Naturtalent: Die 4 Mägen eines Wiederkäuers

Abwasser verdauen wie eine Kuh

Im Globalen Süden gelangt oft giftiges Abwasser in die Natur, weil Kläranlagen fehlen. Eine Lösung aus Indien orientiert sich an den vier Mägen einer Kuh.

In Bengaluru, Indien, hat das Wasser wieder gebrannt. Die Armee musste anrücken, erinnert sich Tharun Kumar, erst nach 12 Stunden hatte sie den Brand im Varthur-See besiegt. Kumar wohnt in der Nähe, sieht regelmäßig Flammen. „Das Gebiet war mal wunderschön, voller Fische und Vögel“ , sagt er, „doch das Abwasser erstickt den See.“ 400 bis 600 Millionen Liter davon müssen Gewässer wie Varthur oder Bellandur täglich schlucken, das sind ungefähr 42 Prozent des gesamten Abwassers der Stadt. Wenn hier noch Müll den flüssigen Dreck zudeckt, bilden sich brennbare Gase.

In Megacitys wie Bengaluru gibt es nicht genug große, zentralisierte Klärwerke. Jedes Gebäude muss sich selbst um sein Abwasser kümmern – was sich nicht jede:r leisten kann oder will. Etwa braucht es geschultes Personal, das den Fäkalien-Tanks jede Stunde frische Bakterien beimischt sowie motorbetriebene Belüftungstechnik, die die Mikroben bei ihrer Filterarbeit mit Sauerstoff versorgt. Der Einsatz solcher „aerober“ Lebewesen, die zum Leben Luft benötigen, ist in der Abwasserbehandlung weltweiter Standard – der viel Strom frisst.

Kläranlage Kuhmagen

Dabei geht es auch anders: mit anaeroben Bakterien, die ohne Sauerstoff klarkommen. Oder, wie Kumar sagt: mit dem Ur-Putztrupp der Erde. „Das Leben begann, als es noch gar keinen Sauerstoff gab. Die ersten Organismen schöpften Energie aus Methan, CO2 und Schwefel.“ Heute finden sie sich im Boden oder in unserem Darm. Doch Kumar kam auf die Kuh. Denn die beschäftigt Milliarden anaerober Arbeiter in gleich vier Mägen, einem beeindruckenden Verdauungslabor.

Dank ihres Pansen, Netz-, Blätter- und Labmagens kann die Kuh Gras und Heu verdauen und aus den Nährstoffen Milch brauen. Anaerobe Mikroben helfen beim Zersetzen der Zellulosefasern, grobe Stücke wandern immer wieder zurück ins Maul. Zum Wiederkäuen nimmt sich die Kuh bis zu drei Tagen Zeit, am liebsten im Liegen. Dabei dünstet das Tier mindestens alle drei Minuten klimaschädliches Methangas aus.

Das Verdauungslabor der Kuh, Grafik: Eva Leonhard, Kuh: Creative Commons

Kein Stromverbrauch

Inspiriert von den Wiederkäuern gründete Ingenieur Kumar 2017 ECOSTP. Die vier Mägen des anaeroben Abwassersystems sind rechteckige Kammern mit rauen Wänden aus Lehm. Weil kein Sauerstoff nötig ist, kommt die Anlage ohne laute Motoren und Pumpen aus, das heißt ohne Strom, und kann mit all ihren strengen Gerüchen unter der Erde verschwinden, etwa unter Park- oder Spielplätzen. Die Fläche lässt sich also doppelt nutzen, ein wichtiger Punkt, denn ECOSTP ist größer als konventionelle Kläranlagen. So erreicht sie die gleiche Kapazität, zwischen 6.000 und einer Million Liter pro Tag. Über Rohre fällt das Abwasser in die erste Kammer, schwere Feststoffe sinken auf den Boden. Füllt sie sich, läuft es automatisch in die zweite und danach in die dritte Kammer. Die Fußböden wurden einmalig mit Kuhdung voll anaerober Organismen gespickt, auch die rauen Seiten sind mit Mikroben bevölkert. Je nachdem, wie viel Futter angeschwemmt wird, pflanzen sie sich schnell fort oder gehen in den Winterschlaf.

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Eine Hochzeit im Haus ist auch für die Kläranlagenbewohner ein Fest. In jeder Kammer zersetzen andere Bakterienarten Schadstoffe und Krankheitserreger. Die Stoffwechselprodukte einer Art sind Nahrung für die nächste. Der vierte Schritt ist ein Filterbecken aus Kies und Pflanzen. Heraus kommt gereinigtes Wasser, das von der indischen Kontrollbehörde CPCB für die Gartenarbeit zugelassen ist. Wird es mit Chlor behandelt, kann es auch für Toilettenspülung und Autowäsche verwendet werden. Trinkwasser lässt sich nur mit einer zusätzlichen „Umkehr-Osmose-Anlage“ aufbereiten, in der sich per Physik kleine Wassermoleküle von größeren Schmutzpartikeln abspalten.

Mehr als 200 Kund:innen hat Kumar in Indien bereits, vor allem private Immobilienentwicklerinnen, aber auch Schulen und Industrie. Bald will er ECOSTP nach Afrika und Asien bringen. Die Umsetzung koste zwar 15 bis 20 Prozent mehr als gängige Klärwerke, aber der Betrieb sei deutlich günstiger: nur 2 Indische Rupien pro Kiloliter statt 15 Rupien. Denn gewartet werden muss nur etwa alle zwei Jahre, dann sollte der Schlamm am Boden der ersten Kammer entfernt werden.

Wie auch Kühe, stößt ECOSTP Gase aus, etwa 1,44 Kubikmeter täglich, davon 50 bis 75 Prozent Methan. Bei einer Kuh sind es um die 0,5 Kubikmeter Methan. Doch auch reguläre Anlagen verursachen Treibhausgase, bei der Entnahme und Lagerung des Klärschlamms und beim Betrieb. Tharun Kumar will das Biogas als Energiequelle nutzen, zum Beispiel zum Kochen. „Leider ist das ‘Shitgas’- Stigma noch zu groß und es gibt nicht genug Abnehmer:innen“, sagt er. „Also versuchen wir jetzt, es in Strom für LED-Lampen umzuwandeln.“

Foto: Unsplash / Lomig

Anaerobe Bakterien arbeiten nicht nur im Kuhmagen, sondern können auch Wasser filtern.

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