Die Gesellschaft rückt nach rechts, die Skepsis gegenüber Politiker:innnen nimmt zu. Eine Entwicklung, die Kommunalpolitiker:innen unmittelbar zu spüren bekommen. Nach einer Umfrage der Hamburger Körber-Stiftung von 2024 gehen 35 Prozent der ehrenamtlichen Bürgermeister:innen davon aus, dass Rechtsradikalismus in ihrer Gemeinde in den nächsten Jahren zu einem großen Thema wird. 71 Prozent fürchten, dass es künftig immer schwerer wird, Nachwuchs für das Amt zu finden.
10.788 Bürgermeister:innen gibt es in Deutschland, über die Hälfte macht den Job ehrenamtlich – im Schnitt 20 Stunden pro Woche. Doch zu welchem Preis? Mehr als jede dritte Kommunalpolitiker:in hat bereits Anfeindungen erlebt, neun Prozent haben laut Kommunalem Monitoring 2023 bereits erwogen, ihr Amt niederzulegen. Was also tun gegen Hass und Hetze? Und wie gehen Bürgermeister:innen mit dem Rechtsruck um?
Manche kämpfen einzeln für ein friedliches Zusammenleben, wie Sarah Höfler in Cadolzburg, die regelmäßige Feierabendtreffs mit Bürger:innen anbietet. Andere bündeln ihre Kräfte, etwa im überparteilichen bundesweiten Netzwerk Junge Bürgermeister:innen. Nachwuchspolitiker:innen unter 40 tauschen hier Ideen aus. Was sie verbindet, ist ein frischer Blick auf Kommunalpolitik, oft auch die Sorge um Nachwuchs.
Netzwerk für gemeinsame Strategien
Das größte Thema in den Kommunen aber sind die knappen Finanzmittel, so Michael Salomo, Oberbürgermeister von Heidenheim und Gründer des Netzwerks: „Es gibt immer mehr Anschubfinanzierungen vom Bund, beispielsweise für die Digitalisierung an Schulen. Doch sind die Fördermittel verbraucht, müssen wir als Kommunen selbst in die Tasche greifen.“ Das Geld für andere wichtige Projekte wird knapp.
Die jungen Politiker:innen im Netzwerk entwickeln daher gemeinsam Strategien: Wie können wir Mittel für die Förderung von Sirenen optimal umsetzen, Wohnraum für Geflüchtete schaffen, wie mit dem Druck von rechts umgehen? Sie tauschen Erfahrungen aus: Welche Fördermittel habt ihr für den Spielplatz in Anspruch genommen? Könnt ihr uns mal euer Krisenkonzept zeigen? Wie ist eure Freiwillige Feuerwehr organisiert? Wie können wir gemeinsam Druck auf Bundesministerien aufbauen, damit Kommunalpolitik mehr gefördert wird?
Salomo: „Kommunalpolitiker:innen sind wichtig, weil wir wissen, was konkret in den Gemeinden getan werden muss, um das Vertrauen der Bürger:innen zurückzugewinnen.“ Die Kita ausbauen, das Krankenhaus, den Sportclub. „Entscheidend ist, die Menschen vor Ort mit ins Boot zu holen“, sagt Salomo. 93 Prozent der Deutschen wünschen sich laut der Körber-Stiftung, dass sie bei wichtigen Entscheidungen auf kommunaler Ebene stärker einbezogen werden.
Wir haben drei junge Bürgermeister:innen gefragt, wie sie mit dem Rechtsruck umgehen, wofür sie sich in ihren Gemeinden starkmachen und wie sie den Austausch mit den Bürger:innen stärken.
Sina Römhild, 26, parteilos, seit 2022 ehrenamtliche Bürgermeisterin von Oechsen, Thüringen, Mitglied im Netzwerk Junge Bürgermeister:innen
„Hier im Ort wählen einige die AfD. Sie wollen, dass sich etwas verändert und sind der Meinung, dass die jetzigen Regierungsparteien das nicht hinbekommen. Ich versuche, die AfD zu entzaubern: Schaut euch das Parteiprogramm an, ist das wirklich eine Alternative? Sind das Lösungen, die umgesetzt werden können? Manchen kann man so ein bisschen die Augen öffnen, aber es ist sehr schwer. Der Gemeinderat ist zum Glück ein parteiloser Raum. Bei uns geht es rein um die Sache und das finde ich toll.
Als ehrenamtliche Bürgermeisterin ist es natürlich ein Kraftakt, Hauptjob, Familie und Amt unter einen Hut zu bekommen. Aber mit anderen zusammen etwas auf die Beine zu stellen, macht mir unglaublich viel Spaß. Bevor ich Bürgermeisterin wurde, habe ich im Kirmesverein Veranstaltungen mitorganisiert. Vereinsarbeit hält einen Ort zusammen, deshalb ist es mir sehr wichtig, das zu unterstützen. Wir planen gerade ein Dorfgemeinschaftszentrum mit neuen Räumlichkeiten für den Sportverein und die Blasmusik.
Eine junge Frau als Bürgermeisterin? Bei uns auf dem Dorf sind einige erst mal skeptisch. Es ist noch nicht in allen Köpfen angekommen, dass auch junge Frauen Bürgermeisterin, Gemeinderatsmitglied oder Landtagsabgeordnete sein können – und ihren Job gut machen. Bei unserer letzten Gemeinderatswahl wurde nur eine von drei Frauen gewählt. Junge Frauen trauen sich auch selbst ein Amt oft nicht zu, Männer sind da selbstbewusster. In der Frauenunion im Wartburgkreis organisieren wir Selbstverteidigungskurse, Rhetorik-Seminare oder Familien-Wandertage, um Frauen für die Kommunalpolitik zu begeistern. Ich wünsche mir mehr Frauen in der Politik.“
38%
der Kommunalpolitiker:innen haben Erfahrungen mit verbalen und digitalen Anfeindungen gemacht35%
der ehrenamtlichen Bürgermeister:innen glauben, dass Rechtsradikalismus in der eigenen Gemeinde in den kommenden Jahren zu einem (sehr) großen Thema wird
Sarah Höfler, 37, parteilos, seit 2024 hauptamtliche Bürgermeisterin von Cadolzburg, Bayern
„Aktuell wird das Thema Windkraft in unserer Gemeinde kontrovers diskutiert. Wir wollen ein Modell auf die Beine stellen, an dem sich jede Bürger:in finanziell beteiligen kann. Aber auf Facebook hat sich schnell eine Gruppe gegründet, die Fake News über Windkraft verbreitet. Die Diskussion wird einseitig geführt und zu rechtspopulistischen Zwecken genutzt – um Ängste zu schüren. Natürlich nehmen wir die Bedenken von Bürger:innen ernst – ich möchte offen und transparent mit ihnen über das Projekt sprechen und sie in die Planung der Windkraftanlage einbinden. Deshalb gibt es regelmäßige Bürger:innendialoge. Es tut mir weh, wenn diese wegen der hitzigen Diskussion auf Facebook nur mit Einlasskontrolle und verstärkten Sicherheitsvorkehrungen stattfinden können. Trotzdem dürfen wir nicht aufhören, miteinander zu sprechen, selbst wenn für künftige Veranstaltungen zusätzliche Schutzmaßnahmen erforderlich sind.
Als ich noch Gemeinderätin war, habe ich schnell gemerkt, dass es an Kommunikation und Nähe zu den Bürger:innen mangelt. Auf Instagram und Facebook zeige ich daher jetzt einen Blick hinter die Kulissen meines Amtes, außerdem gibt es einen Newsletter. Hin und wieder biete ich einen ‚Feierabend mit Sarah‘. Da kann man mich in einer Gaststätte im Ort treffen, sich mit mir unterhalten, Ideen einbringen. Ich höre immer wieder, wie wichtig das für viele ist. Denn die Leute bekommen auf diese Weise besser mit, was ich als Bürgermeisterin den ganzen Tag mache, welche Termine ich habe oder welche Themen uns im Rathaus beschäftigen.
Ich halte es für ganz wichtig, Bürger:innen aktiv in Projekte miteinzubeziehen, etwa über Online-Befragungen oder Beteiligungsprozesse. Die Menschen sollten gerne ins Rathaus kommen, weil ihnen hier geholfen wird. Ich glaube, dass wir Bürger:innen dann auch in schwierigen Zeiten erreichen können.“
93%
der Menschen in Deutschland wünschen sich, dass Bürger:innen auf kommunaler Ebene stärker einbezogen werden21%
nennen Angst vor Hass und Hetze als Grund, sich nicht in der Kommunalpolitik zu engagieren
Ferdinand Truffner, 34, CDU, seit 2018 hauptamtlicher Bürgermeister von Empfingen, Baden-Württemberg, Mitglied im Netzwerk Junge Bürgermeister:innen
„Mir fällt immer wieder auf, wie viele Bürger:innen sich heute über Kurzvideos informieren, die oft voller Halbwahrheiten, sogar Fehlinformationen stecken. Sie reimen sich darauf die Welt zusammen. Wenn sich auf einem Gemeindefest am Nebentisch über Flüchtlinge aufgeregt wird oder die Diskussion in die verschwörungstheoretische Richtung geht, bekomme ich das als Bürgermeister unmittelbar mit. Im Gemeinderat spielt Parteizugehörigkeit zwar keine Rolle, aber im Kreistag hat die AfD Zuwachs. Ich frage mich immer: Wo haben wir diese Menschen verloren? Wie kann ich sie zurückgewinnen?
Das diskutieren wir zum Beispiel bei Online-Stammtischen im Netzwerk Junge Bürgermeister:innen. Wir sind Leidensgenoss:innen. Auch wenn sich das Kommunalrecht von Land zu Land unterscheidet, beschäftigen uns oft dieselben Themen. Als ich 2018 ins Amt kam, habe ich einen YouTube-Kanal gestartet: Empfi-TV. In den Videos erzähle ich von der Sanierung der Landstraße oder von einem Kita-Neubau. Die Ansprache via Social Media bringt sehr viel, Bürger:innen fühlen sich mitgenommen.
Das beginnt bei den Jüngsten. In unserem Netzwerk entstand die Idee zu einem Kinderbuch, das jede Kommune auf sich abstimmen kann. Unseres heißt Spielplatz-Alarm in Empfingen und in ihm erkläre ich beispielsweise, dass ich nicht alle Entscheidungen alleine treffen kann, sondern mich mit den zuständigen Gremien abstimmen muss. In vielen Kindergeschichten wie Benjamin Blümchen oder Paw Patrol ist der Bürgermeister der Böse. Wir möchten dieses Bild richtigstellen und zeigen, dass alle mitreden dürfen und sich Engagement in einer Kommune lohnt. Wie gut Bürgerbeteiligung funktioniert, haben wir bei unserem Gemeindeentwicklungskonzept gemerkt. Bei Ortsspaziergängen und in Perspektivwerkstätten haben Bürger:innen viele eigene Ideen für Empfingen 2035 eingebracht.“
In Zeiten des zunehmenden Rechtsrucks engagieren sich Sina Römhild (li.), Ferdinand Truffner (mi.) und Sarah Höfler (li.) als Bürgermeister:innen – hauptberuflich oder ehrenamtlich.