Wenige Filme haben mich dieses Jahr so sehr berührt wie Judas and the Black Messiah von Shaka King. Erzählt wird darin die wahre Geschichte von Fred Hampton, Chairman der Illinois Black Panther Party. In einer der wichtigsten Szenen des Films führt Hampton seine Panthers mit ihren schwarzen Lederjacken und Berets 1968 zum Hauptquartier der „Young Patriots“, einer linken Organisation von bettelarmen weißen Einwander:innen aus den Südstaaten.
Im Norden des Landes werden sie als „arm, gewaltbereit und primitiv“ wahrgenommen, wie es in einem Harper’s Bazaar-Artikel aus demselben Jahr heißt. Manche von Hamptons Anhänger:innen sind misstrauisch: Schließlich wurden zahlreiche ihrer Brüder und Schwestern in den Südstaaten brutal gelyncht. Aber die Young Patriots sind gegen Rassismus. Und Hampton glaubt: Erst wenn alle Unterdrückten sich zusammentun, können sie sich erfolgreich gegen die Armut und Polizeigewalt wehren, unter der sie leiden.
Ihm gelingt das scheinbar Unmögliche: In einem Chicago, in dem Weiße, Latinx, Native Americans und Asiat:innen zuvor brutale Gang-Kriege gegeneinander führten, vereint er all diese Gruppen unter dem Namen Rainbow Coalition. „Wir werden Rassismus mit Solidarität bekämpfen“, sagt Hampton. Die Rainbow Coalition verteilt kostenlose Mahlzeiten an bedürftige Kinder und Familien jeder Hautfarbe. Die Young Patriots besetzen gemeinsam mit Native Americans Häuser, um Wohnraum für alle zu fordern.
Und wenn Hampton in der Öffentlichkeit seine flammenden Reden über Gleichheit für alle hält, steht hinter ihm stets ein Mitglied der „Young Lords“, des puerto-ricanischen Pendants der Black Panthers, um ihn vor Polizeigewalt zu beschützen. Doch das FBI fürchtet nichts so sehr wie eine geeinte Linke. 1969 wird Hampton vom FBI im Schlaf ermordet. Die Rainbow Coalition muss in den Untergrund, löst sich schließlich auf.
Aber ihr Erbe ist gewaltig: 1983 gelingt es Harold Washington durch seine Wiederbelebung der Rainbow Coalition, der erste Schwarze Bürgermeister von Chicago zu werden. In Zusammenarbeit mit den Young Lords kann er mithilfe der Latinx-Stimmen die Wahl gewinnen. 1984, nach seiner gescheiterten Präsidentschaftskandidatur, gründet der Schwarze Jesse Jackson die National Rainbow Coalition, um sich für Sozialprogramme für alle Minderheiten einzusetzen.
Obama orientierte sich an der Rainbow Coalition
Jakobi Williams, Historiker an der Indiana University, argumentiert in seinem Buch From the Bullet to the Ballot, dass Hamptons Koalition außerdem indirekt zur Präsidentschaft Barack Obamas geführt hat: Obama orientierte sich stark an den Ideen der Rainbow Coalition, um zunächst Wahlen in Chicago und später die Präsidentschaft 2008 für sich zu entscheiden. So wie Hampton einst sagte: „Einen Revolutionär kann man töten, nicht aber die Revolution.“ Bis heute ist er ein leuchtendes Vorbild für eine Gesellschaft, in der unterdrückte Gruppen immer noch viel zu oft gegeneinander kämpfen statt miteinander.
Kolumne Histourismus
In der Kolumne Histourismus wirft unsere Redakteurin Morgane Llanque einen feministischen und postkolonialen Blick auf Geschichte. Sie erscheint auch in jeder neuen Ausgabe des enorm Magazins.Fred Hampton, der charismatische Anführer der Rainbow Coalition, bei einer Versammlung 1969.