Naturtalent: Sprache von Pflanzen

Entspannte Erdbeeren dank Biochemie

Viel Obst und Gemüse verdirbt während des Transports, zum Beispiel in Indien. Um die Haltbarkeit zu verlängern, kopiert der Lebensmittelwissenschaftler Deepak Rajmohan die biochemischen Signale gestresster Pflanzen.

Wenn Tomaten oder Mangos schimpfen, kommt kein Ton raus. Sondern Dampf oder Gas. „Flüchtige organische Verbindungen“ heißen die Stoffe, die gestresste Pflanzen über ihre Blätter, Früchte oder Wurzeln freisetzen. Zum Beispiel, wenn Raupen über sie herfallen. Mais- oder Baumwollpflanzen etwa bilden dann Duftstoffe, die die Fressfeinde der jeweiligen Raupenart anlocken. Noch stressiger wird’s für die Flora, wenn ein Rasenmäher oder Pflug anrückt. Der Duft, den gemähtes Gras verströmt, ist leider keine Frischewolke, sondern ein Notruf. Er soll benachbarte Pflanzen warnen und hilfreiche Insekten herbestellen. Die biochemische Luftpost unterscheidet sich je nach Pflanze und Stressfaktor (Schädlinge, Hitze, Trockenheit, Schimmel). Wer die Warnung empfängt, kann seine eigene Abwehr ankurbeln und hat größere Chancen, zu überleben. Das gilt auch für geerntetes Obst und Gemüse.

Deepak Rajmohan, Agrar- und Lebensmitteltechniker aus Indien, hat sich die Krisenkommunikation von Nutzpflanzen genauer angeschaut. Ließe sich der Molekülmix kopieren, um Obst und Gemüse auf natürliche Weise haltbarer zu machen? In Teilen Indiens gehen je nach Klimazone und Lieferkette bis zu 45 Prozent der Ernte verloren. Derweil sind laut Welthunger-Index 16,3 Prozent der Inder: innen unterernährt.

Rajmohan studierte Ernährungswissenschaften in den USA, als er feststellte: Während die meisten Frischwaren in infrastrukturschwachen Ländern des Globalen Südens auf dem Weg vom Acker zum Einzelhandel verloren gehen („food loss“), landet in Industriestaaten vieles im Müll, nachdem es den Supermarkt oder die Haushalte erreicht hat („food waste“). Die Verluste entsprechen in beiden Fällen etwa 40 Prozent des Lebensmittelangebots, so die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO). Das macht 8 bis 10 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen aus.

Die Zahlen ließen Rajmohan nicht mehr los. 2019 kehrte er zurück nach Indien und gründete GreenPod Labs in Chennai. Seine Innovation: kleine Päckchen, die der Ernte beigelegt werden können, damit diese den langen Transport in eine andere Region besser übersteht. Zu kaufen gibt es sie für Mangos, Weintrauben und Paprikaschoten, bald auch für Avocados, Tomaten, Erdbeeren und Kiwis.

Die Päckchen enthalten quadratische Polymere, in denen Pflanzenöle gebunden sind. Kommen die Öle in Kontakt mit der Luft, wandeln sie sich in Gase um. „Die Polymere ermöglichen eine kontrollierte Abgabe der flüchtigen Stoffe über viele Tage hinweg“ – funktionieren also ein bisschen wie Duft-Diffuser. In Mango & Co löst der individuelle Stoffmix eine Immunreaktion aus, die sie etwa gegen Hitze, hohe Luftfeuchtigkeit oder Mikroben wappnet. Geschmack oder Nährstoffwerte würden sich dadurch nicht verändern, so Rajmohan. Beispiel Tomate: „In Indien verderben Tomaten meist, weil sie zu schnell reifen.“ Verantwortlich dafür ist das gasförmige Pflanzenhormon Ethylen. Entweicht es aus einer Tomate, werden andere ebenfalls zum Reifen angestiftet. Die flüchtigen Stoffe im Polymer aber hemmen die Ethylenproduktion in der Pflanze.

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Haltbarkeit um 40 bis 60 Prozent verlängert

Durch Rajmohans Biotech würden 80 bis 90 Prozent weniger Obst und Gemüse verderben. Insgesamt ließe sich die Haltbarkeit einer Ernte um 40 bis 60 Prozent verlängern. Und das bei einer Umgebungstemperatur von 35 Grad. Ein wesentliches Detail, denn „knapp 90 Prozent der Waren in Indien werden ungekühlt transportiert“, sagt der Gründer. Ähnlich sähe es in vielen afrikanischen Ländern aus.

Gerade weil sich das Produkt auf Indien und künftig Subsahara-Afrika konzentriere, könne es „einige der größten ökologischen und sozialen Herausforderungen lösen“, so das Biomimicry Institute in Missoula, USA. Die Non-Profit-Organisation vergibt jedes Jahr einen mit 100.000 Dollar dotierten Preis für naturbasierte Innovationen von Start-ups weltweit. 2022 ging er an GreenPod Labs.

Deepak Rajmohan hat schon eine neue Idee: „Was wir gerade mit der Ernte probieren, können wir auch aufs Feld übertragen. Also eine Art Dünger entwickeln, der flüchtige Stoffe freisetzt, die Nutzpflanzen widerstandsfähiger machen gegen Umweltbelastungen.“ Was Pflanzen ohnehin immer getan haben – Anpassung an verändertes Klima –, könnte bald im Zeitraffer möglich sein.

Bild: GreenPod Labs

Miriam Petzold

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