Im Fokus: Stadtentwicklung

Vier Ideen für eine klimaresiliente Stadt

Unser Strombedarf steigt und Städte haben mit Starkregen zu kämpfen, der vom Betonboden nicht aufgenommen wird. Wie können wir erneuerbare Energie erzeugen und wie kann der Regen durch Pflastersteine sickern? Wir präsentieren zwei Erfindungen für eine klimaresiliente Stadt.

Strom schlendern

Zum Bahnhof hetzen und dabei erneuerbare Energie erzeugen: In London geht das bereits. Das Unternehmen Pavegen aus der englischen Hauptstadt hat dort auf mehreren Straßen Kinetik-Fliesen aus Hartgummi installiert, die bei jedem Schritt durch den Druck auf eine elektromagnetische Spule Strom produzieren. Je größer und schwerer der Körper des Fußgängers, je kraftvoller der Schritt oder Sprung, desto besser.

Die Fliesen wurden seit 2009 bereits an mehr als 200 Orten in 37 Ländern der Welt verlegt. Im brasilianischen Rio de Janeiro hat Pavegen zum Beispiel einen Fußballplatz damit verkleidet. Nach einem Tag Dribbeln und Tore schießen steckt abends genug Strom in den Batterien der Fliesen, um den Platz mit Flutlicht zu erhellen. In mehreren britischen Bahnhöfen und dem Londoner Flughafen Heathrow wurden Gehwege mit energieerzeugenden Fliesen belegt. Mit dem Strom werden nun Bildschirme und kostenlose Handy-Ladestationen betrieben. Nutzer:innen können sich die App des Unternehmens herunterladen und nachverfolgen, wie viel Energie sie erzeugt haben. Die gesammelten Daten könnten dafür eingesetzt werden, Verkehrsströme in Städten besser zu verstehen.

So sehen die Kinetik-Fliesen aus. Foto: Pavegen

Noch ist die Erfindung jedoch sehr teuer. „Ein Quadratmeter unserer Fliesen kostet durchschnittlich 5.000 Euro. Die Lebensdauer beträgt etwa 10 Jahre“, sagt Paul Price von Pavegen. Danach müssten die Fliesen jedoch nicht ausgetauscht, sondern einfach repariert werden. Das zweite Problem: Jede Person, die über eine Fliese geht, erzeugt bislang nur bis zu 8 Watt Energie. Die Fliesen machen daher vor allem an Orten Sinn, wo Menschenmassen unterwegs sind, etwa Einkaufsstraßen, Verkehrshubs oder eben Sportplätze.

Daher hat Pavegen ein Forschungslabor eingerichtet, um die Fliesen nachhaltiger, preiswerter und energieeffizienter herzustellen. Price: „Im Moment bestehen die Fliesen zu 50 Prozent aus wiederverwendbaren Materialien, ab 2024 wollen wir sie von vorneherein aus recycelten Stoffen herstellen.“ Auf dem Markt hat Pavegen mittlerweile Konkurrenz bekommen: 2022 befeuerten kinetische Fliesen des niederländischen Start-ups Energy Floors die Bühnentechnik eines Coldplay-Konzerts – mit der Energie wild tanzender Fans.

Straße mit Löchern

Starkregen, der Straßen und Häuser überflutet: Vor allem in Städten kann das zur Gefahr werden, denn immer mehr urbane Räume sind mit Beton versiegelt, in Deutschland sind es etwa 44 Prozent der Siedlungsflächen. Dort kann das Wasser nicht in die Erde versickern. Das Konzept der Schwammstadt soll das verhindern, etwa mit durchlässigem Bodenbelag. Mehrere Unternehmen produzieren mittlerweile perforierte und damit versickerfähige Pflastersteine. Seit 2018 auch das niederländische Start-up Waterweg. Das Besondere: 80 bis 85 Prozent der Steine bestehen aus Baggergut von Fluss- und Kanalarbeiten, sonst meist ein Abfallprodukt. Von Delft bis Rotterdam hat Waterweg schon Straßen gepflastert und das Material erprobt.

Ein paar Fragen sind allerdings noch offen: Wie viel Instandhaltung ist nötig, damit der mit länglichen Löchern versehene Bodenbelag wirklich langfristig durchlässig bleibt? Muss er öfter gesäubert werden als konventioneller? „Bisher war die Bilanz gut. Wir haben 50 Quadratmeter gepflastert“, schätzt Co-Gründerin Wies van Lieshout. „Aber das ist natürlich nicht genug. Für mehr Impact müssten wir skalieren. Aber die Hürden waren zu groß.“ Denn in den Niederlanden, so van Lieshout, gebe es zwar 100 Millionen Kubikmeter überschüssiges Baggergut pro Jahr. Solcher aus Wasserwegen ausgehobener Boden unterliegt allerdings strengen gesetzlichen Regelungen, wie er verwendet werden darf. Für van Lieshout und Co-Gründerin Eva Aarts war klar: „Diese Strukturen müssen wir verändern.“

Die Steine bestehen zum Großteil aus Baggergut. Foto: Waterweg

Gerade hat sich das Start-up, das zuvor fünf Mitarbeitende hatte, verkleinert, vorerst soll es keine weiteren Pilotprojekte geben. Im Januar hat sich Waterweg stattdessen mit anderen zusammengeschlossen, um Lieferströme zu verbessern, aber auch politisch zu lobbyieren. Mit dabei sind unter anderem das Unternehmen Blauwe Bagger, das sich darauf spezialisiert hat, Baggergut wiederzuverwerten, aber auch die Gemeinde Rotterdam und die Verwaltung der Provinz Südholland sowie vier Wasserbehörden.

Finanziert wird die Arbeit unter anderem durch eine regionale Förderung. Das nächste Meeting steht gleich an, van Lieshout ist während des Telefonats auf dem Weg dorthin: „Heute geht es darum, die Materialströme zu verbessern, außerdem darum, welches Baggergut man wofür noch verwenden könnte, nicht nur für unsere Pflastersteine. Wir möchten es mit der ganzen Industrie aufnehmen, sie muss endlich kreislauffähig werden.“

Weg mit dem Lichtsmog

Laut dem Weltatlas der Lichtverschmutzung lebten im Jahr 2016 mehr als 80 Prozent der Weltbevölkerung unter einem lichtverschmutzten Himmel. Heute muss man von einem viel höheren Wert ausgehen. Denn britische und französische Forschende haben herausgefunden, dass die Beleuchtung unseres Planeten jährlich um etwas mehr als zwei Prozent zunimmt.

Licht ist harmlos? Nein. Zu viel Licht schadet nicht nur dem Schlaf und damit der mentalen Gesundheit von Menschen, sondern schädigt vor allem die Fauna. Straßenbeleuchtung zum Beispiel (etwa 20 Prozent der globalen Lichtverschmutzung) lockt nachtaktive Insekten aus ihrem natürlichen Lebensraum. So kann laut einer Studie der Universität Mainz eine einzige Straßenlaterne das Leben von 150 Insekten in einer Nacht kosten.

Das französische Start-up Glowee hat eine Alternative entwickelt. Es züchtet kleine, im Wasser lebende Bakterien, die in der Natur etwa in Glühwürmchen oder bestimmten Fischen und Quallen zu finden sind. Die Bakterien enthalten das Enzym Luciferase, das mit gasförmigem Sauerstoff oxidiert und dabei Energie freisetzt. Diese Energie lässt die Bakterien leuchten: Das nennt sich Biolumineszenz.

Bio-Lampen schimmern sanft von Bakterien. Foto: O-Innovations Limited

Seit 2019 testet Glowee die „Bio-Lampen“ in einem Forschungsprojekt in der französischen Gemeinde Rambouillet. Die im Projekt „Glowpolis“ eingesetzte Beleuchtung erzeugt ein angenehm türkises Licht, das den Energieverbrauch und die Lichtverschmutzung einer Stadt reduzieren könnte. Denn das sogenannte kalte Licht, das durch Biolumineszenz entsteht, wirkt weit weniger anziehend auf Insekten als aggressives LED-Licht. Andererseits bräuchte diese neue Art der Straßenbeleuchtung langfristig eine Leuchtkraft von 25 Lumen pro Quadratmeter, um öffentliche Plätze ausreichend zu beleuchten – derzeit sind es nur 15 Lumen. Ein weiteres Problem: Die Bakterien müssen mit Hefe und Frischwasser gefüttert werden, um sich vermehren zu können.

Dennoch blickt Sandra Rey, Geschäftsführerin von Glowee, optimistisch in die Zukunft: „Wir könnten die bisherige Beleuchtungstechnik vollständig durch Biolumineszenz ersetzen“, sagt sie in einem ZDF-Interview. Das gelte nicht nur für Straßenlaternen, sondern auch für Reklame oder Nachtlichter in einem Kinderzimmer. Das Unternehmen forscht außerdem daran, die Lebensdauer der bakteriellen Laternen zu verlängern und die Lampen kreislauffähig zu machen.

Fangt den Stadtwind

Durch die Siedlungen aus Beton pfeift es, schnelle Luft wirbelt um die Ecken, knallt an Fenster. „Chaotischen Wind“ nennen Nicolas Orellana und Yaseen Noorani das. Ihr Start-up O-Innovations hat eine Turbine entwickelt, die ihn im urbanen Raum einfangen und damit grünen Strom erzeugen soll.

Er wird dringend gebraucht: Städte fressen laut UN etwa 75 Prozent der weltweit erzeugten Energie. „O-Wind ist die erste Turbine, die sowohl horizontale als auch vertikale und diagonale Luftströme nutzen kann“, sagt Erfinder Orellana. Egal ob auf Dächern und Balkonen, an Hausfassaden oder in Parks.

Den Stadtwind nutzen mit Turbinen für Dächer und Parks. Foto: Creative Commons / Dinesh Valke

O-Wind sieht aus wie ein futuristischer Origami-Lampion, eckig und rund zugleich. Umhüllt von Schächten mit großen Eingängen und kleinen Ausgängen kann der Wind aus jeder Richtung eintreten. Im Inneren entsteht dabei ein Druckunterschied – und die Turbine setzt sich in Bewegung.

Noch steckt sie allerdings in der Testphase. Seit Dezember 2022 läuft ein Pilotprojekt in Lancaster mit einer 70 Zentimeter großen Turbine. Ende 2023 soll eine Demo in London folgen, mit einem 2,2-Meter-Modell für öffentliche Räume und anschließender Serienproduktion im Frühjahr 2024. Unter idealen Windbedingungen und angeschlossen an ein Batteriesystem könne solch eine 2,2-Meter-Anlage genug Energie erzeugen, um einen britischen 2- bis 3-Personen-Haushalt zu versorgen.

Das Team von O-Innovations ist in Kontakt mit Stadtverwaltungen, auch an private Grundstückseigentümer:innen will es sich wenden. „Wenn wir O-Wind einfach nur verkaufen würden, werden einige Kund:innen möglicherweise nicht die Energiemenge erhalten, die sie erwarten“, erklärt Orellana. Denn die Leistung hängt extrem von den Windverhältnissen ab. Ohne Berechnungen und passende Ausrüstung sind die schwer einzuschätzen.

Jetzt ermittelt das Team geeignete Standorte in verschiedenen Städten und wird dann die Verwalter:innen dieser Orte ansprechen. Auch wenn eine „leichte Brise“ ausreiche, um die Turbine zu aktivieren – viel Energie wird sie nur an windigen Tagen produzieren können. Städte in Küstennähe bieten sich also an. Aber auch dort werden Speichermedien der Schlüssel zur Energieautarkie sein: Mit ihnen lassen sich sommerliche Flauten überbrücken.

Foto: IMAGO / Pond5

Durchlässige Pflastersteine nehmen Wasser wie Schwämme auf.

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