Schwerpunkt: Tierwohl

Das Internet der Tiere

Von Ohrclips für Nashörner und Amseln mit Stringtangas – Ein Gespräch mit Martin Wilkelski über sein System zur weltweiten Tierbeobachtung

Herr Wikelski, Sie haben ein Internet der Tiere entwickelt. Was bitte ist denn das?

Im Grunde eine Art Google Traffic: Wir beobachten das Verhalten Tausender Tiere live, wie das Google bei Autos im Verkehr macht. Dafür sammeln wir weltweit mit intelligenten Sensoren Echtzeit-Daten von Tieren und schalten sie zu einem gewaltigen Informationssystem zusammen. Das nennen wir das Internet der Tiere. Wir statten sie mit kleinen Wearables aus, einer Art Fitnessarmbändchen für Wildtiere. Die Daten empfangen wir über das Handynetz, das Internet der Dinge und vor allem über ein eigenes Satellitensystem zur Tierbeobachtung im Weltraum, das wir über Jahrzehnte entwickelt haben. So können wir auch Tiere in Meeren, den Bergen, auf entlegenen Wiesen und Wäldern digital beobachten, wo es sonst keinen Empfang gibt.

Dahinter steht eine internationale Forschungskooperation.

Icarus haben wir sie genannt, weil nur eine weltweite Zusammenarbeit so einem gewaltigen Projekt Flügel verleiht. Mehr als 1.500 Forschungsgruppen speisen ihre Daten in eine gemeinsame Datenbank, die Movebank, an  der Universität Konstanz und  dem Max-Planck-Institut. Etwa  30.000 Tiere aus 1.500 Tierarten – von Libellen über Hyänen bis zu Fledermäusen – schicken uns täglich ihre Daten aus irgendeiner Ecke der Welt.

Martin Wikelski

ist Direktor der Abteilung für Tierwanderungen des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie und Honorarprofessor an der Universität Konstanz. Er entwickelte ein System zur Beobachtung von Tieren aus dem Weltraum. 2024 erschien sein Buch The Internet of Animals: Was wir von der Schwarmintelligenz des Lebens lernen können.

Aber Sender an Tieren gibt es schon seit Jahrzehnten.

Natürlich. Doch bisher haben meist nur einzelne Tiere so einen Sender getragen und es gab nur wenige Daten. Wir aber verknüpfen die Daten Tausender Tiere über Artgrenzen hinweg. Dadurch entsteht eine ganz neue Qualität, wir sehen Muster und Zusammenhänge. Die Schwarmintelligenz der Tiere verrät uns mehr über die Welt, als wir je mit irgendeiner Technik herausfinden könnten.

Dafür haben Sie für jede Tierart passende Wearables entwickelt, Amseln tragen Stringtangas …

(lacht), ja, so nennen wir die kleinen elastischen Gummis, mit denen wir die Minisender auf ihre Bürzel setzen. Wir haben das jahrelang in Volieren getestet, sie stören nicht mal bei der Fortpflanzung. Nashörner bekommen jetzt extra kleine Ohrclips, die ersten Modelle haben sie offenbar gekitzelt. Für Störche gibt es neuerdings smarte Fußringe. Die kleinsten Wearables wiegen nur noch ein Gramm, sogar Nachtschwärmer können sie tragen. Gerade fliegt die erste Generation mit solchen Tags unterm Bauch quer durch Europa.

Die Fitnessbändchen sind also kleine Computer?

Sie stecken voller Künstlicher Intelligenz (KI) und liefern uns Informationen über Wanderungsbewegungen, Verhalten und Vitaldaten wie Körpertemperatur oder Stress. Mit den Sendern können wir auch die Umgebung analysieren, von Luftfeuchtigkeit bis Fließgeschwindigkeit von Wasser, manche sind sogar mit Mikrokameras versehen. Einige sind solarbetrieben, andere – zum Beispiel für nachtaktive Fledermäuse – mit Batterien, wieder andere sammeln die Energie für ihren Betrieb aus der Bewegung des Tieres selbst, so bei Hunden und Pferden.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen?

In meiner Kindheit war ich viel bei meinem Großvater auf dem Bauernhof. Es hat mich beeindruckt, wie genau er die Signale seiner Tiere zu deuten wusste, ihre Unruhe vor einem Sturm etwa, wie gut er die Vorlieben jeder einzelnen Kuh, jedes Schweinchens kannte und sie entsprechend behandelte. Damals habe ich gedacht: Wer Tiere lesen kann, erfährt viel über seine Umwelt. Später kam die Idee: Wäre es nicht eine Revolution, das Wissen der Tiere, den lebenslangen Erfahrungsschatz Tausender Individuen, mithilfe neuer Technologie weltweit zu nutzen? Besonders interessiert hat mich, was Tiere eigentlich so machen, wenn wir sie nicht beobachten.

Und?

Es ist unglaublich. Es gibt wirklich jeden Tag etwas Neues und fast immer ist es anders, als bisher von der Forschung vermutet. Dass ein Schwarzstorch einfach abhebt und übers Mittelmeer fliegt…

Foto: Pexels / Raju46

Dank Miniaturisierung können selbst kleinste Tiere wie Libellen oder Nachtschwärmer mit Sensoren ausgestattet werden.

Schwerpunkt Tierwohl

Ich denke, also bin ich

Wir machen uns – aller Haustierliebe zum Trotz – vor: Tiere sind halt nicht so viel wert wie wir, fühlen, denken weniger. Wie gründlich wir damit falsch liegen, knallt uns die Wissenschaft jetzt auf den Tisch. Was können wir für mehr Tierwohl tun und was wird schon gemacht?

Weiterlesen