Mobilitätswende

„Benutzen wird wichtiger als Besitzen“

Bei Henning Kagermann kommen sie alle zusammen. Klimaschützer und Autokonzerne, Stadtverwaltungen und Start-ups, Kirchen und Gewerkschaften treffen sich in der von ihm geleiteten Plattform zur Zukunft der Mobilität. Gemeinsam sollen sie auf eine Verkehrswende hinarbeiten, die Klima, Profite und Arbeitsplätze zugleich schützt. Mit Good Impact zieht er Zwischenbilanz nach dem ersten halben Jahr

Herr Kagermann, gerade hat die Nationale Plattform Zukunft der Mobilität (NPM), die Sie leiten, in einem ersten Zwischenbericht an die Bundesregierung Maßnahmen empfohlen, um die Klimaschutziele bis 2030 zu erreichen – dazu gehört der Vorschlag, eine sozialverträgliche CO2-Bepreisung für alle Sektoren zu prüfen. Wird so eine Steuer wirklich kommen?

Wenn ein vernünftiges Konzept vorgelegt wird, ist die Chance meiner Meinung nach hoch. Ich glaube: Eine CO2-Bepreisung kann eine Lenkungswirkung hin zu einer klimafreundlicheren Mobilität entfalten – zum Beispiel den Antriebswechsel beschleunigen, den Markteintritt für regenerative Kraftstoffe erleichtern und den Umstieg auf energieeffizientere Verkehrsträger befördern.

In dem Bericht heißt es klar, die Transformation des Mobilitätssektors koste Geld, und zwar Wirtschaft wie Gesellschaft. Sind Akteure und Entscheider bereit, es in die Hand zu nehmen?

Investitionen in klimafreundliche Produkte und Dienstleistungen sind auch Investitionen in Zukunftsmärkte – und damit Chancen für Wachstum, Arbeitsplätze und nachhaltigen Wohlstand. Wirtschaft und Politik sind sicher bereit, dafür Geld auszugeben.

Wie alle großen Innovationsschübe wird auch dieser Gewinner und Verlierer hervorbringen. Momentan sitzen sie einträchtig bei Ihnen in der NPM und tauschen sich darüber aus, wer wie stark gewinnen darf oder verlieren muss?

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Diesen Austausch gibt es seit Langem, dafür musste unsere Plattform nicht erfunden werden. Über die Auf- oder Abwertung von Jobs gibt es seit Jahren Diskussionen, etwa zwischen Unternehmen und Gewerkschaften. Es ist allen bewusst, dass wir da eine große Aufgabe vor uns haben, unter anderem in Bezug auf Umschulung, Weiterbildung und lebenslanges Lernen. Das wird nicht reibungslos gehen, aber ich bin zuversichtlich. Der technische Fortschritt schlägt ja auch nicht innerhalb von zwei Jahren zu, sondern setzt einen zehn Jahre oder länger dauernden Prozess in Gang.

Der Konflikt zwischen Autokonzernen und Klimaschützern lässt sich vermutlich nicht so leicht lösen.

Natürlich versuchen wir, gemeinsam Kompromisse zu finden. Aber die Einschätzungen gehen an manchen Stellen sehr weit auseinander. Wenn zum Beispiel die einen sagen, dass die Digitalisierung den Verkehr flüssiger macht und etwa den vielen Parkraumsuchverkehr verringert , kontern die anderen, es könnte einen „Rebound-Effekt“ geben – neue Technik sorge nicht für weniger Staus, sondern für mehr Fahrten. Im Prinzip kann man das nicht vorhersagen. An manche innovativen Technologien muss man sich gemeinsam schrittweise herantasten, sie ausprobieren und in Experimenten prüfen, was auf den Straßen tatsächlich passieren wird. Wenn man dann wirklich einmal sieht, dass etwas in die falsche Richtung geht, sollte man als Gesellschaft stark genug sein, um Nein sagen zu können.

Manche Experten sehen uns am Beginn einer dritten Mobilitätsrevolution, in ihren Auswirkungen vergleichbar mit denen des Eisenbahnbaus im 19. Jahrhundert und der Automobilisierung im 20. Jahrhundert. Wie sehen Sie das?

Ich erkenne darin eine Analogie zu den Revolutionen in der Informationstechnik. Die Eisenbahn als öffentliches Verkehrsmittel ist so etwas wie der Großrechner, das Auto als privates Transportmittel entspricht dem PC – und autonomes Fahren, Vernetzung und Mobilitätsdienstleistungen als dritte Stufe entsprechen dem Internet. Das zentrale Element der nächsten Verkehrsrevolution werden die Dienstleistungen sein: Benutzen wird wichtiger als Besitzen.

Lässt sich prognostizieren, wie der Mensch mit bestimmten Innovationen umgehen wird?

Man kann versuchen, das Verhalten von Menschen zu modellieren, das ist aber gar nicht so leicht. Nehmen wir die Subvention von E-Autos: Das Modell, an dem wir uns damals orientiert haben, hat bereits mit einem niedrigeren Bonus einen bedeutenden Anschub bei den Neuzulassungen prognostiziert. Die Realität hat aber gezeigt: Man hätte den Bonus viel höher ansetzen müssen, um den gewünschten Effekt zu bewirken. Ich persönlich glaube, dass Anreize durch Privilegien besser wirken, etwa die Nutzung von Busspuren oder freies Parken. Aber das haben wir in den Kommunen nicht flächendeckend umgesetzt bekommen, da gab es einige Befürchtungen, etwa wegen verstopfter Busspuren.

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Eines der wichtigsten ökologischen Argumente für Elektroautos ist ja, dass man mit ihnen Elektrizität speichern kann und damit die Schwankungen von Sonne- und Windstrom ausgleichen kann. Warum zieht das nicht?

Wissen Sie, wie viele Vorträge ich dazu gehalten habe? Elektromobilität macht nur mit regenerativem Strom Sinn und die Energiewende braucht Elektroautos, weil sie tatsächlich als Kurzzeitspeicher die Volatilität der Stromproduktion reduzieren können. So weit sind wir technisch aber noch nicht. Wir brauchen daher zuerst ein bedarfsgerecht gesteuertes Laden, sprich: Damit nicht alle Autos zur selben Zeit geladen werden und das Netz zu stark belasten, würde ein Auto in Zukunft nicht mehr immer sofort aufgeladen, wenn Sie es ans Netz hängen. Aber Sie könnten sich darauf verlassen, dass es zu einem gewünschten Zeitpunkt geladen ist, zum Beispiel am nächsten Morgen. Das hätte tatsächlich einen stabilisierenden Effekt für das Stromnetz. Dafür allerdings müssen noch Fortschritte bei der Normierung gemacht und einige Gesetze geändert werden.

Aber wenn man das dann alles geändert hat …

… dann glaube ich immer noch nicht, dass der positive Effekt für Netz und Umwelt allein das entscheidende Argument für den einzelnen Bürger wäre, auf Elektromobilität umzusteigen. Es müssen persönliche Vorteile dazukommen, etwa wenn gesteuertes Laden für ihn günstiger wäre.

Dazu raten Sie der Bundesregierung also?

Wir sind ein Beratungsgremium, wir bieten Optionen und Alternativen an. Unsere Aufgabe ist es nicht, politische Entscheidungen zu treffen, sondern den Entscheidungsträgern in Politik und Wirtschaft Möglichkeiten für ihre Entscheidung aufzuzeigen.

Teilen Sie unseren Eindruck, dass einige Teile des gesellschaftlichen Spektrums auf der Plattform eher unterrepräsentiert sind? Wenig Zivilgesellschaft, wenig Start-ups?

Überhaupt nicht. Die Plattform ist bewusst sehr breit aufgestellt, um den unterschiedlichen Interessen gerecht werden zu können. Start-ups sind einige dabei. Das ist wichtig, denn sie sind besonders in den Bereichen Digitalisierung und Dienstleistungen innovationsfreundlich und agil – aber wenn eine unserer Aufgaben ist, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung zu halten, schafft man das nicht allein mit Start-ups. Wir müssen auch die Transformation der großen Konzerne hinbekommen, dort sitzen …

 

… Ihr wollt weiterlesen? Wieso es gut war, dass Deutschland in den letzten Jahren so wenig für die Ladeinstrafstruktur getan hat und wieso Europa auch bei der Verkehrswende so wichtig ist, erklärt Henning Kagermann in unserem Heft 02/19 mit dem Schwerpunkt „Mobilität“ – dort gibt es auch weitere Texte zum Thema.

Die Nationale Plattform Zukunft der Mobilität soll Maßnahmen zur Gestaltung einer zukunftsfähigen Mobilität empfehlen

Christiane Langrock-Kögel
Detlef Gürtler

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