Erfolgreiche Winzerinnen

„Bei uns haben eher die Männer eingeheiratet“

Die Weinwelt ist längst nicht mehr männlich. Immer mehr Winzerinnen gewinnen Preise und ihre Weine werden mit Höchstnoten bewertet. Was sind die Gründe für ihren Erfolg? 4 Top-Weinbäuerinnen erzählen.

Winzerinnen in Deutschland sind erfolgreich wie nie, holen Höchstpunktzahlen mit ihren Weinkreationen. Es gibt ein „Spotlight auf uns Frauen“, sagt Winzerin Theresa Breuer. Aber es ist noch nicht lange her, da war die Weinbranche eine männliche Welt. Wie erklären sich die Frauen in derBranche selbst ihren Erfolg? Und was machen sie anders als ihre männlichen Kollegen?

Theresa Breuer, Weingut Georg Breuer 
Bild: Weingut Breuer

Theresa Breuer ist Chefin des Weinguts Georg Breuer in Rüdesheim im Rheingau. Ihr Vater verstarb früh, sie war 20 Jahre alt. Da stieg sie ein. 2019 hat ihr der einflussreiche Gasttronomie-Guide Gault&Millau erstmals das Prädikat „Weltklasse“ zugeschrieben. Sie ist eine der Protagonistinnen des Dokumentarfilms „weinweiblich“ (2020) über den Alltag von vier Winzerinnen. Sie sagt: „Die Weinbranche spiegelt die Gesellschaft wider.“

Nicole Roth, Weingut Roth
Bild: Weingut Roth

Nicole Roth kommt aus Franken, aus Wiesenbronn. Sie hat in den 90ern eine Winzerlehre gemacht und – weit früherer als Breuer – im hessischen Geisenheim Weinbau studiert. Sie ist aber erst später ins Familien-Weingut eingestiegen und hat davor auch mal fürs Fernsehen gearbeitet – bei „Alfredissimo“ mit Alfred Biolek. Die alleinerziehende Mutter sagt: „Das Konkurrenzdenken ist bei uns nicht so groß.“

Dorothee Zilliken, Weingut Forstmeister Geltz Zilliken
Bild: Weingut Zilliken

Dorothee Zilliken führt das Weingut Forstmeister Geltz Zilliken in Saarburg, Rheinland-Pfalz. Frauen spielten hier immer eine dominante Rolle. Im Gault&Millau ist der Betrieb wie der von Breuer mit fünf Trauben dekoriert – die Höchstzahl. Bei den Zillikens hätten eher die Männer eingeheiratet, sagt sie. 

Jennifer Henne-Bartz, Verein Vinissima
Bild: Vinissima

Jennifer Henne-Bartz, die Winzermeisterin, ist Vorsitzende des gemeinnützigen Vereins Vinissima, dem ausschließlich Frauen angehören. 630 Frauen aus der Weinbranche. Sie sagt: „Frauen haben heute mehr Sichtbarkeit, mehr Aufmerksamkeit, mehr Selbstbewusstsein. Fertig sind wir aber noch nicht.“ 

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Diese vier Frauen haben eine Reihe von Erklärungen für den „drastischen“ Wandel im Geschlechterverhältnis. Also: Was sind ihre Erfolgsfaktoren?

1. Der Aufbau eigener Netzwerke

Es gibt mittlerweile eine Vielzahl von Frauen-Netzwerken in der Weinbranche – nicht nur in Deutschland. „Viele Winzerinnen wissen, dass es Männerclubs gibt, also haben sie ihre Frauenclubs gegründet“, sagt Dorothee Zilliken. 

Der Verein Vinissima wird in diesem Jahr 30 Jahre alt. Er ist mit 630 Frauen das größte, weibliche Netzwerk in der deutschen Weinbranche. Der Verein bietet Vorträge und Seminare an zu Themen wie „Frauen in Führungspositionen“, „Konflikte konstruktiv lösen“, „Vereinbarkeit Familie und Beruf“, aber auch zum Gabelstaplerfahren. Nicole Roth ist Mitglied bei Vinissima. Sie sagt: „Wir sind ein Verein für Gleichgesinnte.“ Es werden nur Frauen zugelassen, wer Mitglied werden will, muss von einer anderen Frau empfohlen werden. „Der Wissensaustausch ist wichtig für die Entwicklung eines Weinguts“, sagt Roth, „und wir können hier völlig offen sprechen – auch über Niederlagen. Und einfach mal zugeben: Das war Scheiße, was ich da gemacht habe – könnt ihr mir helfen“. Solche Zusammenschlüsse gibt es viele. In Österreich sind es zum Beispiel „Elf Frauen und ihre Weine“ mit namhaften Winzerinnen wie Birgit Braunstein, Silvia Heinrich oder Judith Beck. Oder es gibt die „Milch-Gäng“, eine Vereinigung aus fünf Designerinnen und zehn Winzerinnen, die einen Wein machen und die Gewinne aus dem Verkauf einem Verein zur Brustkrebsfrüherkennung spenden. 

Die Winzerinnen pflegen auch persönliche Netzwerke. Dorothee Zilliken zum Beispiel ist nicht im Verein Vinissima, hat aber ein bundesweites Netzwerk, in dem sich Frauen bei Blindverkostungen austauschen. Momentan online. Zilliken sagt: „Ich wäre nie auf die Idee gekommen, so einen Frauen-Probier-Club zu gründen. Ich habe aber Freundinnen, die gesagt haben: Für sie wäre es schöner, wenn sie mal unter sich bleiben könnten.“ Sie ist außerdem Teil des Netzwerks Saar-Mosel mit ebenfalls ausschließlich weiblichen Mitgliedern. Und ein weiteres Netzwerk besteht aus ehemaligen Absolventinnen der Hochschule Geisenheim. 

Dorothee Zilliken sagt: „Manche Frauen trauen sich eher, fachliche Fragen zu stellen, wenn keine Männer dabei sind.“ Sie sagt aber auch: Sie selbst habe das Problem nicht. Vereinsvorsitzende Jennifer Henne-Bartz erzählt: „Es gibt die selbstbewussten Winzerinnen.“ Es gebe aber auch Vinissima-Mitglieder, die seien Nebenerwerbs-Winzerinnen oder hätten in einen Weinbetrieb eingeheiratet. „Die trauen sich mehr, wenn sie unter sich sind“.“ Nicole Roth ergänzt: „Das auf die Brust klopfen ist nicht so groß bei uns.“ 

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Für Theresa Breuer macht das Teamplay einen Geschlechterunterschied aus. „Der Teamgedanke spielt für Frauen eine größere Rolle – sie denken weniger in Hierarchien und suchen eher die Harmonie“, sagt sie. 

Auch bei Good Impact: Social Entrepreneurship: „Frauen gründen anders – weil sie anders gründen müssen“

2. Der nachhaltige Wandel des Berufs

Sie spricht ein Thema an, das oft als Vorurteil in der Welt war: Für Frauen wäre der Beruf zu hart. Doch dabei helfen den Winzerinnen zwei Dinge: die Mechanisierung der Produktion – und eben das Teamplay. „Wir fokussieren uns auf ein Team und lassen es zu, dass jeder in seinem Bereich glänzt.“ Das hat auch mit der zunehmenden Komplexität des Berufs zu tun. „Du bist heute Unternehmerin, Biochemikerin und Meteorologin in einem“, sagt Vinissima-Chefin Jennifer Henne-Bartz. „Das macht den Beruf aber auch für viele Frauen attraktiv – weil er sich vom körperlichen Landwirtschaftsberuf entfernt.“ Alle Winzerinnen bestätigen aber auch, was Nicole Roth sagt: „Die harte Arbeit im Weinberg: Da machen wir genauso mit wie die Männer.“ 

Es sind noch zwei weitere Entwicklungen, die den Beruf in der Weinbranche insgesamt attraktiver machen. Wein ist erstens zum In-Getränk geworden. Während der Bierabsatz insbesondere während der Coronakrise regelrecht eingebrochen ist, trinken die Deutschen immer mehr Wein. Bezogen auf die gut 83 Millionen Einwohner:innen trinkt jede:r Deutsche 20,7 Liter Wein pro Jahr – ein Plus von 0,6 Litern in 2020. Zweitens: Die Kundschaft verjüngt sich. Oder wie es Theresa Breuer sagt: „Der Weingenuss wird unkomplizierter – er ist nicht mehr nur den Spezialistenkreisen aus Männern über 50 vorbehalten.“

Die gestiegene Attraktivität des Winzer:innen-Berufs spiegelt sich in den Ausbildungszahlen wider. An der Hochschule in Geisenheim gibt es den Bachelor-Studiengang „Weinbau und Önologie“. In den Jahrgängen 2020/21 liegt der Anteil bei 29 Prozent Frauen (25 Prozent vor fünf Jahren). Im BA-Studiengang „Internationale Weinwirtschaft“ haben die Frauen mit 53 Prozent die Männer sogar überholt (44,6 Prozent vor fünf Jahren). Dabei waren die Student:innen-Zahlen mit 110 bzw. 150 Absolvent:innen noch nie so hoch wie im aktuellen Jahrgang. „Die Ausbildung ist mit den Jahrzehnten immer professioneller geworden“, sagt Henne-Bartz. „Die Mechanisierung nimmt dem Beruf ein Stück Körperlichkeit“, sagt Henne-Bartz weiter, „und die Themen haben sich erweitert: Nachhaltigkeit aufgrund des Klimawandels und langfristige, betriebswirtschaftliche Strategien stehen heute im Fokus.”

Auch bei Good Impact: Klimakrise: Nachhaltigkeit wird gerade für den Weinbau immer wichtiger

3. Die veränderten Rollenbilder

Warum so viele Frauen heute Weinbau und Weinwirtschaft studieren, hat auch mit einer anderen gesellschaftlichen Entwicklung zu tun: mit veränderten Rollenbildern. „Mein Vater hat ja nur zwei Töchter“, sagt Dorothee Zilliken und muss lachen. Und wird ernst: „Mein Vater hat mir nie das Gefühl gegeben, das Weingut lieber an einen Jungen zu übergeben – im Gegenteil.“ Es sind die Familienwerte, das ist für alle drei Winzerinnen ein wichtiger Punkt: „Als ich studiert habe 1995, da waren nur zehn Prozent Studentinnen, das hat auch mit den Elternhäusern zu tun“, sagt Nicole Roth. „Das Elternhaus und die Werte, die vorgelebt werden, sind beim Berufswunsch entscheidend“, sagt auch Theresa Breuer. 

Dabei ist die Nachfolgeregelung gerade in Familienbetrieben oft ein Problem, wie die KFW Bank jüngst in ihrem Nachfolge-Monitoring für den Mittelstand ermittelt hat. Viele Firmenbesitzer aus der geburtenstarken Babyboomer-Generation wollten demnächst ihr Unternehmen übergeben, heißt es in der KFW-Studie. Nur an wen? Der Anteil der familieninternen Übergaben nimmt nämlich stetig ab. Von 41 Prozent in 2016 auf 34 Prozent in 2019. 66 Prozent der Betriebe werden also nicht oder durch externe Manager fortgeführt. Das geht aber in Weingütern nicht so einfach. „Unsere Familienbetriebe sind oft nicht so groß, dass man sich einen Geschäftsführer von außen holt“, sagt Jennifer Henne-Bartz. „Die Zahlen sind ja sehr intime Themen“, sagt die Vinissima-Vorsitzende. Dass der Sohn, wenn überhaupt vorhanden, der automatische Erbe wird: Dieses Rollenbild entstammt der Vergangenheit. Theresa Breuer sagt: „Es war nie etwas Besonderes, dass ich als Frau das Weingut übernehme.“

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Bild: Weingut Zilliken

Die Winzerin Dorothee Zilliken führt das Weingut Forstmeister Geltz Zilliken in Saarburg. Ihr Betrieb ist im Restaurantführer Gault&Millau mit der Höchstpunktzahl bewertet worden. Frauen spielten in der Führung des Weinguts immer eine dominante Rolle.

 

Thilo Knott

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