Kolumne Histourismus

Reclaim Pink

Die Debatte um die rosa Trikots der Fußball-Nationalmannschaft zeigt mal wieder: Pink gilt immer noch als stereotyp feminin und unmännlich. Doch die Geschichte zeigt: Das war nicht immer so.

Pink war einmal der letzte Schrei unter Menschen mit Penis. Auf Gemälden der Renaissance ist das Jesuskind stets in Rosa gekleidet, die traditionelle Farbe von Maria ist Blau. Vom Ancien Régime bis hin zur Zeit von Jane Austen trugen Männer in Europa florale Seidenwesten, Halstücher und Gehröcke in Pastellfarben wie Rosa und Gelb. In England galt Rosa zeitweise gar als eine Variante des militärischen Rot. Bis in die 1920er-Jahre war es daher in Europa durchaus üblich, Jungen in Rosa zu kleiden, Mädchen in Blau. Die weltweit aufsteigenden Sozialist:innen trugen derweil Nelken und Rosen als Erkennungszeichen in ihren Knopflöchern. Bis heute ist die offizielle Farbe der sozialistischen Parteien in Frankreich und Portugal Rosa, der Sitz des argentinischen Präsidenten ist die leuchtend pinke Casa Rosada. Im Zweiten Weltkrieg malten sich japanische Kampfpiloten die Kirschblüte als ultranationales Symbol auf ihre Flugzeuge.

Kolumne Historismus

In der Kolumne Historismus wirft unsere Autorin Morgane Llanque einen intersektionalen Blick auf die menschliche Geschichte. Sie erscheint in jeder neuen Ausgabe.

Codierung von Pink als „schwul“ und „weiblich“

Warum gilt Pink im Westen bei all seiner Testosteron-Patina also immer noch als anti-maskulin? Warum mussten wir 2021 Produkte wie die des Start-ups Pinky Gloves ertragen, das mit pinken, überteuerten Einweg-Plastikhandschuhen Frauen weismachen wollte, sie müssten ihre Periode verstecken? Warum regen sich so viele Menschen darüber auf, dass die Männer der deutschen Fußballnationalmannschaft bei der EM 24 in pinken Trikots antreten werden?

Schuld sind laut der Historikerin Valerie Steele, die das Buch Pink: The History of a Punk, Pretty, Powerful Color geschrieben hat, die 1940er- und 1950er-Jahre. Pink wurde damals in der US-amerikanischen Werbung und Popkultur immer mehr zum Symbol von Häuslichkeit und Feminität gemacht. Zwar schaffte es Elvis Presley noch Mitte des Jahrzehnts, den bonbonfarbenen Cadillac berühmt zu machen, doch ein paar Jahre später war die Codierung von Pink als „schwul“ und „weiblich“ besiegelt: 1959 strömten die Menschen in die Kinos, um den Hollywoodhit Operation Petticoat zu sehen. Darin fehlt es Soldaten der US-Navy an roter Farbe, weshalb sie ihr U-Boot notgedrungen rosa anmalen müssen und damit zum Witz der Armee werden.

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Symbol des Widerstands

In den 70ern wurde immer mehr Menschen klar: Wer die binäre Aufteilung von Geschlechter-Attributen mitmacht, übernimmt patriarchale Codes, die alles abwerten, was nicht heterosexuell und maskulin ist. LGBTIQ-Aktivist:innen eigneten sich das pinke Dreieck neu an, das queere Menschen in den Konzentrationslagern der Nazis tragen mussten, und machten es zum Symbol queeren Widerstands.

Heute gilt Pink in der feministischen Welt daher als Empowerment-Tool. Die einflussreichen Bücher von Roxane Gay, Bad Feminist (2014), und und Scarlett Curtis, Feminists Don‘t Wear Pink And Other Lies (2017), erklärten „Reclaiming Pink“ zum Akt der feministischen Rebellion. Pinke Pussyhats wurden Ende der 2010er-Jahre ein Protestsymbol gegen den Trump’schen Frauenhass, Popstars wie Harry Styles lassen sich stolz in rosa Kleidern und Anzügen in der Vogue ablichten. Historikerin Steele sagte CNN 2018 in einem Interview: „Pink ist hip, androgyn und stark. Und es ist hier, um zu bleiben.“ 

 

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Bild: Imago/ HMB-Media

Reclaim Pink: Vielen Menschen in Deutschland ist das neue rosa Trikot der Fußballnationalmannschaft nicht männlich genug.

Morgane Llanque

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