Die Utopie

Kommunalwahl für alle

Bei deiner deutschen Kommunalwahl können nur Erwachsene wählen, die einen deutschen Pass oder einen EU-Pass besitzen. Wie wird der Zugang zu Wahlen demokratischer? Ein neuer Gesetzentwurf könnte helfen.

Das ist das Problem:

Laut dem deutschen Grundgesetz geht die Staatsgewalt – und damit das Wahlrecht – vom Volk aus. Doch wer ist das Volk? Menschen mit deutschem Pass, sagt das Bundesverfassungsgericht. Wenn es um das kommunale Wahlrecht geht, auch Menschen mit einem EU-Pass, sagt das Europarecht. Wer weder den deutschen noch einen anderen EU-Pass besitzt, ist also nicht wahlberechtigt – auch wenn die Person seit Jahren in ihrer Gemeinde lebt und Steuern zahlt. Wir schließen damit gut fünf Millionen Erwachsene von einer Kommunalwahl aus.

So durften zum Beispiel im Februar 2023 bei der Wiederholungswahl in Berlin etwa 23 Prozent der drei Millionen volljährigen Berliner:innen das Abgeordnetenhaus und die Bezirksverordnetenversammlung nicht mitwählen. Aber wie legitim ist eine demokratische Wahl, bei der fast ein Viertel der Bewohner:innen keine Stimme hat?

Das ist der Impuls:

Im Oktober 2022 hat die alte rot-grün-rote Koalition in Berlin das aktive Wahlrecht auf Landes- und Bezirksebene für Nicht-EU-Bürger:innen beantragt – der Wissenschaftliche Dienst des Abgeordnetenhauses urteilte: nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Die Sache ist damit zwar nicht vom Tisch, aber die Zulassung unwahrscheinlich, solange auch das Bundesverfassungsgericht den Volksbegriff im Grundgesetz mit deutscher Staatsangehörigkeit gleichsetzt. Dabei gibt es etliche Beispiele aus anderen Ländern, die kommunales Wahlrecht für Einwohner:innen aller Nationalitäten erlauben. In der EU sind das 14 von 27 Mitgliedstaaten, darunter Belgien, Irland, selbst das nationalkonservative Ungarn. Die Bedingungen sind von Land zu Land unterschiedlich, hängen aber meist von der Aufenthaltsdauer (Belgien: nach fünf Jahren) oder der Aufenthaltserlaubnis (Ungarn: dauerhaft) ab. In der argentinischen Provinz Buenos Aires herrscht gar kommunale Wahlpflicht für alle volljährigen Einwohner:innen, egal welcher Nationalität.

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Das ist die Lösung:

Der Gesetzentwurf für modernes Staatsangehörigkeitsrecht der Bundesregierung könnte helfen, den Zugang zu Wahlen demokratischer zu machen: Künftig sollen Nicht-EU-Bürger:innen in Deutschland nach fünf statt bisher acht Jahren die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen dürfen. Ihre Kinder können nach diesen fünf Jahren direkt die deutsche Staatsangehörigkeit bekommen. Mitte 2023 will das Kabinett den Gesetzentwurf verabschieden.

Nach wie vor bleibt dabei das Wahlrecht an die Staatsangehörigkeit gebunden. Manche Jurist:innen halten den Volksbegriff auch gar nicht für anders interpretierbar. Denn die „Ewigkeitsklausel“ schützt die Artikel 1 und 20 des Grundgesetzes vor Veränderung. Andere argumentieren, er könne sehr wohl anders ausgelegt werden – wenn es dafür eine Zweidrittel-Mehrheit im Bundestag gibt. Koray Yılmaz-Günay vom Migrationsrat Berlin: „Dafür fehlt der politische Wille.“ Er fordert Wahlen auf Kommunal-, im Idealfall auch auf Bundesebene für alle Menschen, die ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben, auch für staatenlose und geflüchtete Menschen. Genau das will die Kampagne Nicht ohne uns 14 Prozent erreichen: Auf der Petitionsplattform change.org fordern die Initiator:innen Sanaz Azimipour und Javier Toscano: „Bundestagswahlrecht, Landtagswahlen und Kommunalwahlrecht für alle Menschen, die seit fünf Jahren ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben.“ Bisher haben knapp 15.000 Menschen unterzeichnet.

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Foto: IMAGO / Christian Ditsch

Wir schließen aktuell rund fünf Millionen Erwachsene von den Kommunalwahlen aus.

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