Schwerpunkt: Energiewende

Strom gewinnen aus Urin

Mikrobielle Brennstoffzellen verwandeln Urin in elektrische Energie. Das nützt Orten ohne stabile Stromversorgung. Vor allem aber lässt sich die Technologie weltweit zur Wasserreinigung einsetzen.

Als Thomas Edison 1879 die Glühbirne erfand, konnte er kaum ahnen, dass sie eines Tages durch Harnflüssigkeit leuchten würde. Was skurril klingt, erforschte die Nasa bereits in den 1950er-Jahren. In der Stromerzeugung durch Urin sah sie großes Potenzial für eine autarke Versorgung ihrer Raumschiffe. Mittlerweile werden mikrobielle elektrochemische Technologien erforscht, um Urin dafür auch auf der Erde zu nutzen.

Seit 2002 arbeitet Yannis Ieropoulos an der Universität von Westengland in Bristol mit seinem Team an der Stromgewinnung aus Urin. Er hat den Bedarf an autark funktionierenden Toiletten im Globalen Süden erkannt. Sein Projekt nennt sich „Pee Power“ und liefert Regionen Strom, die vom Elektrizitätsnetz abgeschnitten sind. Mit Unterstützung der internationalen Nichtregierungsorganisation Oxfam und der Bill and Melinda Gates Foundation kommt die Technologie seit 2017 in einem ersten Feldversuch in einem Mädcheninternat in Uganda zum Einsatz. „Die Kinder brauchen dringend Strom, vor allem nachts“, sagt Ieropoulos. Die Toilettennutzung im Dunkeln sei wegen sexueller Übergriffe, aber auch wegen Wildtieren gefährlich.

Bakterien, Urin und eine Brennstoffzelle

Auf Pee Power umzurüsten, ist laut Ieropoulos nicht schwer: Toiletten werden mit einer Urinableitung ausgestattet, dadurch wird Festes von Flüssigem getrennt und so der Rohstoff zur Stromerzeugung gewonnen. Damit aus dem Urin Strom entsteht, sind für das System des Internats je 24 mikrobielle Brennstoffzellen in 20 Modulen installiert. Darin leben spezielle Bakterienarten, die sich von organischen Bestandteilen des Urins ernähren. Bei ihren Stoffwechselreaktionen erzeugen sie Elektronen, die sie zur Außenseite der Zelle transportieren. Werden die Bakterien mit Elektroden verbunden, lässt sich die produzierte Energie abgreifen und mittels einer Brennstoffzelle in Strom umwandeln. Eine Brennstoffzelle besteht aus Elektroden, die durch eine Membran oder einen Elektrolyten, also einen Stoff, der elektrische Ladung leitet, voneinander getrennt sind.

Die mikrobiellen Brennstoffzellen von Pee Power speisen den Strom mit zwei Kabeln in insgesamt fünf Lampen. Vier davon erhellen die Toilettenkabinen bei der Nutzung, eine fünfte beleuchtet die ganze Nacht den Weg dorthin. Der Aufbau einer Kabine kostet aktuell etwa 720 Euro. Eine Investition, die lange hält und letztlich zur Einhaltung eines Menschenrechts beiträgt. Der sichere Zugang zu sanitärer Versorgung ist nämlich genau das – so wurde es 2010 von der UN-Generalversammlung beschlossen. Ieropoulos’ Innovation bietet daher nicht nur regenerative Energie, sondern auch gesellschaftlichen Mehrwert.

Potenzial auch im industriellen Sektor

„Für die anvisierte dezentrale Nutzung in der Entwicklungszusammenarbeit ist der Ansatz von Pee Power hervorragend“, betont Falk Harnisch, der am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig zu Elektrobiotechnologie forscht. Die Toiletten können kostengünstig hergestellt werd…

Bild: IMAGO / prill

Die organischen Bestandteile des Urins (hier in der Abbildung unterm Mikroskop) dienen speziellen Bakterienarten, die in mikrobiellen Brennstoffzellen leben, als Futter – und letztlich als Ausgangspunkt für die Stromerzeugung.

Luna Wolf

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