Insektensterben

Kommen bald Roboterbienen?

Vielen bestäubenden Insekten geht es schlecht – das bedroht auch Ökosysteme und Ernährungssicherheit. Schlüpfen bald Roboterbienen?

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Auf einer Birnenplantage in Sichuan, China, ist es still. Die schneeweißen Blüten der Bäume bergen einen staubigen Schatz. Um ihn zu heben, klettern menschliche Bienen vorsichtig auf die Äste: Sie ernten den männlichen Pollen, trocknen ihn, und erklimmen die Bäume erneut. Mit Pinseln bestäuben sie die weiblichen Blütenteile.

Szenen wie diese gibt es nicht nur auf chinesischen Obstplantagen. 20 Nutzpflanzen von Brasilien bis Australien werden teilweise oder vollständig manuell bestäubt, damit ihnen Früchte wachsen. Das zeigt eine Studie der Universitäten Göttingen und Hohenheim von 2021.

Die Gründe sind vielfältig. Häufig fehlen die passenden Insektenarten, zum Beispiel, weil die Pflanzen außerhalb ihres natürlichen Lebensraums kultiviert werden, wie beim Vanilleanbau in Madagaskar. Oder weil die Bestäuber aus ihrem Habitat verdrängt worden sind, wie die auf Passionsfrucht spezialisierte Holzbiene in Brasilien. Wer manuell bestäubt, kann außerdem wirtschaftliche Verluste auffangen, die durch klimabedingte Veränderungen entstehen. Denn zunehmend erschweren Stürme die Arbeit fliegender Insekten und stehen Bäume früher in Blüte, zu früh für manche Tiere. Doch die Handarbeit ist zeitaufwendig. Lässt sie sich automatisieren?

Drohnen im Käfig

Januar 2023, eine Werkstatt in Delft, Niederlande. Sie gehört zum Campus Luft- und Raumfahrt der Technischen Universität Delft, zwischen Den Haag und Rotterdam. Guido de Croon navigiert im Laufschritt durch die Halle, in der Hand einen schwarzen Sicherheitskoffer, vorbei an Maschinen mit Armen, Bauplänen für Flugzeuge, 3D-Druckern. Der KI-Wissenschaftler leitet das „MAV Lab“ an der TU Delft, kurz für „Micro Air Vehicle Laboratory“.

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„Gleich sind wir beim Cyber-Zoo“, sagt de Croon. Damit meint er einen Bereich der Halle, in dem sich Drohnenpilot: innen austoben können. Abgesteckt ist er mit einer massiven Stahlkonstruktion und straffen schwarzen Vorhängen. An einer Seite hängt ein Netz mit faustgroßen Maschen, daneben eine Art Kontrollzentrum: Schreibtische, Stühle, Computer. Der Boden des quadratischen Käfigs ist mit Kunstrasen bedeckt und bis in jede Ecke ausgeleuchtet, wie eine Bühne. In der Mitte hockt eine blau blinkende Drohne mit langen dünnen Beinen. De Croon begrüßt den Piloten der Spinne und hievt seinen Koffer auf den Tisch, darin sein eigenes Zootier: eine überdimensionierte Fruchtfliege.

2013 flatterte die „DelFly“ erstmals autonom durch ein leeres Stockwerk der Universität. Im September 2022 navigierte sie durch ein Gewächshaus und erfüllte dabei mehrere Aufgaben: CO2-Gehalt, Luftfeuchtigkeit und -temperatur messen sowie kranke Tomatenpflanzen und Fressfeinde detektieren. Auf einer zarten Blüte landen, sie bestäuben? Davon sind wir noch weit entfernt, sagt de Croon. Vor allem draußen: Wind und Wetter machen es den Fliegern schwer. Das neueste Modell der TU Delft wiegt 29 Gramm und misst 33 Zentimeter Flügelspannweite. „MAVs profitieren von der Aerodynamik eines flugfähigen Insekts“, so de Croon. Ohne Propeller seien sie agiler und verbrauchten weniger Energie beim Fliegen als Standard-Drohnen. Allerdings: „Insekten schaffen unglaubliche Dinge, die über das hinausgehen, was wir aktuell mit Drohnen tun können.“ Schwärmen Bienen etwa aus, merken sie sich Dinge in ihrer Umgebung, um später wieder zurückzufinden; Ameisen zählen dafür ihre Schritte.

Neben der TU Delft ist vor allem die Harvard- Universität in Boston, USA, an dem Thema dran. Harvard RoboBees können fliegen und tauchen, bisher aber nur kurz, da sie lediglich halb so groß sind wie eine Büroklammer und 0,1 Gramm wiegen. Mögliche Anwendungsbereiche: Rettungsmissionen nach Naturkatastrophen, Umwelt-Monitoring – und Bestäubungshilfe. Das finden auch Unternehmen interessant. US-Handelsriese Walmart hat mehrere Patente für Bestäubungsdrohnen angemeldet, die Technologiekonzerne AeroVironment und Festo haben jeweils Prototypen entwickelt: einen Kolibri und eine Libelle.

In der Natur sind neben den mehr als 20.000 Wildbienen-Arten Schwebfliegen die wichtigsten Blütenbesucher. Auch Schmetterlinge, Wespen, Motten, Käfer, Mücken, Fledermäuse und einige Vögel transportieren Pollen. Ihre Arbeit ist pro Jahr eine Billion US-Dollar wert. 75 Prozent unserer Kulturpflanzen und fast 90 Prozent der wild wachsenden Blütenpflanzen sind ganz oder teilweise von der Bestäubung durch Tiere abhängig. Das Problem: Mehr als 40 Prozent der wirbellosen Bestäuber und 16 Prozent der bestäubenden Wirbeltiere sind laut Weltbiodiversitätsrat IPBES vom Aussterben bedroht. Lösungen: mehr Ackerflächen nachhaltig und pestizidarm bewirtschaften, ländliche und urbane Schutzräume schaffen. Doch all das passiert zu langsam. Brauchen wir Robobienen als Back-up?

Auch bei Good Impact: Mission Artenrettung – Wie wir die Biodiversität bewahren

Alan Dorin sieht das kritisch. An der Monash-Universität in Melbourne, Australien, forscht er an der Schnittstelle von Ökologie und Computerwissenschaften. „Mein Problem mit solchen Drohnen ist, dass sie eine Menge kosten. Und damit meine ich nicht nur Dollar, sondern Ressourcen: Energie, Plastik, Metalle, Lithium für die Batterien.“ MAVs sind zwar klein, aber es wird große Schwärme brauchen, um ähnliche Leistungen erzielen zu können – eine einzige Biene besucht pro Sammelflug etwa 100 Blüten. „Je billiger die Mikrodrohnen produziert sind, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie in freier Wildbahn ‚verletzt‘ werden und als Elektroschrott verenden oder von Vögeln und Eidechsen mit Beute verwechselt werden.“

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Schlechte Ökobilanz

Doch es gibt auch große Maschinen, etwa Modell „Polly“ des israelischen Unternehmens Arugga. „Polly“ bewegt sich auf Rollen zwischen den Pflanzenreihen fort, erkennt reife Blüten dank KI-basierter Kameratechnik und bestäubt sie autonom. Das soll die Erträge erhöhen: um 20 Prozent gegenüber Handbestäubung und 5 Prozent gegenüber Insekten. Problematisch aber bleibe, so Dorin, „dass solche Technologien mit natürlichen Bestäubern konkurrieren, statt sie zu schützen“. Hinzu kommt: „KI benötigt leistungsfähige Hardware, die ständig erneuert werden muss, und frisst jede Menge Energie, die meist noch aus fossilen Quellen stammt.“

Auch de Croon hinterfragt die Ökobilanz. „Manche Menschen denken, dass bald überall KI-Roboter herumfahren oder fliegen. Aber wir wissen nicht, ob das unsere Ressourcen überhaupt hergeben.“ Auch deshalb arbeitet der KI-Wissenschaftler an MAVs statt an Standard-Drohnen, in die mehr Sensorik passt. Außerdem forscht er zu sogenannten Spiking Neural Networks (SNN) – einer Form von Künstlichen Neuronalen Netzen, die sich noch näher am menschlichen Gehirn orientiert und dadurch weniger Strom verbrauchen soll. „Unser Hirn kommt auf nur ungefähr 20 Watt, da die Neuronen nicht immer aktiv sind. KI-Systeme verbrauchen noch deutlich mehr.“ IT-Unternehmen wie Intel arbeiten bereits an SNN, die laut de Croon tausendmal weniger Energie benötigen sollen.

Zurück im Cyber-Zoo greift de Croon in seinen Koffer. Gebettet in Schaumstoff liegt dort, dünn und zerbrechlich, ein Konstrukt aus Kabeln, Rädchen und Chips. Die Flügel aus weichem Kunststoff müssen noch angelegt werden. Vorsichtig friemelt er daran herum, bis sie an beiden Seiten feststecken, dann ist das Demo-Modell startklar. De Croon betritt den Käfig und entfernt die scharfkantige Spinne. Mit der Cyberfliege in der ausgestreckten rechten und seinem Smartphone in der linken Hand, stellt er sich in die Mitte und aktiviert die Flügel per App. Mit einem lauten, mechanischen Ruck flattert die Drohne los, hektisch, als wolle sie ihrem Erfinder um jeden Preis entkommen. „Wenn man sich vor großen fliegenden Insekten ekelt, ist das nicht so angenehm.“ De Croon lacht, während er die blinkende, vibrierende Fruchtfliege loslässt. Sie zischt in heiklen Manövern durch die Luft, bis der Pilot sie direkt vor sich schweben lässt. Er streckt seine Handfläche aus, berührt damit sanft einen Flügel – scheinbar instinktiv weicht sie zurück.

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Technik in Tierform gruselt und fasziniert zugleich. Popkulturelle Fabeln wie der Roman Die Geschichte der Bienen oder die Netflix-Serie Black Mirror erkunden eine düstere Zukunft, in der alle Insekten ausgestorben sind und nur noch Robobienen auf den Feldern arbeiten. Informatiker Alan Dorin: „Wir kommen der Dystopie immer näher. Als Forscher möchte ich das unbedingt verhindern.“ Ohne KI geht es dann aber doch nicht. Sein Team aus IT-Expert:innen und Biolog:innen nutzt Deep Learning, um das Verhalten bestäubender Insekten besser zu verstehen. „Es gibt so viele Möglichkeiten, wie wir unsere Anbaubedingungen ändern könnten, damit Insekt und Pflanze besser zueinanderfinden.“ Mit genügend Daten ließe sich vorhersagen, welche Art unter welchen Bedingungen welche Kulturpflanze am wirksamsten bestäubt. Eine KI analysiert dafür Kameraaufnahmen und simuliert verschiedene Szenarien: Wie würden die Tiere reagieren, wenn die Pflanzen nicht in Reihen, sondern wahllos angeordnet wären? Sie in Gewächshäusern die Sonne sehen und sie sich dadurch besser orientieren könnten? „Sobald wir verstanden haben, wie die Dinge funktionieren, können wir den Computer ausschalten und uns dem Artenschutz widmen.“

Roboterbienen statt Zahnbürsten

Dass Artenschutz und Miniroboter auch zusammen gehen, zeigt ein Forschungsprojekt an der Universität Uppsala in Schweden. Evolutionsbiologe Mario Vallejo-Marín und Ingenieur Noah Jafferis bauen dort Robos, um die Diversität bestäubender Insekten zu studieren. Sie konzentrieren sich dabei auf eine besondere – und wenig erforschte – Form der Bestäubung, „buzz pollination“, die etwa bei Hummeln zu beobachten ist: Mit ihren Mandibeln, also Mundwerkzeugen, klammert sich die Wildbiene an einer Blüte fest und brummt kräftig, um an den proteinreichen Pollen zu kommen. Dabei gelangt der Staub auch auf die weibliche Blütennarbe. Eine KI hilft den Forschern dabei, die Brumm-Sounds zu unterscheiden: Fliegen und Landen klingt anders als Bestäuben. 20.000 bis 25.000 Pflanzenarten, darunter Tomaten, Blaubeeren und Kartoffeln, sind auf diese Vibrationsbestäubung angewiesen.

Im Interview per Videocall hält Vallejo-Marín einen winzigen Prototyp in die Kamera, „der hier wiegt ein Viertel einer Honigbiene“. Das längliche Gerät ähnelt einer Libelle. Mit seinen Beinchen aus Draht kann es eine Blüte umarmen – Kollege Jafferis arbeitet noch an Mandibeln. Zuvor war er am RoboBee-Projekt der Harvard-Universität beteiligt. Die unterschiedlich großen und verschieden stark vibrierenden Geräte werden an echten Blüten getestet. Kitzeln pummelige oder energische Exemplare mehr Pollen heraus? Die Ergebnisse dürften nicht nur für Artenschützer: innen interessant sein, sondern auch für Unternehmen wie Arugga und Landwirt:innen, die ihre Erträge maximieren wollen. In Australien etwa, berichtet Vallejo- Marín, wird meist noch eine Art klobige elektrische Zahnbürste benutzt. Das liegt daran, dass Hummeln dort nicht heimisch sind und nicht importiert werden dürfen. Hier könnten bioinspirierte Roboter einen Mehrwert haben. „Etwas kann beängstigend sein und gleichzeitig Gutes tun.“

Bild: Henri Werij / TU Delft

Das Modell „DelFly“ der TU Delft erreicht bis zu 25 km/h. Im Schwarm könnte es künftig das Monitoring in Gewächshäusern übernehmen.

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