Wie die Raupe dort auf dem Felsvorsprung sitzt, ein Pflanzenstückchen zwischen den vorderen Bauchfüßen, sieht sie aus wie eine schwarze, haarige Version von Gustl aus dem Disney-Film Das große Krabbeln. In wenigen Tagen wird sie sich verpuppen. Davor frisst sie sich mit ihrem Leibgericht, der Pflanze Fetthenne, voll. Cookie streckt behutsam ihre Schnauze vor und betrachtet die Raupe.
An diesem Maitag sucht die Hündin im Naturpark Ötscher-Tormäuer im österreichischen Bundesland Niederösterreich Raupen des Roten Apollofalters. Begleitet wird sie von ihrer Besitzerin, der Physiotherapeutin und Hundetrainerin Andrea Bachinger. Die beiden sind im Einsatz für ein europäisches Forschungsprojekt, welches Populationen des bedrohten Falters in Tschechien, Polen und Österreich stärken oder neu ansiedeln will. Cookies Nase hilft nachzuweisen, ob und wie oft der stark gefährdete Schmetterling in Lebensräumen, in denen er vermutet wird, noch vorkommt.
Artenschutzhunde wie Australian Shepherd Cookie spüren Tiere, Pflanzen oder Pilze auf, vom Brandkrustenpilz bis zum Feldhamster, vom Apfelbaumbohrer bis zum Schwanzlurch. So helfen sie Forscher:innen bei wissenschaftlichen Arbeiten, Förster:innen bei der Waldpflege oder Gutachter:innen beim Abschätzen der Folgen geplanter Bauvorhaben.
Seit Jahrzehnten sind Hunde weltweit zum Aufspüren von Arten im Einsatz, am weitesten verbreitet in Neuseeland. Cookie und Andrea Bachinger sind das erste Team des österreichischen Vereins Naturschutzhunde, das auf Raupen des Roten Apollofalters spezialisiert – und entsprechend zertifiziert – ist. Auch in Deutschland wird mit Hundespürnasen gearbeitet. Im Jahr 2015 gründete eine Gruppe deutscher Biolog:innen und Ökolog:innen den Verein Wildlife Detection Dogs. Die rund 200 Vereinsteams können insgesamt 38 Tier-, 2 Pilz- und 2 Pflanzenarten orten.
Hundenasen besitzen 300 Millionen Geruchsrezeptoren. Zum Vergleich: Menschen nur etwa 5 Millionen. Sie können Gerüche, auch von Substanzen in minimalen Konzentrationen, erkennen, speichern und zuordnen. Jede Rasse lässt sich zum Artenschutzhund ausbilden. Entweder zu Generalisten, die Gerüche unterschiedlicher Spezies suchen, die man ihnen vorlegt. Oder sie sind, wie Cookie, auf eine Art spezialisiert.
300 Millionen
Geruchsrezeptoren haben Hundenasen, Menschen nur etwa 5 MillionenDie Hündin entdeckt auch Raupen des Roten Apollofalters, wenn sie sich unter Felsvorsprünge zurückgezogen haben, um sich zu verpuppen. Sie riecht besser als Andrea Bachinger sehen kann. Schon als Welpe begann die „Nasenarbeit“; seit 2020 üben die beiden, Geruchsprofile zu finden – anfangs mit einem intensiv riechenden Säckchen Kamillentee, dann mit geringeren Konzentrationen des Kamillendufts. So lernte die Hündin, erst Gerüchen generell und schließlich dem speziellen Geruch der Apolloraupen nachzugehen.
An diesem Tag legt sie ihre Nase auf den Schotterboden zwischen Hang und Straße und bewegt sich nicht vom Fleck. Cookie zeigt einen Fund an: die Spitze eines Ohrenstäbchens, das Bachinger versteckt hat. Es riecht nach Raupen, weil es gemeinsam mit ihnen aufbewahrt wurde. Bachinger schlendert lobend zurück zu ihrer Hündin und wirft ihr ein Leckerli zu. Das Ohrenstäbchen hat sie versteckt, damit Cookie übt und weiter Spaß an der Suche hat. Das ist essenziell: Die beiden liefern Daten, mit denen Forscher:innen arbeiten. „Was wir hier machen, ist Pionierarbeit.“
„Die größten Bedrohungen für den Roten Apollofalter sind Verbuschung und Schotterabbau“, erklärt der Schmetterlingsexperte Otto Feldner, der die österreichische Gruppe des europäischen Forschungsprojektes leitet, für das Cookie im Einsatz ist. Denn die Insektenart fühlt sich auf südseitigen, sonnigen Schotterhängen wohl, auf denen die Fetthenne wächst. Von diesen Habitaten gibt es in Österreich noch etwas mehr als in Deutschland, wo Parnassius apollo – so der wissenschaftliche Name des Bestäubers – als stark gefährdet gilt. In Österreich wird er in der Roten Liste als „nahe gefährdet“ geführt.
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Fälle von verschiedenen Tieren, Pflanzen oder Pilzarten, die trainierte Hunde fanden, sind weltweit dokumentiertFür den Artenschutz züchtet Feldner Raupen und Falter in seinem Garten und lässt sie in bestimmten Gebieten frei. Oder er pflanzt Nahrung für die Insekten: Weiße Fetthenne, Distel, Flockenblume, Skabiosa. Im Salzburger Land wurden Falter auf diese Weise schon erfolgreich wieder angesiedelt. Auch Projekte aus Belgien, den Niederlanden oder Großbritannien zeigen, dass solche Maßnahmen Schmetterlingspopulationen stabilisieren oder sogar wiederbeleben können.
Hündin Cookie hilft herauszufinden, an welchen Standorten Feldner Maßnahmen ergreifen sollte. Bislang fällt die Arbeit von ihr und Andrea Bachinger unter „citizen science“ (Bürger:innenwissenschaft), denn der Einsatz von Artenschutzhunden ist noch nicht staatlich als Methode anerkannt. Ein Beispiel für eine vielerorts standardisierte und anerkannte Methode: Bei der sogenannten „Transektsuche“ zählen Menschen Tagfalter, während sie eine vorgegebene Fläche abschreiten.
Zwar zeigten drei Ökologinnen des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung 2021 in einer Analyse von 1.200 Publikationen bereits, dass der Einsatz von Hunden in den meisten Fällen der effizienteste Weg ist, um eine Zielart zu finden. Doch es braucht deutlich mehr Evidenz, sagt Uta Kielau vom Verein Wildlife Detection Dogs. Einerseits Studien mit einer großen Anzahl an Hunden, die alle auf die gleiche Art spezialisiert sind, und andererseits mehr solide Ausbildungen für Hunde und Trainer:innen. Eine solche bietet der Verein Naturschutzhunde in Österreich schon an. Andrea Bachinger hat Cookie dort als Naturschutzhund zertifizieren lassen. Somit können die beiden von Forscher:innen oder Waldbesitzer:innen angefragt werden. Wildlife Detection Dogs bietet noch keine entsprechende Prüfung an, arbeitet aber daran. Kielaus Vierbeiner sind bisher als Gehölzpathogen-Spürhunde zertifiziert, die pilzliche oder pflanzliche Krankheitserreger in Wäldern finden sowie als Artenspürhunde, die zum Beispiel von Schleswig-Holstein für die Suche nach Wolfsgerüchen anerkannt sind.
Spürhunde können nicht nur im Naturschutz eingesetzt werden, sondern auch in der Land-, Forst-, Privat- oder Energiewirtschaft. Weltweit sind Fälle von 483 verschiedenen Tieren, Pflanzen oder Pilzarten dokumentiert, die trainierte Hunde fanden. Etwa die Obstbaumkrankheit Feuerbrand oder Borkenkäfer, die Fichten vernichten. Ausgebildete Hunde lernen, giftige Greiskräuter in Kümmelfeldern zu finden, spüren tote Vögel oder Fledermäuse auf, die mit Windrädern kollidiert sind oder unterscheiden die Losungen von Goldschakalen von jenen von Wölfen. In einem Projekt in Sachsen-Anhalt werden Bürger:innen und ihre Hunde zu Teams ausgebildet, die gebietsfremde Pflanzen, wie den Japanischen Staudenknöterich, finden. Werden diese schnell vernichtet, können sie sich weniger rasch ausbreiten und heimische Pflanzen verdrängen.
Doch natürlich sind die Tiere nicht unfehlbar. „Bei der Ausbildung können Fehler passieren. Oder ein Hund kann auch einmal einen schlechten Tag haben“, erklärt Uta Kielau von Wildlife Detection Dogs.
Cookie hat einen guten Tag. Die Hündin trottet entspannt zurück zum Van. Auf dem Weg nascht sie ein paar Walderdbeeren, die am Wegesrand wachsen. „Es ist schade, dass viele Hunde nur noch als Accessoires gesehen werden“, sagt Andrea Bachinger, während sie die Hundebox im Kofferraum öffnet. „Dabei sind sie großartige Arbeiter.“
Der Australian Shepherd namens Cookie ist ein Artenschutzhund. Die Spürnasen können Tiere, Pflanzen oder Pilze mit ihrem Geruchssinn finden.