Herr Varoufakis, Sie sind Grieche, waren griechischer Finanzminister und stellen sich nun in Deutschland als Kandidat für das Europäische Parlament zur Wahl. Sind Sie ein politischer Tourist?
Mit Tourismus hat das nichts zu tun. Ich bin von ganzem Herzen Europäer. Ein Europäer, der sich große Sorgen um die EU macht. Unsere politischen Wortführer haben einen verhängnisvollen Mythos in die Welt gesetzt. Der Mythos heißt: Es gibt einen Konflikt zwischen dem deutschen und dem griechischen Volk, einen Konflikt zwischen dem Norden und dem Süden Europas. Dieser Mythos ist falsch und giftig. Indem ich als Grieche in Deutschland kandidiere, will ich den Menschen genau das zeigen.
Aber in der Eurokrise 2015 gab es zwischen Griechenland und Deutschland tatsächlich heftige Auseinandersetzungen.
Doch das war kein Konflikt zwischen Ländern, sondern ein Streit um Ideen: Wie wollen wir Europa führen? In diesem Konflikt offenbarten sich zwei Formen von Autoritarismus in Europa. Der Autoritarismus des Establishments kam zum Vorschein, als die Europäer den Regierungen riesige Geldsummen zahlen sollten, damit diese die Gelder an die Deutsche Bank weiterreichen konnten. Das war ein Verbrechen an den Völkern Europas. Es brachte die Griechen gegen die Deutschen, die Deutschen gegen die Griechen auf. Der Autoritarismus des Establishments gab schließlich dem Autoritarismus der Rassisten, Fremdenfeinden und Euroskeptikern Aufwind. Jetzt müssen Griechen und Deutsche gemeinsam gegen beide Formen von Autoritarismus kämpfen. Deshalb brauchen wir eine paneuropäische Bewegung. Deshalb kandidiere ich hier.
Sie galten als der streitbarste Grieche in Deutschland. Werden Sie heute angepöbelt, wenn Sie in einen Kreuzberger Supermarkt gehen oder bittet man Sie um ein Autogramm?
Ich bin noch nie beleidigt worden. Die Deutschen sind mir persönlich immer sehr freundlich begegnet und so ist es heute noch. Aber in der Öffentlichkeit wurde ich wie ein Dämon behandelt. Warum? Weil ich, Finanzminister eines Pleitestaates, mich weigerte, euer Geld anzunehmen. Weil Kanzlerin Angela Merkel, der damalige französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy und alle anderen ihren Bürgern nicht sagen wollten, dass Griechenland pleite war. Und der einzige Weg, das zu verbergen, war: weitere Kredite in unser Land zu pumpen.
Die Milliarden für Griechenland haben viele in Deutschland empört.
Natürlich, sie sahen ja gleichzeitig, wie unterfinanziert ihre eigene Infrastruktur, wie marode ihre Schulen sind. Unser Land lässt man vergammeln, die Griechen bekommen 100 Milliarden. Schon 2010 habe ich gesagt: Das wird Europa zerstören.
Sie sind Ökonomieprofessor. Wieso haben Sie sich damals in die Politik begeben?
Ich war ein glücklicher Akademiker, der Bücher schrieb, die weltweit höchstens zwanzig Menschen interessierten. Mathematische Modellbildung, ich liebe das. Aber es ist genauso nutzlos wie Schach – und macht genauso viel Spaß. Um 2002 aber wurde mir klar, dass das Finanzkapital Probleme machen würde. Früher oder später würde alles in die Luft fliegen. Also hörte ich mit meinem Spaß auf und begann, über diesen langweiligen Bankenkram zu schreiben.
Ihre Partei DiEM25 tritt nun in 25 Ländern an, eine Art paneuropäische Partei. Braucht das Europäische Parlament paneuropäische Parteien? Bisher ist es doch ganz gut ohne zurechtgekommen.
Wirklich? Es hat sich abgrundtief schlecht geschlagen. Erstens: Das Europäische Parlament ist das einzige Parlament der Welt, das keine Gesetze erlassen oder initiieren kann. Es ist nur ein Feigenblatt für den Demokratiemangel der EU. Zweitens: Die nationalen Parteien nutzen die Europawahlen als Trainingslauf für ihre nächsten nationalen Wahlen. Sie sind verkappte Meinungsumfragen. Und die Abgeordneten werden angeblich gewählt, um Europa zu verwalten. Tatsächlich werden sie dorthin geschickt, um nationale Interessen zu verfolgen – die griechischen Linken im Europaparlament müssen beispielsweise die mazedonische Frage auf griechische Weise behandeln, weil sie von den Griechen gewählt wurden. Deshalb brauchen wir transnationale politische Bewegungen, die europäische Interessen im Europäischen Parlament vertreten.
Wie wollen Sie Europa denn umbauen?
Mein Ziel ist ein demokratisches, föderales Europa, ähnlich wie Deutschland oder die Schweiz. Denn eine gemeinsame Währung ohne einen gemeinsamen Staat kann nicht funktionieren. Aber noch sind die Menschen in Europa nicht bereit dazu. Für die meisten ist Europa eine Quelle für Probleme, nicht für Lösungen. Das müssen wir ändern. Wir wollen einen New Deal für Europa anstoßen und den Kontinent ökologisch und sozial umbauen. 500 Milliarden pro Jahr wollen wir in Arbeitsmarkt und Umweltschutz investieren. Sobald die Leute sehen, hey, da tut sich ja was, wird sich das Klima in Europa schlagartig ändern. Dann können wir die Diskussion beginnen: Wie soll dieses Europa aussehen? Lasst uns Europäer gemeinsam eine neue Verfassung schreiben. Schön geschrieben, verständlich für jeden, nur …
… Ihr wollt weiterlesen? Welche Ideen Yanis Varoufakis noch für Europa hat und wen er als Europas größten Feind sieht, lest Ihr in unserem Heft 02/19 mit dem Schwerpunkt „Europa“ – zusammen mit weiteren Texten zum Thema.
Der Grieche Yanis Varoufakis kandidiert in Deutschland für die Europawahl. In einem Gespräch mit enorm erzählt er wie er Europa wahrnimmt – und was sich ändern muss