Ihr habt das fiktive „Reisebüro für Perspektiven“ gegründet. Dort kann man auch per Postkarten verreisen. Was hat es damit auf sich?
Anna Eckl: Für ein Uni-Projekt haben wir uns damit beschäftigt, wie viele Ressourcen das Reisen verbrauchen kann, vor allem Flugreisen. Dabei gibt es so viel vor der Haustür, das gesehen werden will. Manchmal reicht es schon, die Perspektive zu ändern. So kam es zum „Reisebüro für Perspektiven“ und zu unserer Postkarten-Reise, einem der Angebote, das es dort gibt.
„Reisebüro für Perspektiven“
Das fiktive „Reisebüro für Perspektiven“ wirbt für nachhaltiges Reisen: lokal oder per Postkarten. Während ihres Masterstudiums Transformation Design an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig haben Colleen Brown (25), Anna Eckl (23) und Leonie Matt (24) Anfang des Jahres ihr Projekt in einer Ausstellung vorgestellt. Jetzt führen sie das „Reisebüro“ virtuell weiter, unter anderem auf Instagram.Bei der Postkarten-Reise soll man etwa ein Fotoalbum machen oder mit der Matratze zu Hause an einem anderen Ort schlafen. Worum geht es dabei?
Leonie Matt: Bei dieser siebentägigen, kompakten Postkarten-Reise soll es darum gehen, zu Hause ein Urlaubsgefühl zu schaffen, eine kleine Staycation sozusagen und die Erlebnisse und Momente zu konservieren. Wir versuchen gerade, einen Verlag zu finden, der die Postkarten produzieren und verteilen kann. Bald möchten wir noch mehr Karten entwickeln, auch speziell für Familien oder Menschen, die vor allem Gemütlichkeit und Entspannung suchen. Wir haben uns überlegt: Welche Bedürfnisse gehen mit Reisen einher? Wir haben herausgefunden, dass die Bedürfnisse von Person zu Person ganz unterschiedlich sein können. Vielen geht es um die Erholung, anderen um neue Inspiration, um Erfahrungen und darum, Unbekanntes zu entdecken. Wieder andere wollen mit den Menschen, für die man im Alltag ansonsten nicht so viel Zeit hat, Zeit verbringen. Diese Bedürfnisse lassen sich auch im direkten räumlichen Umfeld befriedigen – durch einen Perspektivwechsel.
Wie sieht so ein Perspektivwechsel aus?
Leonie: Wir haben für unser „Reisebüro für Perspektiven“ im eigenen räumlichen Umfeld, also um Braunschweig herum, nach Reise-Ideen gesucht, für die man nicht weit fahren muss, zum Beispiel ein Retreat im Harz. Und ortsunabhängig kam uns dann noch die Idee für die Postkarten-Reise: Die kann man zu jeder Zeit und an jedem Ort erleben. Man kann also in den Urlaub fahren ohne wirklich zu fahren und somit den ressourcenaufwendigen Weg von A nach B vermeiden.
Colleen Brown: Der Tourismus ist weltweit für circa fünf Prozent aller klimaschädlichen Emissionen verantwortlich. Es ist gerade in Zeiten von Fridays for Future erstaunlich, aber wir kennen in unserem Umfeld selbst viele Menschen, die total nachhaltig leben, nur Fahrrad fahren zum Beispiel, aber dann einmal im Jahr nach Bali fliegen. Fernreisen haben vor Corona immer weiter zugenommen. Es wird spannend zu sehen, ob es einen nachhaltigen Wandel geben wird durch Corona. Doch weil Reisen und Tourismus sozial erwünscht sind, wollten wir den Fokus unseres Projekts nicht allein auf den Ressourcenverbrauch von Reisen legen.
Das heißt, ihr wolltet nicht mit dem erhobenen Zeigefinger, sondern mit einer möglichen Alternative an genau diese Menschen herantreten?
Anna: Genau, es ging uns um ein positives Narrativ. Wir wollen nicht abschrecken, sondern Handlungsoptionen geben.
Leonie: Wir haben bei unserer Eröffnung und Performance des Reisebüros unsere Kommilitonen gefragt: Wie viel Budget für einen Urlaub hast du eigentlich? Denn lokal zu verreisen kann günstiger sein. Das war aber vor Covid-19. Jetzt haben wir alle noch einen Grund mehr für den Urlaub zu Hause.
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Wie verreist ihr selbst am liebsten?
Leonie (lachend): Das muss Anna beantworten, sie ist da unser Vorzeige-Mitglied.
Anna: Als Familie sind wird tatsächlich nie zusammen in den Urlaub geflogen. Aus ökologischen Gründen – und weil wir einfach eine tolle Alternative mit unserem Camping-Bus hatten. Ich sehne mich schon nach der Ferne, anderen Ländern und Kulturen. Gleichzeitig genieße ich es total mit Zelt, Rucksack und meinem Camping-Kocher zu verreisen. Und in Europa gibt es auch wahnsinnig tolle Orte. Auch mit dem Zug kommt man weit.
Du bist also noch nie geflogen?
Anna: Doch, ich habe eine Freundin in Südafrika besucht für vier Wochen. Manchmal denke ich mir schon: Ich würde gerne noch so viel sehen, aber gleichzeitig gibt es noch so viel, das ich auch ohne Flugzeug sehen kann. Die ganze Welt könnte ich ohnehin nicht sehen.
Wie ist es bei euch, Leonie und Colleen?
Leonie: Ich bin schon häufiger geflogen und es war ja auch immer so einfach. Aber im Rahmen des Projekts habe ich gelesen, dass schätzungsweise 90 Prozent der Weltbevölkerung nie ein Flugzeug besteigen werden. Und wir könnten jede Woche nach Mallorca fliegen. Ich finde, das ist eine total arrogante Art zu leben.
Colleen: Ich bin auch so aufgewachsen, dass man halt in den Ferien Flugreisen unternimmt. Aber ich hatte das Glück, dass meine Eltern auch oft an die Nord- und Ostsee gefahren sind. Auch das war für mich normal. Als ich dann vor einigen Jahren einen Inlandsflug von Hannover nach Stuttgart gemacht habe, dachte ich mir, wie verrückt das eigentlich ist. Das war dann auch mein letzter Flug. Ich möchte nicht mehr jährlich fliegen, aber ich habe Familie in den USA. Da steht dann schon mal irgendwann wieder eine Flugreise an. Und ich habe den Drang, die Welt zu sehen, aber werde das nicht mehr für ein oder zwei Wochen tun. Stattdessen möchte mal in einem anderen Land arbeiten und dort länger leben.
Mit sieben Ideen sollen die Postkarten des „Reisebüros für Perspektiven“ Inspiration für einen nachhaltigen Urlaub im eigenen Zuhause bieten und dazu anregen, neue Perspektiven zu erleben.