Gefährdeter Regenwald in Brasilien

„Wir dürfen den Amazonas jetzt nicht vergessen“

Die Coronakrise drängt die Berichterstattung über die Brände im brasilianischen Amazonas in den Hintergrund. Dabei brennt der Wald noch verheerender, als vergangenes Jahr. Kann man den Regenwald noch retten? Und wenn ja, wie?

In Brasilien sind dieses Jahr bereits 11.088 Quadratkilometer Amazonas-Regenwald abgebrannt– die größte Fläche seit 2008. Satellitenbilder zeigen, wie Feuer die „Lunge der Erde“ immer schneller zerfressen. Meist ist der Mensch dafür verantwortlich. Im Vergleich zu 2019 verzeichnen brasilianische Behörden eine Steigerung der Entwaldungsrate von 9,5 Prozent.

Im Süden des Landes brennt unterdessen auch das Pantanal, eines der größten Binnenland-Feuchtgebiete der Welt. Das brasilianische Institut für Weltraumforschung (Inpe), das Satellitenbilder auswertet, registrierte in ganz Brasilien im Oktober 2020 insgesamt 17.326 Brandherde. Das sind mehr als doppelt so viele wie im Oktober 2019, als das Inpe 7855 Feuer verzeichnete, und die zweitmeisten – nach 2015 (19.469) – für den Monat Oktober in den vergangenen zehn Jahren. Trotz der erschreckenden Zahlen findet das Thema medial kaum statt.

„Es ist ein Kampf der Aufmerksamkeit“, sagt Emmanuelle Bérenger von der Rainforest Alliance. Covid-19 habe die Berichterstattung in den Hintergrund gedrängt. „Das ist nicht der Moment, den Amazonas zu vergessen. Wenn wir nicht jetzt handeln, droht der Tipping Point.“

Feuer im Amazonas: Amazonas droht zur Savanne zu werden

Als „Tipping Point“ wird in der Wissenschaft jener Moment bezeichnet, in dem das Ökosystem des Regenwaldes kippt und seine allmähliche Verwandlung in eine Savanne nicht mehr aufgehalten werden kann. Expert*innen gehen davon aus, dass dieser Punkt erreicht ist, wenn etwa 20-35 Prozent des Regenwaldes abgebrannt sind. Der Wald kann sich dann nicht mehr regenerieren,   die Pflanzen geben immer weniger Feuchtigkeit in Form von Wasserdampf ab. Der Regenwald generiere eigentlich durch seine hohe Feuchtigkeit seinen „eigenen Regen“, der, bleibt das Ökosystem vom Menschen unangetastet, Großbrände nahezu unmöglich mache, erklärt Bérenger.

Große Feuer, wie jene, die das Amazonasgebiet zerstören, seien daher auch nicht natürlich. „Es brennt deshalb so stark, weil wir insbesondere mit dem Klimawandel eine erhöhte Trockenheit verzeichnen, die zum Teil auf frühere Entwaldung zurückzuführen ist und Brände begünstigt. Und weil wir in Brasilien eine Regierung haben, die die Entwaldung für die Landaneignung ermutigt, für die wiederum Brände gelegt werden“, sagt Bérenger. Eine Kettenreaktion.

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Das so „gewonnene“ Land wird wiederum oft für den Anbau von Soja als Nahrung für insbesondere Rinder verwendet, die auch auf europäischen Tellern landen.

Feuer im Amazonasgebiet: Präsident Bolsonaro sabotiert den Umweltschutz

Obwohl die brasilianische Regierung das Abbrennen von Flächen im Amazonasgebiet und im Pantanal im Juli 2020 per Dekret verboten hatte, gehen die Brandrodungen, etwa durch Farmer*innen und Goldgräber*innen, weiter. Seit Mai bekämpft auch das brasilianische Militär die Feuer im Amazonasgebiet, Ende November wurde jedoch der Einsatz vorübergehend komplett abgebrochen. Zuvor hatte sich das brasilianische Finanzministerium geweigert, dringend benötigte Gelder für die brasilianische Umweltbehörde Ibama freizugeben, die die Löschaktionen koordiniert.

Die Coronakrise verschärft die Situation laut Bérenger immer weiter: Umweltaktivist*innen könnten kaum noch reisen und vor Ort sein, um sich für den Regenwald einzusetzen. Dies beträfe insbesondere auch die indigenen Stämme, die im Amazonas beheimatet sind und den Wald aktiv verteidigen.  Zu diesem Zweck unterstützt die Rainforest Alliance ein Projekt, das indigene Völker im brasilianischen Amazonasgebiet bei der Überwachung von Abholzung und Bränden innerhalb ihrer Territorien mit einer Alarm-App unterstützt, durch die sie über Brände in ihrer Nähe informiert werden. Außerdem fördert die Organisation auch mehrere Trainings-Angebote vor Ort, die Farmer*innen in nachhaltiger Landwirtschaft schulen sollen.

Emmanuelle Bérenger ist ausgebildete Försterin und Agronomin und ist seit 2020 Leiterin für nachhaltige Waldbewirtschaftung der Rainforest Alliance. Sie unterstützt die Projekte der Rainforest Alliance mit lokalen Gemeinschaften und indigenen Völkern in Lateinamerika, Afrika und Indonesien, um deren Lebensumstände zu verbessern und Wälder zu erhalten.

Bereits im August 2020 berichtete enorm, wie stark die Regierung unter Jair Bolsonaro die Umweltbehörden und auch insbesondere die indigenen Gemeinden im Amazonas-Regenwald strukturell während der Krise geschwächt hat: Ein indigener Aktivist sprach von einem „Genozid“. Isolierte Stämme würden nicht vor einer Infektion geschützt, sondern durch das Eindringen anderer in ihre Gebiete höheren Infektionsrisiken ausgesetzt.

Umweltaktivist*innen werden eingeschüchtert

Laut Observatório do Clima, einer brasilianischen Vereinigung von Umweltschutz-Organisationen, wurden Aktivist*innen in den vergangenen Monaten eingeschüchtert, bedroht und entlassen. Der Vorsitzende von Observatório do Clima, Mario Astrini, sprach in einem offiziellen Statement auch von den politischen und ökonomischen Konsequenzen, die Bolsonaros Politik für Brasilien habe: „Wir verlieren Handelsabkommen und verstärken unsere internationale Isolation.“

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Damit spielt Astrini auf das Handelsabkommen zwischen der Europäischen Union und der Mercosur-Region an, das Deutschland lange verteidigte. Im August 2020 sprach sich Angela Merkel angesichts der Entwaldung des Amazonas erstmals gegen das Abkommen aus. Sie schloss sich damit den Regierungen von Frankreich, Irland und Österreich an. Doch Präsident Bolsonaro scheint davon wenig beeindruckt. Kann der Regenwald noch gerettet werden? Und kann Europa dabei überhaupt Druck auf Brasilien ausüben?

Feuer im Amazonasgebiet: Gesetze für grüne und faire Lieferketten entscheidend

„Ja“, sagt Aktivist*in Bérenger. Alle könnten dafür etwas tun. Sowohl Konsument*innen, in dem sie zum Beispiel weniger Fleisch äßen, als auch die Europäische Union und die deutsche Regierung. Die Rainforest Alliance setze derzeit große Hoffnungen auf den European Deforestation Action Plan, der 2019 veröffentlicht wurde und etwa darauf abzielt durch entsprechende Gesetzgebung, den Verbrauch von Produkten aus entwaldungsfreien Lieferketten in der EU zu fördern.

Zusätzlich soll international Aufforstung und Forschung zu Umweltschutz intensiv gefördert werden. „Wir hoffen, dass eine solche Gesetzgebung nächstes Jahr in Kraft tritt“, sagt Bérenger. Das Thema der nachhaltigen Lieferketten, einschließlich Maßnahmen zur Eindämmung der importierten Entwaldung, sei von der deutschen Regierung während ihrer EU-Ratspräsidentschaft auf die Tagesordnung gesetzt worden, sagte sie. „Diese Gesetzgebung kann für den Import von Soja, das aus der Entwaldung stammt, ein Wendepunkt sein, auch wenn sie durch andere Maßnahmen ergänzt werden müssen“, so Bérenger. Dabei müssten insbesondere die Interessen von Indigenen und lokalen Farmer*innen geschützt werden.

Auch die nationalen Initiativen zu Lieferkettengesetzen zum Beispiel in Deutschland seien ein wichtiger Schritt für die Rettung des Regenwaldes. „Das Risiko hierbei ist, dass man diese Gesetze so gestalten muss, dass Firmen sich dann nicht einfach aus Brasilien rausbewegen und nur noch Soja etwa aus den USA importieren, was wesentlich einfacher ist“, sagt Bérenger. „Wir wollen, dass die Firmen im Land bleiben, aber auf nachhaltigere Landwirtschaft umsatteln. Dafür ist insbesondere auch eine gute Policy für die Nachverfolgung der Lieferketten notwendig.“

In Deutschland blockieren CDU und CSU allerdings ein Lieferkettengesetz. Derartige Regelungen würden die von der Coronakrise gebeutelte Wirtschaft zu sehr überlasten, heißt es. Eigentlich war ein Lieferkettengesetz von der großen Koalition im Koalitionsvertrag versprochen worden. Auch die Ratifizierung der Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), die Staaten dazu verpflichtet, indigene Rechte zu schützen, wird im Koalitionsvertrag erwähnt, wurde aber immer noch nicht umgesetzt.

Eine Wende der USA-Klimapolitik unter Biden?

Derweil hat die internationale „Stop Ecocide Foundation“ angekündigt, bis Anfang nächsten Jahres einen Gesetzesentwurf  für den Internationalen Strafgerichtshof zu erarbeiten, der Ökozid, also massive Naturzerstörung, zu einem internationalen Verbrechen erklären soll. Unterstützt wird die Initiative unter anderem von einer Gruppe schwedischer Parlamentarier*innen – und mehreren Staaten im globalen Süden, wie etwa Vanuatu, die bereits besonders schwer von den Auswirkungen der Klimakrise betroffen sind.

Eine große Hoffnung für den Amazonas ist derweil auch die Wahl des designierten US-amerikanischen Präsidenten Joe Biden. Dieser kündigte bereits im September 2020 an, dass er Brasilien mit wirtschaftlichen Konsequenzen begegnen werde, sollte die Regierung die Entwaldung des Amazonasgebietes weiter vorantreiben. Mehrere Mitglieder des brasilianischen Parlamentes äußerten daraufhin die Hoffnung, dass der vereinte Druck von Europa und den USA Bolsonaro doch noch zum Handeln bewegen könnte.

Dieser Text ergänzt den Schwerpunkt „Vergessene Geschichten“ der kommenden Ausgabe. Sie erscheint am 18. Dezember 2020.

Bild: imago images / Xinhua

Der Amazonas in Brasillien steht in Flammen. Nur eine vereinte globale Politik kann verhindern, dass der größte Regenwald der Erde zur Wüste wird.

Morgane Llanque

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