Neue Rolle der Schüler:innen

„Mitbestimmung ist im modernen Sportunterricht ganz wichtig“

Immer noch schneller, höher, weiter? Nein, Sport hat sich als Schulfach längst weiterentwickelt. Es geht nicht nur um Leistung, sondern auch um Perspektivenvielfalt und ein tieferes Verständnis von Bewegung. Ein Gespräch mit der Sportdidaktikerin Julia Hapke, Juniorprofessorin an der Universität Tübingen, über engagierte Lehrer:innen und Kinder mit Gestaltungsfreiheit.

Bestenauswahl, Wettkampfstress und schon wieder als letztes Kind in die Mannschaft gewählt – auch heute noch ist Sportunterricht für viele Schüler Horror. Warum ändert sich das Fach so wenig?

Julia Hapke: In den vergangenen Jahren hat sich durchaus einiges getan. Die meisten Sportpädagog:innen haben längst Abschied genommen von einer reinen Leistungs- und Wettkampffokussierung und dem alten Kanondenken im Sport – Leichtathletik, Turnen, Fußball. Auch weil sich Sport in unserer Gesellschaft ständig verändert, zum Beispiel durch die Fitnesskultur und informelle Bewegungsangebote. Slackline im Park, Fitness-Yoga auf Youtube, Parkour in der Stadt. Ein Kanon von Sportarten im Unterricht würde dieser Vielfalt gar nicht mehr gerecht.

Was sollen Schüler:innen denn heute im Sportunterricht lernen?

Zum einen sollen sie die Kultur des Miteinanders im Sport und in unserer Gesellschaft verstehen lernen. Kooperieren, Strategien entwickeln, mit Sieg und Niederlage umgehen beispielsweise. Zum anderen sollte moderner Sportunterricht ihnen Wege zeigen, wie sie Sport und Bewegung zum Teil ihres Lebens machen können – auf eine Weise, die ihnen entspricht. Was tut mir gut, was macht Freude? Guter Schulsport soll dazu inspirieren. Und schließlich ist es Aufgabe des Sportunterrichts, Kindern zu vermitteln, dass unsere Sportkultur von Menschen gemacht ist – und von uns allein wieder geändert werden kann.

Julia Hapke

ist Juniorprofessorin für Fachdidaktik des Sports an der Eberhard Karls Universität Tübingen. Sie forscht dort unter anderem zum Thema mehrperspektivischer Sportunterricht, zur Professionalisierung angehender Lehrpersonen und zur Gesundheitsbildung im Sportunterricht.
Bild: privat

Und wie sieht dann ein moderner Sportunterricht aus?

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Heute geht es nicht mehr nur um einzelne Sportarten wie Basketball oder Geräteturnen. Viele Sportpädagog:innen setzen auf „Kompetenzorientierung“. Das heißt, dass Kinder im Turnverein, in der Schule oder auf dem Bolzplatz nicht einfach nur mitmachen, sondern auch darüber nachdenken, ihre Aktivitäten einordnen lernen und erkennen sollen: Ich kann meinen Sport auch anders gestalten.

Was heißt das konkret?

Beim Thema Sport und soziales Miteinander kann es bedeuten, dass Schüler:innen gemeinsam Spiele erfinden, an denen alle gleichermaßen mitmachen können. So können sie ein Verständnis dafür entwickeln, weshalb man überhaupt Spielregeln braucht und wie sich ein Spiel verändert, wenn man an den Regeln dreht. Beim Thema Sport und Gesundheitsbildung geht es darum: Was macht Sport mit meinem Körper? Wie wichtig ist Sport für meine Gesundheit? Um sie dafür zu sensibilisieren, kann man Kinder im Sportunterricht zum Beispiel drei Minuten Seil springen oder sich in der Planke halten lassen – und dann fragen: Welche Reaktionen nimmst du an deinem Körper danach wahr? Klopft das Herz? Schwitzt du? Dann lässt sich mit Fragebögen und Unterrichtsgesprächen super gemeinsam erarbeiten: Was bedeutet das jetzt für dich? Wie kannst du Sport für deine Gesundheit nutzen? Dieser kompetenzorientierte Sportunterricht setzt sich zunehmend durch. In vielen Bildungsplänen der Bundesländer ist auch gar nicht mehr von Sportarten, sondern von Bewegungsfeldern die Rede…

… laufen, springen, werfen oder bewegen im Wasser?

Genau, und dann geht es beim Schwimmen eben nicht mehr nur darum, möglichst schnell eine Bahn zu schaffen. Die Aufgabe kann auch heißen: Überlegt, wie ihr euch möglichst schön und synchron im Wasser bewegen könnt. Es gibt ja viele unterschiedliche Perspektiven auf den Sport, auf jedes einzelne Bewegungsfeld, es zählt nicht nur die Leistung. Ich kann laufen gehen, um die Natur zu erleben, mit einer Freundin zu plaudern oder für den Marathon zu trainieren. Jeder Ansatz hat seine Berechtigung. Diese Perspektivenvielfalt sollte sich auch in der Bewertung widerspiegeln.

Also nicht: Die beste Note für die besten Weitspringenden?

Leistung spielt natürlich auch eine Rolle. Aber die Note sollte auch die körperlichen Voraussetzungen und die Vorerfahrungen jedes Kindes mitberücksichtigen. Wer groß ist, hat es leichter beim Hochsprung, wer Basketball im Verein macht, wird den Korb leichter treffen. Deshalb arbeiten Sportlehrer:innen zunehmend mit komplexen, ausdifferenzierten Bewertungsschemata. Man muss ja einen Sprung nicht nur nach der Weite bewerten, sondern kann auch fragen: Wie schön sieht er aus oder wie lustig? Über die Kriterien sollten Schüler:innen durchaus mitentscheiden. Mitbestimmung ist in einem modernen Sportunterricht ganz wichtig, nur so erleben Kinder: Sport ist von Menschen gemacht und auch ich kann ihn mitgestalten.

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Und der Wettkampf?

Auch er hat seinen Platz im Sportunterricht. Viele Jugendliche haben das Bedürfnis sich zu messen, spielerisch und nach festen Regeln. Aber er sollte eben nicht alles dominieren.

Alltag sind die neuen Ansätze in den Schulen aber oft noch nicht, oder?

In der Tat dauert es lange, bis die Entwicklungen der Sportdidaktik in den Schulen flächendeckend Fuß gefasst haben. Nicht alles was wissenschaftlich sinnvoll ist, landet ja in den Bildungsplänen der Bundesländer, das sind letztlich politische Entscheidungen. Und wir dürfen nicht vergessen: Die Lehrer:innen können sehr frei entscheiden, wie ihr Unterricht aussehen soll. Aber ich beobachte seit einiger Zeit: Gerade junge Kolleg:innen nehmen die Konzepte aus der Wissenschaft engagiert mit an die Schulen.

Das Fach Sport galt lange als zweitrangig in der Schule. Ist das immer noch so?

Leider ja, kein Fach fällt häufiger aus. Mathe, Deutsch oder die Naturwissenschaften gelten nach wie vor als wichtiger. Das spiegelt sich in der Wissenschaft: Für die Sportdidaktik gibt es weniger Fördermittel als für andere Fachbereiche. Neuerungen durchzusetzen, ist deshalb besonders mühsam, es fehlen Evaluationen und Vergleichsstudien, die anderswo längst selbstverständlich sind. Dabei ist es so wichtig, dass sich Schüler:innen in der Schule mit Sport auseinandersetzen, er ist ein zentrales Kulturphänomen unserer Gesellschaft.

Bild: IMAGO / Jürgen Schwarz

Leichtathletik, Turnen, Ballsport – in diesen Rastern denken viele Sportlehrer:innen schon länger nicht mehr. Ihr Unterricht dreht sich weniger um Wettkampf, als um Freude an der Bewegung.

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