Mangos, Guaven, Maracujas – köstliche Früchte gibt es in Kolumbien viele, bio und in Flaschen abgefüllt jedoch nicht. Daher haben zwei Hamburger mit ihrem Start-up D‘cada vor vier Jahren Kolumbiens erstes Bio-Fruchtsaftgetränk auf den Markt gebracht. In wenigen Wochen soll das Bio-Getränk erstmals auch in Deutschland erhältlich sein. Das Obst dafür bauen rund 750 mit dem europäischen Biosiegel zertifizierte Landwirt*innen an. Die Fruchtmark-Fabriken, von denen das Start-up die Zutaten bezieht, zahlen ihnen nach eigenen Angaben einen Preis, der um 25 Prozent höher ist als die marktüblichen Sätze.
In mehr als 50 Jahren bewaffnetem Konflikt zwischen Regierungstruppen, linken Guerillagruppen und rechten Paramilitärs hat die Landbevölkerung besonders gelitten. Viele Bauernfamilien wurden von ihrem Land vertrieben, das sich danach Großgrundbesitzer*innen einverleibten. Ein*e kolumbianische*r Landwirt*in verdiente 2019 im Durchschnitt gerade einmal zwei Drittel des Mindestlohns, umgerechnet etwa 133 Euro monatlich.
„Die Bauern sind die Leute, die am allermeisten arbeiten, die sind die Grundlage für unser Leben, und sie werden immer nur weiter abgehängt“, sagt Henrik Jessen. „Wir sind angetreten mit dem Ziel, für Kolumbien eine Art Leuchtturmprojekt zu sein.“ Von jeder verkauften Flasche gehen 100 Pesos in einen Sozialfonds, umgerechnet zwei Cent. Damit unterstützt das Unternehmen Bauernfamilien beim langwierigen und teuren Prozess zur ökologischen Zertifizierung und bezuschusst sie bei Projekten, zum Beispiel beim Bau eines kleinen Gewächshauses. Etwa 20 Familien haben davon bisher profitiert.
Zwei Brüder und eine Idee für ein Bio-Getränk
Dass er einmal Getränkeunternehmer in Kolumbien werden würde, hätte sich der 35-jährige Henrik Jessen nie träumen lassen. Dass ihm das Gründen, Organisieren und das Thema Nachhaltigkeit liegt, hat er dagegen schon früh gemerkt. In der Schule gründete er eine Rap-Gruppe. Im Studium organisierte er mit Freund*innen in Hamburg den ersten „Klima Song Contest“, einen Schulband-Wettbewerb, bei dem Jugendliche sich Jahre vor Fridays for Future mit dem Klimawandel auseinandersetzten.
Nach dem Bachelor in Wirtschafts- und Sozialwissenschaften arbeitete er ein Jahr in Costa Rica als Freiwilliger in einem Zirkusprojekt für Straßenkinder. Zurück in Deutschland zog es ihn bald wieder in die Ferne. Für ein Praktikum bei einer Hilfs-Organisation kam er nach Medellín in Kolumbien. Dort war es um ihn geschehen. „Ich habe mich unglaublich in die Stadt verliebt.“
Medellín, die „Stadt des ewigen Frühlings“, ist die zweitgrößte und europäischste Stadt Kolumbiens. Verhältnismäßig grün, mit einer überirdischen Metro und gutem Nahverkehr, mit Einwohner*innen, die in Kolumbien einen ähnlichen Ruf haben wie in Deutschland die Schwaben – fleißig, geschäftstüchtig und konservativ. Henrik Jessen organisierte sich ein Auslandssemester, um länger bleiben zu können. Als ihn sein Bruder Konstantin (30) besuchte, der gerade mit seinem BWL-Studium fertig geworden war, war dieser ebenfalls begeistert von der Stadt, den Menschen – und der Vielzahl tropischer Früchte. Zusammen gründeten die Brüder die Firma D’cada. Seit 2016 sind die Erfrischungsgetränke auf dem kolumbianischen Markt erhältlich.
Bio-Getränk in der Nische
Mittlerweile gibt es das Bio-Getränk in drei Sorten: Mango-Maracuja, Guave-Orange und Lulo, eine säuerlichen Frucht. Fruchtgehalt um die 13 Prozent, gesüßt wird mit fünf Prozent Panela, einem Vollrohrzucker, dem Kolumbianer*innern eine nahezu alles heilende Wirkung zusprechen.
„Unsere größte Konkurrenz ist der Mixer“, sagt Henrik Jessen. Der gehört zur Standardausstattung eines kolumbianischen Haushalts. Auch auf der Straße und in Lokalen sind selbstgemixte „jugos naturales“ aus Früchten, Wasser und manchmal Zucker, allgegenwärtig. Im Handel zu kaufen gibt es hingegen vor allem Limonaden und zuckrige Saftgetränke mit Farbstoffen. Die Zielgruppe für das Biogetränk ist also klein, städtische Mittel- und Oberschicht, auch wegen des für Kolumbien eher stolzen Preises von umgerechnet 98 Cent pro Flasche.
Bio ist ein absoluter Nischenmarkt in Kolumbien. Nach Schätzungen wird nur auf 60.000 Hektar im ganzen Land entsprechend produziert. Die Inlandsnachfrage ist minimal: 95 Prozent der Erzeugnisse gegen in den Export. „Viele Menschen hier wissen gar nicht, was bio ist und wie viel Chemie in den normalen Lebensmitteln enthalten ist“, sagt Henrik Jessen. Da sei noch viel Informationssarbeit nötig. Ähnlich ungewohnt ist das Pfandsystem, das die Hamburger eingeführt haben, bei dem aber 80 Prozent ihrer Händler*innen mittlerweile mitmachen.
Hoffnung auf europäische Märkte
Vor Kurzem wurde die Firma in die weltweite Initiative Business Call To Action aufgenommen, die gefördert etwa vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) Unternehmen mit Fortbildungen, Vernetzung und Öffentlichkeitsarbeit unterstützt, um die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen umzusetzen. Das Start-up hat sich dazu verpflichtet, bis 2024 mindestens 15 Kleinbauern als Zulieferer*innen auszubilden, ihnen technische Unterstützung bei der Biozertifizierung zu geben, sie zu fairen Konditionen unter Vertrag zu nehmen und mehr Frauen in ihre Zulieferungsprozesse einzubinden. Langfristig sei ihr Ziel, eine eigene Fabrik aufzubauen, um die gesamte Produktionskette in der Hand zu haben und den Einkaufspreis fürs Obst direkt an die Bauernfamilien zu zahlen, sagt Henrik Jessen.
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Bisher habe das Start-up noch keinen Euro Gewinn erzielt, sei aber seit dem Marktstart 2016 jedes Jahr im Schnitt 80 Prozent gewachsen. Zuletzt waren es 150.000 Flaschen. „Wir wollten dieses Jahr 200.000 Flaschen verkaufen. Aber jetzt ist uns die Corona-Pandemie dazwischen gegrätscht“, sagt Henrik Jessen. Mit fatalen Folgen. Von den 250 kleinen Kund*innen in Kolumbien, die sie sich über vier Jahre mühsam aufgebaut haben – Cafés, Restaurants, Naturkostläden –, sei kein einziger mehr da. Ein Drittel aller Restaurants in Kolumbien hat eine der weltweit längsten Ausgangssperren nicht überlebt. Um 95 Prozent sei ihr Umsatz eingebrochen, sagt Henrik Jessen. „Die einzigen fünf Prozent, die uns noch geblieben sind, sind die Supermärkte.“
Umso größere Hoffnung setzt Henrik Jessen auf den Marktstart in Europa. Zwar verzögert sich der Verkaufsstart, aber nun sollen die Fruchtsaftgetränke ab Dezember in Spanien und in Deutschland in Supermärkten im Raum Mannheim erhältlich sein. Dass ein Bio-Getränk aus Kolumbien auf Widerstand stoßen könnte, ist ihm klar. Gerade Bio-Kund*innen hätten ein Faible fürs Regionale – auch wenn die Transportwege mitunter den geringsten Anteil am CO2-Abdruck haben. Henrik Jessen hofft deshalb, dass Kolumbien in Europa bald ebenso bekannt sein wird für seine tropischen Erfrischungsgetränke wie für Kaffee.
Das Bio-Getränk aus Kolumbien gibt es in drei Sorten: Mango-Maracuja, Guave-Orange und Lulo, eine säuerlichen Frucht. (Symbolbild eines Mango-Baums)