Kanada
Tsá-Túé-Biosphärenreservat der Délı ̨ nę Got’ınę am Great Bear Lake
Seit 2016 gibt es das gewaltige Biosphärenreservat Tsá Túé um den Great Bear Lake nahe der Polarregion im äußersten Nordwesten Kanadas. Es ist die Heimat der Dél nę Got’ınę, den einzigen Menschen, die dort leben. Der Great Bear Lake und seine Umgebung ist eine intakte Natur. Auf ihr basieren das Weltbild, das Rechtssystem und die Kreislaufwirtschaft der Dél nę Got’ınę. Längst verändert die Klimaerwärmung auch die Ökosysteme im Tsá-Túé-Biosphärenreservat. Mit ihrem Wissen versuchen daher die Dél nę, die lokalen Karibu-Herden vor weiterer Dezimierung zu schützen. Das Besondere: Die Sahtúto’ine, die „Menschen vom Bären-See“, wie sie sich nennen, sind die erste indigene Gemeinschaft, die ein Unesco-Biosphärenreservat eigenständig verwaltet.
Äthiopien
Dagu, das System der Afar für die Klimabeobachtung
Die Afar im Nordosten Äthiopiens haben ein sehr effektives Kommunikationssystem entwickelt: Dagu. Damit geben sie Informationen über weite Entfernungen weiter, egal ob es um eine Heirat oder die nächste Schlechtwetterfront geht. Wie feucht ist der Boden am Fuße eines Berges, wie schnell wächst das Gras, wie oft regnet es in der Savanne? Die Hirten der Afar beobachten solche Parameter und sammeln sie. Dagu beruht auf strengen sozialen Regeln und der mündlichen Weitergabe von Informationen: Treffen sich zwei Personen, sind sie verpflichtet, sich wahrheitsgemäß über alle wichtigen Beobachtungen auszutauschen, die sie auf ihren Reisen gesammelt haben. Zum Beispiel über den Zustand des Weidelands, die Stärke von Regenfällen oder die Größe von Herden. So hat sich Dagu zu einem indigenen System der Klimabeobachtung entwickelt, das wertvolle Hinweise auf Veränderungen im Ökosystem liefert.
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Bolivien
Das Medizinwissen der Kallawaya
Die Kallawaya aus der Bergregion nördlich von La Paz sind Experten in traditionellen Heilbehandlungen. Ihre Heilkunst ist Grundlage der lokalen Wirtschaft. Kallawaya-Priester behandeln nicht nur in Bolivien, sondern auch in vielen anderen südamerikanischen Ländern. Sie kennen sich hervorragend aus mit tierischen, mineralischen und pflanzlichen Wirkstoffen. Auf ihren Reisen in andere Regionen erweitern die Kallawaya ihr Wissen permanent. Etwa 980 Pflanzen umfasst die botanische Apotheke der Indigenen. Sie gilt als eine der umfangreichsten der Welt und kann auch für die moderne Arzneimittelforschung nützlich sein. Allerdings bedrohen große Pharmakonzerne die medizinischen Traditionen der indigenen Gemeinschaften. Einige Pharmariesen versuchen, sich mit Patenten die exklusive Nutzung der Pflanzen zu sichern. Seit 2008 steht die Medizin der Kallawaya auf der Unesco-Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit.
Russland
Klimaforschung mit den Nenet-Nomaden in Sibirien
Indigene Gemeinschaften können Forschungseinrichtungen helfen, Naturphänomene besser zu verstehen. Ein Beispiel sind die Rentierhirten der sibirischen Nenet-Nomaden, die reichlich Erfahrung mit sogenannten Regen-auf-Schnee-Ereignissen haben. Wenn es im eiskalten sibirischen Winter auf schneebedeckte Weideflächen regnet, gefriert manchmal das Wasser auf dem Schnee. Die Eisdecke versiegelt die Vegetation, Rentiere kommen nicht mehr an ihre Nahrung. Die Nenet haben viele Erkenntnisse darüber gesammelt, wann und in welchen Regionen dieses Phänomen auftritt. Auf dieser Basis entwickelten sie Weidestrategien, die ihren Herden das Überleben im Winter ermöglichen. In einem Forschungsprojekt haben Wissenschaftler*innen 2016 das Wissen der Nenet gesammelt. Es gibt ihnen wichtige Anhaltspunkte, um die klimatischen Veränderungen in der Region besser zu verstehen. Anschließend wurden die Ergebnisse mit Satellitenbildern der Nasa verglichen. So können Forscher*innen die klimatischen Langzeit-Auswirkungen solcher Wetterphänomene für die Region genauer abschätzen.
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Japan
Nachhaltiger Lachsfang der Ainu auf Hokkaido
Für das Volk der Ainu auf Hokkaido ist der Lachsfang die wichtigste Lebensgrundlage. Das Wissen, wie man Lachsbestände nachhaltig nutzen kann, ist im kollektiven Gedächtnis der Indigenen verwurzelt. Darüber hinaus hat Lachs in der Ainu-Kultur große spirituelle Bedeutung. Doch im 19. Jahrhundert wurde den Ainu der traditionelle Lachsfang verboten. Während der Industrialisierung griffen die Menschen massiv in das Ökosystem Hokkaidos ein, die Gewässer wurden schmutziger, der Lachsbestand ging zurück. Schließlich konnte Japan seinen Bedarf nur noch mithilfe von Exporten decken. Ende des 20. Jahrhunderts übergab Japan die Lachsproduktion wieder den einheimischen Fischer*innen Hokkaidos. Inspiriert von den Ainu setzen auch sie mittlerweile auf nachhaltigen Fischfang. Jahrelang hatten die Ainu um die Anerkennung als indigenes Volk gekämpft und dabei das Bewusstsein für die Wichtigkeit nachhaltigen Lachsfangs gestärkt. 2008 wurden sie als indigenes Volk anerkannt. Sie dürfen den Lachs heute wieder für kulturelle Zwecke fangen.
China
Das Reis-Fisch-Enten-System der Dong und Miao
Die chinesischen Minderheiten der Dong und Miao haben über Jahrtausende das sogenannte Reis-Fisch-Enten-System in der Provinz Guizhou entwickelt. Traditionelle Klebreis-Sorten werden auf Terrassenfeldern angebaut, die gleichzeitig auch der Fisch- und Entenzucht dienen. Diese Anbautechnik nutzt die begrenzten Flächen optimal. Die traditionelle Anbauweise hat nicht nur einen sozialen, kulturellen und ökologischen Nutzen, sondern auch wirtschaftliche Vorteile. Das zeigt eine Unesco-Studie von 2017. Die Förderung traditioneller Landwirtschaftstechniken kann also auch für Länder wie China eine effektive Entwicklungsperspektive sein.
Wie wertvoll und aktuell lokales Wissen indigener Völker ist, wird erst langsam erkannt. Die Unesco trägt dazu bei, dass das Kulturerbe geschützt und nicht vergessen wird.