Naturtalent: Oberfläche von Kannenpflanzen

Fleischfressende Pflanze inspiriert zu Superreiniger

Kannenpflanzen sind faule Fleischfresser: Sie lassen Insekten auf ihrer glitschigen Oberfläche ausrutschen und direkt ins Maul gleiten. Jetzt wird der Trick für die Reinigung von Sanitäranlagen genutzt.

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Im tropischen Dickicht lauern lebende Fallgruben auf ihre Beute: An den Blättern der Kannenpflanze baumeln geöffnete Säckchen, nach denen sie benannt ist. Insekten, die sich ihnen nähern, sind verloren. Die Art Nepenthes attenboroughii hat den größten Killer-Schlund, mit einem Durchmesser von 30 Zentimetern. Damit kann sie sogar kleine Säugetiere wie Ratten verspeisen. Auf der philippinischen Insel Palawan wartet sie am Boden auf naive Nager. Die meisten anderen Arten der Gattung Nepenthes wachsen als Sträucher oder Lianen etwa in Madagaskar, Südostasien und Australien. Sie sehen aus wie schmucke, mittelalterliche Trinkhörner.

Als Köder schmieren sich die Pflanzen Nektar ums Maul: Drüsen am Kannenrand, dem „Peristom“, sondern Süßstoff ab. Auf dem Weg dorthin rutscht ihre Beute auf der glitschigen Oberfläche aus und plumpst in den Verdauungssaft im Inneren. Nach unten gerichtete Härchen an den Seiten sorgen dafür, dass Krabbeltiere keinen Halt finden, um emporzuklettern. So werden sie langsam von den Enzymen im Saft verdaut.

Für selbstreinigende, wassersparende Toiletten

Die Ingenieur:innen Tak-Sing Wong und Birgitt Boschitsch haben sich diese Aquaplaning-Strategie genauer angeschaut und eine Beschichtung erfunden, die die Textur der Kannen nachahmt. Damit lassen sich verschiedene Oberflächen lange sauber halten, weil Bakterien und Dreck nicht haften bleiben. „Die Idee kam uns 2015“, berichtet Wong im Magazin seiner Universität, der Pennsylvania State University in den USA. „Mein Team wurde gefragt, ob es beim Entwickeln hygienischer Toiletten ohne Spülung für Regionen im Globalen Süden helfen könne.“ Zwar gab es bereits starke wasserabweisende Lösungen, aber keine, an denen auch festere, klebrige Substanzen abperlen. 2018 entstand aus dem Forschungsprojekt das Start-up Spotless Materials. Seitdem wurden rund 2,8 Millionen USDollar Risikokapital und Preisgelder in die Technologie investiert, die Wong und Boschitsch LESS nennen: „Liquid Entrenched Smooth Surface“ (mit Flüssigkeit getränkte glatte Oberfläche). LESS enthalte weniger Chemikalien als vergleichbare Mittel und könne den Wasserverbrauch beim Spülen (weltweit sind es täglich 141 Milliarden Liter) um 50 Prozent reduzieren. Beim Reinigen wiederum brauche man 90 Prozent weniger Flüssigkeit, da es kaum Rückstände gibt.

So funktioniert’s: Zuerst wird die Innenseite der Toilettenschüssel mit Polydimethylsiloxan (PDMS) besprüht. Beim Trocknen formt der Stoff Polymere, also fadenförmige Molekülketten, die an der Toilettenoberfläche haften und wie winzige Härchen von ihr abstehen. Das imitiert die raue Struktur der Kannen. Danach kommt ein anderes Spray aus Silikon-Öl zum Einsatz. Die Polymere nehmen das Schmiermittel auf wie ein Schwamm – die Oberfläche wird rutschig. Nach etwa 500 Spülungen baut sich diese zweite Schicht biologisch ab und muss erneuert werden. LESS wirkt aber nicht nur auf Porzellan und Keramik, sondern auch auf Glas, Plastik und Metall. Das Unternehmen vermarktet inzwischen Mittel für Windschutzscheiben und Sensoren am Auto, die Dreck und Eis fernhalten sollen, sowie für sterile medizinische Geräte wie Katheter. Eine weitere Anwendung erforscht Nicolas Vogel an der Friedrich-Alexander- Universität Erlangen-Nürnberg: Nach dem Vorbild der Kannenpflanze entwickelt der Bioingenieur Antihaft- Beschichtungen für Schiffe, die oft durch Muschelbewuchs beschädigt und verlangsamt werden.

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Andere fleischfressende Pflanze inspiriert zu Jalousien

Die Kannenpflanze ist aber nicht das einzige fleischfressende Gewächs, das zu Innovationen inspiriert hat. Forschende der Universität Stuttgart haben die Wasserfalle untersucht. Ihre Schnapptechnik ähnelt der von Venusfliegenfallen – nur lauert sie unter Wasser und ist noch zackiger. Berührt ein Tierchen die Haare auf den Innenseiten ihrer Blatthälften, klappen diese blitzschnell zu. Ganz ohne Gelenke und Muskeln. Eine Gruppe um den Bauingenieur Jan Knippers hat auf Basis davon „Flectofold“ entworfen: ein Jalousie-System aus vielen quadratischen Modulen, die ohne störanfällige Scharniere und Motoren auskommen. Dank eingebauter Luftkissen lassen sie sich per Luftdruck zusammen- und wieder auffalten. Das Team forscht weiter an adaptiven Fassadenelementen, die der pflanzlichen Faser-Struktur nachempfunden sind. Wie eine Decke aus Hunderten, schneeweißen Blättern könnten sie künftig Bürogebäude einhüllen, um an heißen Tagen Schatten zu spenden.

 

 

Bild: IMAGO / agefotostock

Die Früchte – oder besser: Mäuler – von Kannenpflanzen hängen herab oder liegen am Boden. Ihre Oberflächenstruktur ist interessant für Bioingenieur:innen.

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