Feministische Außenpolitik

„Ohne Feminismus wird das nichts mit dem Frieden”

Statt auf Macht und militärische Stärke setzt feministische Außenpolitik auf Abrüstung und menschliche Sicherheit. Kristina Lunz, Mitgründerin des Centres for Feminist Foreign Policy (CFFP), spricht darüber, wieso wir mehr Frauen im diplomatischen Dienst brauchen und nur mit Feminismus Frieden schaffen können.

Aufgrund der aktuellen Nachrichtenlage zum Angriff Russlands auf die Ukraine möchten wir auf dieses Interview hinweisen, das bereits am 21. Februar 2020 erschienen ist.

Kristina Lunz, was hat Feminismus mit Krieg und Frieden zu tun?

Solange Krieg in unserem kapitalistischen System profitabel ist, wird es keinen Frieden geben. Denn sehr viele machtvolle Personen – und deren Konten – würden darunter leiden. Das Kernthema von feministischer Außenpolitik ist daher Abrüstung. Feministische Außenpolitik stellt vor allem infrage, was in den internationalen Beziehungen als Realismus bezeichnet wird. Im Realismus fokussieren sich Staaten nur auf die eigenen wirtschaftlichen Interessen und darauf, wer am meisten militärische Gewalt einsetzen kann.

Was ist das Problem daran?

Das ist sehr machtzentriert und sehr maskulin – weil Macht in den Händen von Männern liegt. Das schließt sehr viele Akteurinnen aus dem politischen Prozess aus, ihre Erfahrungen und Bedürfnisse werden nicht eingebracht. In Friedensverhandlungen etwa, diesem kritischen Moment nach einem Konflikt, werden Frauen und andere benachteiligte Gruppen nicht mitgedacht. So kann kein nachhaltiger Frieden geschaffen werden. Feministische Außenpolitik richtet sich hingegen nach den Bedürfnissen von feministischer Zivilgesellschaft und legt den Fokus auf menschliche Sicherheit.

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Wir müssen andere Prioritäten setzen: Dass Menschen ein Dach über dem Kopf haben und eine Krankenversicherung – anstatt die Diskussion nur auf mehr Militär und Verteidigung zu fokussieren. Ohne Feminismus wird das nichts mit dem Frieden. Wie gleichberechtigt ein Staat ist, ist auch ein signifikanter Faktor dafür, ob der Staat nach innen und außen gewaltbereit ist. Eine feministische Außenpolitik muss auch antikolonial sein und neokoloniale Strukturen anerkennen. Feministische Außenpolitik hinterfragt Paradigmen und Prämissen. Sie ist die Querulantin der Diplomatie.

Warum braucht internationale Politik diese feministische Querulantin?

Die EU verhandelt gerade das Budget für die nächsten sieben Jahre und will den Bereich für Verteidigung extrem ausweiten.

um gut 600 Prozent auf 14,3 Milliarden.

Aber bei zivilen Friedensmaßnahmen ist sie viel knauseriger. Wieso hinterfragt das niemand? Oder dass der Umsatz von einer Firma wie Lockheed Martin (ein US-amerikanischer Rüstungskonzern, Anm. d. Red.) neunmal so hoch ist wie das gesamte Budget für UN Peacekeeping. Außerdem sehen wir aktuell auf internationaler Ebene, etwa im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, einen nie dagewesenen Angriff auf Menschen- und Freiheitsrechte – zum Beispiel, wenn es um reproduktive Rechte (etwa Verhütung und Schwangerschaftsabbrüche, Anm. d. Red.) geht. Du kannst keine menschliche Sicherheit und Wohlergehen schaffen, wenn die Hälfte der Bevölkerung nicht über ihre eigenen Körper bestimmen kann. Es gibt keine größere Form der Unterdrückung. Dagegen setzt sich feministische Außenpolitik ganz klar ein.

Kristina Lunz

Jahrgang 1989, hat unter anderem Diplomatie, Menschenrechte und Psychologie in Oxford, London und Stanford studiert. Um sich für eine feministische Außenpolitik einzusetzen, hat sie das Centre for Feminist Foreign Policy (CFFP) im Jahr 2016 in London mitgegründet. Zwei Jahre später holte sie die Forschungs- und Beratungsorganisation als gemeinnützige GmbH nach Berlin und leitet sie zusammen mit Nina Bernarding. Kristina Lunz arbeitet unter anderem auch als Beraterin im Auswärtigen Amt.

Inwiefern brauchen wir auch einen feministischen Blick auf die Klimakrise?

Der Klimawandel, die Klimakatastrophe ist ein absolut feministisches Thema: Die Menschen, die weltweit vor allem unter der Klimakatastrophe leiden, sind arme Menschen, die nicht die entsprechenden Ressourcen haben – und die auch nicht zu dieser Katastrophe beigetragen haben. Und der Großteil dieser Menschen in unserem kapitalistischen System sind Frauen. Denn Geld und Macht wurden in den Händen von Männern zentriert. Daher ist der Klimawandel ein Thema, bei dem man unbedingt die Machtstrukturen analysieren muss. Die jungen Menschen, die gerade vorangehen – eine Greta, eine Luisa Neubauer – sind Menschen, die sehr gut darin sind, systemisch zu denken und daran arbeiten, diese alten Machtstrukturen aufzubrechen.

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Eine Forderung feministischer Außenpolitik ist, dass alle Geschlechter auf allen politischen Ebenen ausgewogen repräsentiert werden. Frauen sind aber natürlich nicht qua Geschlecht die besseren Diplomatinnen oder Außenpolitikerinnen, warum ist das dennoch wichtig?

Kein Mensch ist per Geburt friedlicher oder außenpolitisch besser. Eine faire Repräsentation und Verteilung von Macht ist in allen Situationen von Außenpolitik und Diplomatie dennoch ein wichtiger Punkt – aber nur einer von ganz vielen. Es ist eine Forderung, die sich aus den Menschenrechten begründet. Es müssen, verdammt noch mal, alle Menschen dasselbe Recht haben, politische Prozesse mitzubestimmen. Und immer, wenn wir eine Überrepräsentation von bestimmten Interessengruppen haben, läuft was falsch. Gerade haben wir eine völlige Überrepräsentation von Männern und deren Gedanken und Ideen. Frauen sind nicht per se bessere Außenpolitikerinnen, aber sie haben das Recht, die Hälfte der Macht zu haben.

Auf der Münchner Sicherheitskonferenz, dem weltweit größten Treffen zu internationaler Sicherheitspolitik, habt ihr gerade Women Experts in Foreign and Security Policy (WoX) gelauncht. Was genau ist das?

Alle Menschen, die sich als Frauen identifizieren, können sich auf der Plattform mit ihren Expertisen eintragen. Damit dieser billigen Ausrede, man habe keine Frau für ein Panel oder eine Delegation gefunden, der Wind aus den Segeln genommen wird. Wir haben die Plattform etwa drei Wochen vor der Münchner Sicherheitskonferenz beworben und dann dort gelauncht – und jetzt haben wir schon knapp 500 Anmeldungen aus mehr als 90 Ländern. Expertinnen gibt es in Massen, aber dennoch, das hat eine Studie der Open Society Foundation herausgefunden, war die Repräsentation von Frauen auf allen Redeslots bisher im Schnitt nur 26 Prozent.

Warum scheint es besonders in der Außen- und Sicherheitspolitik so ein großes Geschlechterungleichgewicht zu geben?

Im diplomatischen Bereich wurden Frauen proaktiv ausgeschlossen. In Deutschland durften Frauen bis Anfang der 50er Jahre keine Diplomatinnen werden, in anderen Ländern noch später. Gerade einmal seit einem halben Jahrhundert dürfen Frauen in dem Bereich also überhaupt Fuß fassen. Ein Buch von Jennifer Cassidy (Politikprofessorin an der Universität von Oxford, Anm. d. Red.) zeigt, dass wir immer noch ein massives Problem haben: In den 50 reichsten Staaten der Welt werden 84 Prozent der Botschafterposten an Männer vergeben. Auch wenn wir in den vergangenen Jahren einen Anstieg gesehen haben, werden Frauen weiterhin durch die Stereotype in unserer Gesellschaft, etwa dass sie fürsorglicher seien, in den Friedensbereich abgestellt und Männer in die harte, „richtige” Sicherheits- und Außenpolitik.

Auch bei Good Impact: Wie Technik dem Frieden dienen kann

Im Jahr 2014 hat Schweden als erstes Land weltweit offiziell eine feministische Außenpolitik eingeführt. Wie bewertest du die Entwicklungen seitdem?

Die ehemalige Außenministerin Margot Wallström hat gesagt, wir erneuern unseren Waffenexport-Vertrag nach Saudi-Arabien nicht mehr. Das ist eine feministische Haltung. Jedoch hat Schweden den Atomwaffenverbotsvertrag der UN nicht ratifiziert, denn dafür hatte Margot Wallström nicht genug Rückhalt. Und Schweden exportiert im Vergleich zu seiner kleinen Größe und Anzahl von Bewohnern sehr viele Waffen. Dennoch muss man anerkennen, welche Pionierarbeit Schweden geleistet hat. Hätte Schweden nicht den Mut bewiesen, die eigene Außenpolitik feministisch zu nennen, hätte Kanada 2017 nicht den Mut bewiesen, seine Entwicklungspolitik feministisch zu nennen und im vergangenen Jahr Frankreich nicht seine Diplomatie feministisch. Und jetzt Mexiko. Das ist unglaublich beeindruckend als erstes Land des Globalen Südens – da können sich andere Länder eine große Scheibe abschneiden.

Bild: MSC/Mirgeler

Auf der Münchner Sicherheitskonferenz, dem weltweit größten Treffen zu internationaler Sicherheitspolitik, hat Kristina Lunz mit dem CFFP gerade die eine Veranstaltung dazu organisiert, warum jeder Staat eine feministische Außenpolitik braucht.

Astrid Ehrenhauser

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