der Kambeba, als er im März im amazonischen Dorf Tres Unidos zu Besuch war. Er sei so etwas wie ein Häuptling und er wolle sich für den Regenwald einsetzen. Menschen in Brasilien sehen das meist anders. Sie empfinden Deutschland und Europa als scheinheilig.

„In Brasilien denken viele: Ihr wollt uns etwas über Umweltschutz beibringen? Ihr habt nicht nur eure eigene Natur zerstört, ihr nutzt auch immer noch Kohle! In Brasilien sind wir viel weiter, wir beziehen mehr als achtzig Prozent unseres Stroms aus erneuerbaren Energien“, sagt die brasilianische Ethnologin Eliane Fernandes Ferreira, Brasilien-Expertin bei der Gesellschaft für bedrohte Völker in Berlin.

Ein gespaltenes Land

Sie beschreibt ihr Land als tief gespalten. Etwa 25 Prozent der Brasilianer:innen litten 2022 unter Hunger und Ernährungsunsicherheit, vor allem im armen Nordosten. Der Goldpreis ist in den letzten Jahrzehnten so stark angestiegen, dass schneller Reichtum im Dschungel lockt. Hier lagern riesige Vorkommen des Edelmetalls. Ein Teil der Menschen hier sieht also nicht ein, warum sie auf den Wohlstand verzichten sollten, den ihnen der Amazonas-Regenwald verspricht. Ein Selbstbedienungsladen voller Schätze, ein Eldorado, in dem sich doch gerade der Westen schon so lange ausgetobt hat. Aus dem brasilianischen Dschungel stammen Teak und Palisanderholz für unsere Traummöbel und Edelgitarren, Gold, Kupfer und seltene Erden für unsere Computerchips und Handys.

Für viele Menschen in Brasilien ist der Wald außerdem genau das, was der heimische Urwald auch für Europa war, bevor wir ihn fast vollständig abgeholzt haben: Ackerland. Für Zuckerrohr. Für Soja und Rinder.

In Brasilien denken viele: Ihr in Europa wollt uns etwas über Umweltschutz beibringen? Ihr habt nicht nur eure eigene Natur zerstört, ihr nutzt immer noch Kohle
Eliane Fernandes Ferreira, Ethnologin und Brasilien-Expertin

Schließlich zahlen China und Europa dafür gutes Geld. Die Europäische Union ist der drittgrößte Importeur der Welt von brasilianischem Rindfleisch. Auch Deutschland kauft dort das meiste Soja für seine Tierhaltung ein. VW möchte aus brasilianischem Zuckerrohr E-Fuels machen, damit sie nach dem Verbrennerverbot der EU weiter Profit mit Tankautos machen können. Und so fallen jedes Jahr auch für unser Land mehr Bäume in Amazonien. Die für die Rodung entfachten Feuer stoßen laut der US-amerikanischen Wetterbehörde NOAA so viel CO2 aus, dass der Regenwald 2021 erstmals mehr davon abgab, als er in einem Jahr speichert.

„Leider haben viele in Brasilien noch nicht verstanden, dass sie durch die Ausbeutung des Regenwalds ihre eigene Lebensgrundlage und vor allem die der indigenen Gemeinden zunichte machen“, sagt Fernandes Ferreira.

Blut für Gold

Weniger als ein Prozent der 214 Millionen Brasilianer:innen sind indigen. Die Hälfte von ihnen lebt im Amazonasgebiet und schützt den Wald aktiv vor Umweltzerstörung. Doch in den vergangenen Jahrzehnten wurde ihr Zuhause im Namen der Agrarwirtschaft und des Bergbaus in Brand gesetzt.

Fernandes Ferreira hat die vielen Verbrechen dokumentiert, die zum Beispiel am Volk der Yanomami verübt wurden: Sexualisierte Gewalt an Frauen und Kindern durch die Goldgräber in Amazonien ist demnach an der Tagesordnung. Allein zwischen 2020 und 2021 gab es 40.000 Malariafälle u…

Bild: unsplash / Gabriel Ramos

Der brasilanische Regenwald wird immer weiter abgeholzt. Bringt Präsident Lula da Silva eine Kehrtwende? Und welche Rolle spielt Europa?

Schwerpunkt Regenwald

Was rettet den Regenwald?

Regenwälder sind wichtige Kohlenstoffsenken und bieten 50 Prozent aller Tier- und Pflanzenarten auf der Welt eine Heimat. Leider werden immer noch riesige Flächen abgeholzt. Wir haben uns auf die Suche nach Lösungen für den Regenwaldschutz gemacht – denn überall auf der Welt für den Erhalt des Regenwalds gekämpft – auch für europäischen Regenwald.

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