Kolumne: Mein erstes Mal

Kleiderspenden sortieren

In vielen Städten sammeln Hilfsorganisationen Pullover, Jacken und Hosen, um sie an bedürftige Menschen weiterzugeben. Ella Knigge hat in Hamburg mitgeholfen.

Es ist Anfang Dezember und eisig kalt in Hamburg, minus 4 Grad. In meinem Kiez auf St. Pauli hängen Plakate an Litfaßsäulen und Mülleimern, Aufrufe für Kleider- und Sachspenden für obdachlose Menschen und andere Bedürftige. Der Verein Hanseatic Help sammelt Schlafsäcke und Hygieneartikel, leitet sie an viele Initiativen weiter.

Laut einer aktuellen Erhebung des Bundessozialministeriums sind in Deutschland etwa 37.400 Menschen obdachlos, mindestens 1.900 in Hamburg, schätzt die Sozialbehörde, die letzte Zählung ist allerdings von 2018. Jeden Tag sehe ich sie auf der Straße, in der U-Bahn. Ich gebe Kleingeld, kaufe mal einen Kaffee. Doch ich möchte mehr tun. Also besuche ich die Seite von Hanseatic Help. „Einfach machen“, steht da. Ich muss mich nicht anmelden, kann so lange und oft helfen, wie es passt. An einem Dienstagnachmittag spaziere ich nach Altona, betrete eine riesige Halle. Leuchtstoffröhren strahlen auf Dutzende Kartons, die sich bis zur Decke stapeln, in langen Regalreihen. Alles hier scheint ziemlich strukturiert. An der Annahmestelle für neue Spenden schreibe ich meinen Namen auf ein Schild, das ich mir anklebe. Rico Harms begrüßt mich. Er ist seit mehr als einem Jahr Teil des Teams und erzählt mir von der Vereinsgeschichte.

Angefangen hat alles 2015, als viele Geflüchtete etwa aus Syrien hierher kamen. Freiwillige eröffneten eine Kleiderkammer in den Messehallen. Bald stapelten sich die Spenden, mussten sortiert und organisiert weitergegeben werden. 32 der Engagierten gründeten den Verein, mittlerweile gibt es Projekte wie die Winter-Aktion #Wärmegeben und seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine Hilfstransporte im Rahmen des Städtepakts Hamburg und Kyjiw*. „Gerade haben wir die neunmillionste Sachspende verschickt, seit Gründung“, so Harms.

Keine Vorurteile verfestigen

Ich geselle mich zu einer jungen Frau in schwarzem Hoodie, die auch zum ersten Mal hier ist. Gemeinsam sortieren wir Herrenkleidung. Wir prüfen, ob die Teile Risse haben oder Knöpfe fehlen. Harms hat vorher erklärt: „Es macht einen Unterschied, ob du wegen des Styles eine Hose mit Rissen trägst oder ob jemand, der auf der Straße lebt, diese Hose an hat. Das weckt direkt Vorurteile, die wir nicht verfestigen wollen. Solche Kleidung wird also aussortiert.“ Kaputtes fliegt schon an der Annahmestelle raus, bei kleineren Defekten werden die Teile kreativ weiterverwertet, in Upcycling-Projekten des Vereins und von kleinen Modelabels. Wir arbeiten uns durch Jacken und Mäntel, falten und stapeln. Unten: Winterjacken Größe XL, daneben Übergangsjacken. Pullover und Strickjacken links. Ich bin schnell drin und fühle mich eingebunden. Oben trinken drei Freiwillige zusammen Kaffee und unterhalten sich.

Manche kommen nur einmal, viele regelmäßig – zwei, drei Mal die Woche. Einige machen das, um eingebunden zu sein in eine Gemeinschaft, erzählt Harms. Bei Hanseatic Help habe jede:r einen Platz. Unterschiedliche Menschen kommen zusammen: Neben dem Team aus Hauptamtlichen gibt es etwa 150 Freiwillige, von Studis und Bundesfreiwilligendienstler:innen bis zu Menschen im Ruhestand wie Rita, die mit 92 Jahren Brötchen schmiert. Knapp 20 langzeitarbeitslose Personen bezuschusst das Jobcenter. Sie sollen wiedereingegliedert werden in den sogenannten ersten Arbeitsmarkt. Ich spreche mit einem Mann, der deshalb viermal die Woche hier ist. „Guck mal hier, manchmal ist ein Größenschild in der Innentasche versteckt“, zeigt er mir. Wir prüfen zusammen, ob die Weste heil ist: Keine Löcher, Nähte sitzen, Reißverschluss geht. Nach zwei Stunden haben wir einen riesigen Karton mit Jacken gemustert und in die Fächer einsortiert. Später werden Sachen dorthin transportiert, wo sie gebraucht werden. 2022 wurden knapp 8,6 Millionen Artikel ausgegeben, an etwa 300 Organisationen in Hamburg und Umgebung, wie die Bahnhofsmission oder den GoBanyo-Duschbus für obdachlose Menschen. Ein Teil landet auch in den neuen Hanseatic Help Stores. Drei gibt es seit 2022 in Hamburg. Dort können sich Bedürftige mit Nachweis in Ruhe und Würde Kleidung aussuchen, kostenlos. Mehr als 19.000 Menschen haben das seit der Eröffnung schon gemacht.

Ausgabe #2 als PDF erhalten

Gratis Ausgabe für dich

Die Bestseller-Ausgabe “Von Cyborgs und Chatbots” nimmt das Thema künstliche Intelligenz unter die Lupe – hier kannst du dir die Ausgabe gratis als PDF-Download sichern.

Bevor ich am Abend wieder gehe, darf ich mich verewigen: Mein Namensschild klebt nun neben anderen auch an der Held:innensäule. Fühlt sich gut an. Bald komme ich wieder, vielleicht zum Helfen in einem Store.

BILD: IMAGO / Winfried Rothermel

Vielerorts sammeln Hilfsorganisationen Pullover, Jacken und Hosen für die bedürftigen Menschen. Doch, wie sieht es hinter den Kulissen aus? Unsere Autorin Ella Knigge hat mitgeholfen.

Ella Knigge

Weiterlesen