28.500 Säulen mit Flügeln stecken in deutschen Feldern. Jeden Tag müssten im Schnitt vier bis fünf Windräder hinzukommen, damit Deutschland seine Klimaziele erreicht: 80 Prozent des Stroms sollen 2030 aus erneuerbaren Quellen stammen.
Windräder sind massive Stahlkonstruktionen, die neuesten über 200 Meter hoch, doch im Grunde funktionieren sie wie die zarten Samen eines Ahornbaums. Fallen die geflügelten Fruchtblätter herunter, um möglichst weit weg einen neuen Baum zu pflanzen, drehen sie sich in der Luft wie winzige Tornados und folgen dabei dem Weg des geringsten Widerstands. Weil Windräder hoch oben jedoch mit viel kräftigeren Strömungen zu tun haben, sind ihre Rotorblätter nicht flach wie Ahornsamen, sondern geformt wie Flügel. Und leise sind sie auch nicht.
Hoher Geräuschpegel
Der größte Lärm entsteht an den Hinterkanten der Rotorblätter, weil die Luftströmung hier abrupt abreißt. Je größer und schneller das Blatt, desto lauter. Ein durchschnittliches Windrad verursacht Geräusche zwischen 90 und 100 Dezibel, ungefähr so viel wie auf der Tanzfläche eines Clubs. In einem angrenzenden, „allgemeinen Wohngebiet“ mit einem Mix aus Wohnraum und Gewerbe dürfen tagsüber 55 Dezibel ankommen, nachts 45, um die gesundheitsschädlichen Auswirkungen von Lärm einzudämmen – wobei die WHO 45 Dezibel auch für den Tag empfiehlt. Das ist etwas mehr als Kühlschrankbrummen. Wegen der Grenzwerte müssen Windräder nachts im geräuschreduzierten Betrieb laufen und erzeugen weniger Energie, als sie eigentlich könnten. Laut Hersteller Siemens Gamesa reduziert sich die jährliche Energieproduktion mit jedem Dezibel weniger um etwa 2 bis 4 Prozent. Heißt: Machen Turbinen weniger Krach, werden sie effizienter, weil sie öfter unter Volllast laufen können.
Schleiereulen hingegen schwingen lautlos durch die Lüfte. Menschen hören sie erst auf knapp einen Meter Entfernung. Ein Feder-Kamm aus kleinen Häkchen an den Vorderkanten ihrer Flügel verbessert den Luftstrom, während Fransen an den Hinterkanten für Druckausgleich sorgen und den Schall reduzieren. So können sie sich ihrer Beute unbemerkt nähern.
Zacken gegen den Lärm
Also bekamen auch Rotorblätter kleine Zacken nach Eulenvorbild, die ersten schon zu Beginn der 2000er. Siemens Gamesa ergänzte sie später mit Fransen. Inzwischen sind sie Industriestandard und alte Turbinen werden nachgerüstet, sagt Franz Mühle, der zu Windenergie an der Technischen Universität München forscht. Durch die Kamm-Fransen-Kombi lässt sich der Lärmpegel um 2 bis 3 Dezibel senken. Klingt erst mal wenig. Aber: „Geht es um den wahrgenommenen Schall, ist der Effekt enorm: Schon 3 Dezibel weniger halbieren die Schallenergie und sind deutlich wahrnehmbar.“
Das Potenzial solcher „Serrations“ (Verzahnungen) scheint groß. So wirbt das kanadische Start-up Biome Renewables mit einer Lärmreduktion von 8 Dezibel. Dafür kombiniert es die Kamm-Fransen-Struktur mit „destruktiver Interferenz“, einem physikalischen Prinzip, bei dem hohe oder tiefe Schallwellen auf entgegengesetzte Wellen treffen und sich gegenseitig auslöschen. „Wir sagen immer, das ist wie ein Noise-Cancelling-Kopfhörer für Windturbinen. Dahinter steckt die gleiche Physik“, so der Gründer, Ryan Church. Bislang wurde die Technologie allerdings nur in Windtunneln getestet; im Freien dürfte der Wert geringer ausfallen. Mühle erklärt: „In Windkanälen können keine 9 ganzen Turbinen vermessen werden, sondern nur einzelne Flügelprofile.“ Andere Geräusche, etwa vom Stromgenerator, können die Messergebnisse stark beeinflussen.
Church interessiert sich neben Eulen auch für die Aerodynamik von Ahornsamen und Eisvögeln, die beim Sturzflug ins Wasser kaum Spritzer verursachen. Die Form ihrer Schnäbel inspirierte schon den japanischen Hochgeschwindigkeitszug Shinkansen. Angelehnt an den Eisvogel, der das Wasser von seiner Schnabelspitze ausgehend kontrolliert um sich herumleitet, plant Church Nachrüstungen für die Mitte einer Windturbine, dem Rotorblatt. Getestet wurde die Idee aber noch nicht und Mühle bezweifelt, dass sich der Materialaufwand lohnen wird. Drei gebogene Blätter sollen den Luftstrom von der Mitte weg auf die großen Rotoren leiten, um den Energieertrag zu steigern. Geformt sind sie wie Ahornsamen beim Tanz mit dem Wind.
Schleiereulen bewegen sich nahezu lautlos durch die Lüfte. Ein Mensch hört sie erst auf 90 Zentimeter Entfernung.