Virtuell und kostenlos

Das erwartet dich bei der Dutch Design Week 2020

Die Dutch Design Week findet auch dieses Jahr statt. Nur anders. In virtuellen 3D-Räumen und Talks werden Projekte präsentiert, die sich unserer beschleunigten Welt auf künstlerische, handwerkliche oder aktivistische Weise annehmen. Eine Auswahl.

Die Dutch Design Week (DDW) widmet sich 2020 der Suche nach neuen Formen der Intimität. Das Motto „The New Intimacy” passt in eine Zeit, in der Kontaktbeschränkungen herrschen und die Pandemie unser Verständnis von Intimität herausfordert. Laut den Organisator*innen der DDW zwinge uns all das dazu, neue Wege des Umgangs zu finden – miteinander, mit unserer Umwelt, Gesundheit, unseren Daten und unseren Regierungen. Und auch die Veranstalter*innen haben einen Weg gefunden, die DDW 2020 trotz Coronakrise stattfinden zu lassen. In der digitalen Welt. Vom 17. Oktober bis 25. Oktober wird nicht wie sonst der Süden der Niederlande zum Spielplatz der Ästhetik, sondern eine von der DDW geschaffene Onlineplattform.

Das virtuelle Programm wird die physischen Events, darunter Kunstaustellungen, Talks und partizipatorische Experimente, nicht vollständig ersetzen können, aber zumindest den Aspekt des Matchmakings erfüllen. Das teilt Martijn Paulen mit, Direktor der Dutch Design Foundation, die die Veranstaltung jedes Jahr im Oktober organisiert. Die teilnehmenden Designer*innen, Wissenschaftler*innen und Berater*innen sollen die Chance erhalten, relevante Kontakte zu knüpfen, die ihre jeweiligen Projekte weiterbringen. Darüber hinaus wird es einer begrenzten Anzahl von Personen möglich sein, die teilnehmenden Designer*innen bei Atelierbesuchen kennenzulernen.

Der Zugang zum virtuellen Festival ist kostenlos, es genügt eine Registrierung über die DDW-Webseite. Das Onlineprogramm wird aus zahlreichen „3D Viewing Rooms“ bestehen, aus Live-Streams von und mit Designer*innen aus aller Welt, ausführlichen Artikeln sowie 360-Grad-Videos und TV-Sendungen. Außerdem können Teilnehmer*innen über die DDW-Plattform mit den ausstellenden Designer*innen chatten, um Fragen oder Anregungen loszuwerden.

Dieses Jahr bei der Dutch Design Week

Auch dieses Mal finden sich im Programm zahlreiche Ansätze, die neben künstlerisch-abstrakten, auch praktische Impulse für eine nachhaltigere, inklusivere Gesellschaft geben. Wir haben eine Auswahl interessanter Arbeiten und vielversprechender Zukunftsvisionen für euch zusammengestellt.

CLOTHING THE BLIND – Mehr Gefühl in der Modebranche

„Shoppen gehen“ verbinden viele mit einer spaßigen Freizeitbeschäftigung. Für Menschen mit Sehbehinderungen ist es hingegen oft schwieriger, Kleidung auszusuchen. Weil sich in der Modebranche diesbezüglich wenig ändert, hat Rachel Lourens das Label SeeFeel gegründet. Ihre Mission: Kleidungsstücke so designen und anpassen, dass sie für Menschen mit Sehbehinderungen vollständig inklusiv sind. Beispielsweise ist die Information auf den Etiketten von SeeFeel größer und enthält Brailleschrift sowie einen QR-Code. Über diesen gelangen die Käufer*innen zu einer Webseite, die Informationen über die Herkunft und den Stil des Kleidungsstücks abbildet und vorliest. Ist das Etikett einmal abgelöst, sind viele Details im Stoff erfühlbar, etwa die Größe und Farbe sowie Tipps zum Kombinieren. Verarbeitet werden nur Stoffe und Muster mit einem unverwechselbaren Charakter.

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Auch bei Good Impact: So geht es blinden Menschen in der Pandemie

EMBASSY OF – Von und für „bioneers

Sie werfen die Frage, wie wir in Zukunft wohnen werden, in den Raum: Designexpert*innen, Wissenschaftler*innen und Storytellers der Initiative „Embassy of Circular & Biobased Building“. Mit ihrer lebensgroßen Installation „The Exploded View“ visualisieren sie Baumaterialien und -techniken von heute und morgen. Im Zeichen der Kreislaufwirtschaft geht es vor allem um die Austauschbarkeit von Bausteinen, um Modularität, biologisch abbaubare und wiederverwendbare Materialien und um Geschäftsmodelle, die diese Art des Bauens ermöglichen. Der Kurator hatte 2019 bereits die DDW-Installation „The Growing Pavilion“ entworfen – ein lebendiger Pavillon aus Holz, Hanf, Myzel (fadenförmige Zellen eines Pilzes), Rohrkolben und Baumwolle. Täglich wurden Austernseitlinge geerntet, die aus dem Myzel gewachsen waren, und den Besucher*innen für ein Bio-Abendessen mitgegeben. Im Rahmen dieser Embassy finden Talks, Tours und Events statt, die sich insbesondere mit Grundstoffströmen beschäftigen. In einem Event am 20. Oktober steht regeneratives Design im Vordergrund: Neueste Entwicklungen in der Biotechnologie und Biochemie machen es möglich, Abwasser und Fäkalien in wertvolle Grundstoffe umzuwandeln.

Ein anderer Think Tank, die „Embassy of Mobility“, beschäftigt sich während der DDW aus aktuellem Anlass mit der Frage, wie wir den öffentlichen Nah- und Fernverkehr in Zeiten der Anderthalb-Meter-Gesellschaft neu denken können und müssen: Entscheiden wir uns für geringere Emissionen oder Bequemlichkeit und Erschwinglichkeit? Oder gibt es Möglichkeiten, das alles zu kombinieren? Beispielsweise findet am 19. Oktober ein virtueller Talk über klimaneutrale Mobilität statt. Zwei Tage später kommen Expert*innen online zusammen, um zu diskutieren, wie sich der öffentliche Raum in den Städten verändern muss, damit die Luft sauberer, die Energiequellen grüner und das Wassermanagement effektiver wird. Zudem werden auf der Webseite der „Embassy of Mobility“ ab dem 17. Oktober inspirierende Mobilitätskonzepte aus aller Welt vorgestellt, die sich positiv auf das gesellschaftliche Zusammenleben auswirken. Ein Beispiel aus Paris: Hier soll eine „15-minütige Stadt“ entstehen, in der alle wesentlichen Einrichtungen innerhalb von 15 Minuten mit öffentlichen Verkehrsmitteln, zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreicht werden können.

“The Exploded View” dreht sich um ein Einfamilienhaus, das mit zirkulären Methoden und biobasierten Materialien wieder aufgebaut wurde. Es ist ein Versuch, die Zukunft des Wohnens abzubilden.
Bild: Pascal Leboucq (Biobased Creations / Company New Heroes)

SYMBIOTIC FUTURES – Ein Sprachrohr für Bäume

Bäume kommunizieren. Sie warnen sich gegenseitig vor Blattlaus-Angriffen und tauschen Nährstoffe wie Kohlenstoff und Phosphor aus. Das tun sie über gigantische Untergrundnetzwerke bestehend aus Fungi beziehungsweise Myzel. Diese Pilzstrukturen formen das sogenannte „Wood Wide Web“. Die multidisziplinäre Designerin Romy Snijders hat sich von dem Naturphänomen inspirieren lassen. Sie ist davon überzeugt: Die Entfremdung der Menschen von ihrer natürlichen Umwelt ist ein entscheidender Grund und Beschleunigungsmotor für die Zerstörung unseres Planeten. Ihr Projekt „Symbiotic Futures“ ist eine harmonische Zukunftsvision, in der wir gelernt haben, die Sprache der Bäume zu verstehen. Damit Mensch und Natur sich wieder annähern, hat Romy Snijders spezielle Tools entworfen, darunter ein dem Didgeridoo ähnliches Instrument. Sie machen die Kommunikation der Baumwurzeln tatsächlich hör- und sichtbar. Das könnte auch für Förster*innen von Bedeutung werden, denn die Anzahl der Pilzarten, die mit einem Baum verbunden sind, sagt etwas über den Verschmutzungsgrad im Wald aus.

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POST CARBON FASHION – Kleidung, die CO2 einatmet

Was, wenn wir allein durch das Tragen eines T-Shirts unseren CO2-Fußabdruck neutralisieren könnten? Durch das Auftragen einer fotosynthetischen Beschichtung könnte dieses Gedankenspiel bald Alltag werden. Dian-Jen Lin und Hannes Hulstaert haben eine Textilbeschichtung, beziehungsweise einen Textilfarbstoff, für Secondhand-Kleidung entwickelt, der fotosynthetische Prozesse nutzt, um Kohlenstoff zu binden und Sauerstoff zu erzeugen. Das Beschichten eines großen T-Shirts soll so viel Sauerstoff wie ein Baum generieren. Ihre biotechnologische Innovation beruht auf Mikroben, die im Wasser, Boden und der Luft um uns herum vorkommen, und soll die Modebranche zum klimapositiven Umdenken anregen. Bislang würden sich zu wenige Fashion Labels dazu entscheiden, einen positiven Umweltbeitrag zu leisten, der das Ökosystem tatsächlich fördert, anstatt es weiter zu schwächen. Lin und Hulstaert von Post Carbon Lab schlagen ein anderes Verständnis von Nachhaltigkeit vor, das sie als „regenerativen Nachhaltigkeitsaktivismus“ bezeichnen. Anstatt einen passiven Reduktionismus- oder Down-,  Re-, oder Upcycling-Ansatz zu verfolgen, steht ihr Verständnis für ein proaktives, unternehmerisches Engagement. Sie wollen Nachhaltigkeit so einfach und zugänglich machen wie etwa das Anziehen von Kleidung oder das Pendeln zur Arbeit.

Auch bei Good Impact: Unternehmerin Thekla Wilkening über Miet-Mode: „Gescheitert sind wir auf keinen Fall“

Über diese kleine Auswahl hinaus findet sich im Programm der Dutch Design Week 2020 eine Vielzahl an Events, innovativen Konzepten und gesellschaftskritischen Diskursen. Von „Global Warming Hot Yoga“ bis hin zu Häusern aus Seegras und Textilfärbemittel aus Pilzen gibt es viel zu entdecken. Eine vollständige Programmübersicht findest du auf der entsprechenden Seite des DDW.

Dutch Design Week: Was dahinter steckt

Während der Dutch Design Week präsentieren mehr als 2.600 Designer*innen ihre Projekte für mehr als 355.000 erwarteten Besucher*innen aus dem In- und Ausland. Die Events finden normalerweise an mehr als 110 Orten im Süden der Niederlande, in der Region um Eindhoven, statt. Obwohl jegliche Designdisziplinen und -richtungen eine Rolle spielen, liegt der Fokus auf Innovation, Experiment und „cross-overs“. Der Begriff „Dutch Design“ bezieht sich dabei keineswegs auf eine Nationalität, sondern auf eine Einstellung. Ihr liegen Eigenschaften zugrunde, die als charakteristisch für die Niederlande und deren Bewohner*innen gelten. Unter anderem zählen dazu ein lösungsorientierter Ansatz, Funktionalität, nicht-hierarchisches und unkonventionelles Denken, Direktheit und Humor. Die Veranstaltung wurde 1998 ins Leben gerufen, mit dem Ziel, Unternehmer*innen und Designer*innen zusammen zu bringen. Die Dutch Design Foundation glaubt nach wie vor fest an die besonderen Fähigkeiten von Designer*innen, Probleme zu lösen. Ihr Erfindungsreichtum und eine freigeistige, kreative Herangehensweise schaffe Innovationen, die für eine lebenswerte Zukunft entscheidend sind.

Illustration: Romy Snijders

Bäume kommunizieren miteinander. Die Designerin Romy Snijders hat Instrumente entwickelt, die den regen Austausch im Wald hör- und sichtbar machen.

Miriam Petzold

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