Mehrgenerationen-Wohnen in Helsinki

Mehrgenerationen-Wohnen gegen Jugendobdachlosigkeit

In Helsinki können sich viele junge Menschen kein Zimmer leisten, sie haben kein eigenes Dach über dem Kopf. Die Stadt will jetzt Wohnraum für sie schaffen – zum Beispiel in Altersheimen

Angeblich hat keiner ihn für verrückt gehalten, damals, als Jonatan Shaya erzählte, er ziehe in ein Altenheim. Mit 19. Nach Laajasalo. Also fast ans Ende der Welt, eine Insel hinter einer Insel. Von Helsinkis Innenstadt eine kleine Weltreise entfernt. Erst mit der Metro, dann noch umsteigen in den Bus, über die eine Brücke und über eine zweite. Ankunft nach einer gefühlten Ewigkeit.

Neben der Bushaltestelle ragen marmorierte Granitfelsen meterhoch empor, auf denen silberne Flechten wachsen und ein paar Preiselbeeren. Kiefern, Birkenblätter im Wind. Rund um den Rudolfstift in Laajasalo ist es ziemlich still, nur gedämpftes Kindergeschrei dringt von einem Spielplatz herüber, das dumpfe Aufprallen eines Basketballs. Das Meer liegt nur einen Steinwurf entfernt. Wunderschön. Aber außer Einfamilienhäusern aus rot und gelb gestrichenem Holz und verlassenen Fahrradwegen gibt es hier nicht viel. Keine Bar, kein Kino. Kaum junge Menschen. Warum also zieht ein 19-Jähriger hierher? Und dann noch in ein Heim mit mehr als 100 Mitbewohnern, die ein Durchschnittsalter von 79 Jahren haben?

Jonatan steht in der Küchennische seines Zimmers und stellt die abgespülten Kaffeetassen in den Abtropfschrank. Er ist klein und schmal, seine dunklen, kurzen Haare sind nach oben gegelt. Das Zimmer ist aufgeräumt und großzügig. Die Einrichtung: einfach. Bett, Schrank, Tisch, ein paar Stühle. Dazu ein großer Balkon mit Blick ins Grüne. „Hierherzuziehen war die beste Entscheidung, die ich je getroffen habe“, sagt Jonatan. Es klingt ziemlich besonnen, erwachsen. Aber er hatte auch einfach keine Wahl. Seine Mutter, bei der er wohnte, zog mit dem jüngeren Bruder aus der Stadt und der angehende Konditor wusste nicht, wohin.

„Eigentlich ist da kein Unterschied zwischen diesem Zimmer und den anderen, die ich angeguckt habe. Außer dem Preis!“ Tatsächlich ist Wohnen in Helsinki teuer. Die finnische Hauptstadt wächst rasant, bei den Mietpreisen rangiert sie noch vor Genf, Rom und New York auf dem 16. Rang der teuersten Städte der Welt. Ein Zimmer in Zentrumsnähe hätte sich der Azubi nicht leisten können, so wie viele andere auch: Jonatan war einer der mehr als 1000 jungen Erwachsenen unter 25 in Helsinki, die kein dauerhaftes Dach über dem Kopf haben. Dann sah Jonatan den Facebook-Aufruf, sich für ein Zimmer zu bewerben. „Das klang in einer Stadt wie Helsinki fast nach Satire“, sagt er. Im Angebot waren 23 Quadratmeter, mit Bad, Küche, Balkon – für nur 250 Euro. Die Voraussetzungen dafür erfüllte Jonatan: 18 bis 25 Jahre alt, akute Wohnungsnot. Mehr als 300 Interessenten bewarben sich um drei Zimmer im Rudolfstift. Jonatan hatte Glück.

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Titelbild: Fabian Weiß

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