Konzentriert, aber in Windeseile schnüffelt eine Afrikanische Riesenhamsterratte an der ersten Sekretprobe. Eine Sekunde später ist sie schon bei der zweiten, steckt ihre Schnauze in die Öffnung im Glasboden, unter der die Probe liegt – und verharrt. Damit signalisiert sie, dass sie Tuberkulose gerochen hat. Es macht Klick. Das Geräusch gibt ihr zu verstehen, dass sie belohnt wird. Also flitzt sie zu einer Öffnung im Glaskasten, wo ein Schlückchen Erdnuss-Bananen-Smoothie auf sie wartet. „HeroRats“ nennt die NGO Apopo ihre bis zu 45 Zentimeter großen Laborhelfer, die sie in Tansania und Mosambik als Diagnose-Support einsetzt.
Gerüche sind nichts anderes als eine Vielzahl unterschiedlicher Moleküle, die durch die Luft schwirren – wie Fingerabdrücke, die sich identifizieren lassen. Geruchsrezeptoren in der Nasenschleimhaut können die Duftstoffe lesen. Der Mensch hat einige Millionen Riechzellen, die sich in etwa 400 solcher Rezeptoren unterteilen – jeweils zuständig für bestimmte Stoffe.
„Wenn wir also einmal schnuppern, interpretiert unser Gehirn ein Signalmuster aus 400 verschiedenen Informationen als einen bestimmten Geruch“, sagt Martin Sommer vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Ratten und Hunde hingegen kommen auf 1.000 unterschiedliche Rezeptoren, die auch noch viel empfindlicher sind. Damit können sie sogar Veränderungen im Stoffwechsel erschnüffeln, ausgelöst etwa vom Mycobacterium tuberculosis, Erreger der weltweit tödlichsten Infektionskrankheit Tuberkulose (TB).
Zehn Millionen Menschen stecken sich weltweit laut WHO mit TB an. Obwohl die Krankheit gut behandelbar ist, sterben jährlich 1,5 Millionen Erkrankte daran, vor allem in Asien und Afrika. Denn viele Infektionen bleiben unerkannt, weil medizinische Infrastruktur und Ausstattung fehlen und den Kliniken Fehler unterlaufen.
Atemprobe genügt
Die HeroRats kontrollieren die Testergebnisse der Kliniken – bestätigen TB-positive Proben oder entdecken TB in vermeintlich negativen Proben. Dabei sind sie unheimlich schnell: 100 Abstriche in 20 Minuten können die Tiere überprüfen. Laborant:innen mit Mikroskop bräuchten dafür bis zu vier Tage. Allerdings werden für beide Testmethoden Sputum-Proben verwendet, also Sekret der Bronchien. „Bei einem Drittel der mutmaßlichen TB-Patient:innen sind die Proben nicht von guter Qualität, und einige haben Schwierigkeiten, Sputum auszustoßen. Das gilt besonders für Kinder und HIV-Patient:innen. Um Proben zu entnehmen, wäre eine kleine OP nötig“, so die Medizinerin A. Morita Iswari Saktiawati.
„Elektronische Nasen dagegen sind eine nicht-invasive Methode, weil wir dafür nur Atemproben benötigen.“ An der Gadjah-Mada-Universität in Yogyakarta, Indonesien, untersucht sie, wie effektiv E-Nasen als Screening-Methode von TB gerade in abgelegenen Regionen sind. „Positiv getestete Menschen bringen wir dann ins Labor zur finalen Diagnose.“
E-Nasen sind vielfältig einsetzbar: Martin Sommer entwickelt im Rahmen seines Projekts „Smelldect“ Geräte zum Erschnüffeln von Kabelbränden in Rechenzentren oder zum Frische-Check von Fisch, Obst und Co in Supermärkten. Herzstück ist ein Sensorchip mit 16 Untersensoren, angeschlossen an einen Computer. „Jeder Untersensor schnuppert unabhängig und ein klein wenig anders als der andere. Heraus kommt ein Signalmuster, das charakteristisch ist für diesen oder jenen Geruch. Was menschliche Nase und Gehirn nebenbei machen, schafft unsere E-Nase dank Algorithmen.“
Der Sensorchip kann Geruchsmuster erkennen, wenn er sie zuvor erlernt hat. Um nun etwa TB-Infektionen festzustellen, wird der Chip zuerst Atemproben von TB-Infizierten, von gesunden Menschen und Patient:innen mit anderen Erkrankungen der Atemwege ausgesetzt, um die Signalmuster zu bilden. Dass es bei Krankheiten wie TB viele Ausprägungen gibt, macht die Sache aber extrem komplex. „Um die Sensibilität für das ganze Spektrum von TB zu erhöhen, benötigen wir noch größere Datenmengen“, sagt Medizinerin Saktiawati. Auch Martin Sommer vom KIT sieht im Anlernen des Chips den Knackpunkt. „So genau und gut wie Hunde, Ratten oder Bienen kriegen wir das noch nicht hin.“
Apropos Bienen: Forschende der Universität Wageningen in den Niederlanden und das Start-up InsectSense haben Bienen darauf trainiert, Corona zu riechen. Erkennen die Bestäuber eine Infektion, strecken sie ihre Zunge heraus. Auf Basis ihrer „BeeSense“-Forschung entwickelt das Labor nun auch eine E-Nase, um Covid-Infektionen zu erkennen.
Ratten können mit ihren feinen Nasen Krankheiten erkennen. Als „HeroRats” der NGO Apopo kommen sie in Tansania und Mosambik bereits im Kampf gegen Tuberkulose zum Einsatz. (Symbolbild)